An der Hauswand lehnt ein Schild. "Museum geöffnet" steht drauf, aber die Tür ist verschlossen. Ah, eine Klingel. Und noch ein Schild, es baumelt an der Klinke: "Bitte läuten." Man muss hier also läuten. Dann warten, dann schließt Klaus Klobe die Tür auf. Klobe ist 67, weißes Haar, sein Schnauzer biegt sich rechts und links um die Mundwinkel.
Im Foyer ist eine Sonderausstellung aufgebaut, Landauer Schüler haben Bilder gemalt, dürfen hier im Museum ausstellen. Die Eröffnung war am Mittwoch. Donnerstag und Freitag hatte das Museum zu, Samstag wieder offen, da kam aber keiner. Jetzt ist Sonntagfrüh, letzter Ausstellungstag. "Mei, wer soll jetzt noch kommen", sagt Klobe. Und schließt die Tür von innen wieder zu.
Er führt eine alte Holztreppe hinauf, in sein Büro. An der Wand hängen Kupferstiche der Stadt Landau, auf der Kommode stehen Schuhkartons, randvoll mit alten Schnupftabakdosen. Im Regal, neben vergilbten Büchern: noch mehr Schuhkartons, darin verblichene Fotos und Postkarten. Hier verbringt Klobe seine Sonntage, an den übrigen Wochentagen hat das Landauer Heimatmuseum zurzeit nur donnerstags offen, für zwei Stunden. Wieso auch öfter aufsperren, kommt ja praktisch keiner. Null bis acht Besucher, sagt Klobe. Im Monat. Und was macht man dann so den ganzen Tag? "Du arbeitest halt so rum."
Es ist einsam geworden in Bayerns Heimatmuseen. Nicht in allen, man muss da differenzieren. Die Mehrzahl der rund 1200 nichtstaatlichen Museen im Freistaat hat einen lokalen oder regionalen Bezug. Darunter gibt es sehr viele Häuser, die sehr gut laufen, etwa weil sie sich auf ein bestimmtes Thema spezialisiert haben. Sehr oft sehr schlecht läuft es dagegen in kleineren Ortsmuseen, die ein sehr universelles Konzept haben. Eine Statistik gibt es nicht, dass aber das klassische Heimatmuseun kriselt, "diese Beobachtung teile ich", sagt Wolfgang Pledl vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege.
Heimatmuseum. Für die einen klingt das wohlig-nostalgisch, weil das Heimatmuseum früher zum Pflichtprogramm in Grundschulen gehörte. Für die anderen, die Jüngeren vor allem, klingt Heimatmuseum nach Spinnrädern, Pferdegeschirr und Webstühlen. Nach Staub, nach wildem Sammelsurium, nach vorvorgestern. Das ist ja das Problem: Die Jungen kommen nicht mehr, nicht mal mehr die Schulklassen. Und die Älteren, die waren alle schon mal da, haben alles gesehen, und kommen dann meistens nie wieder.
Der Volksglaube war oft ein Aberglaube
Klaus Klobe führt jetzt durchs Landauer Heimatmuseum. Er tut das mit aufrechter Begeisterung, das rührt einen an. Es macht einen aber auch traurig, weil dieser Mann so allein ist mit dieser Begeisterung. Klobe steht vor einem Schaukasten, hinter Glas stehen Heiligenfiguren, hängen Hinterglasbilder und Rosenkränze, alles aus der Region, "alles wertvoll", sagt er, "lauter Unikate". Auch diese Fraisenkette, die sich die Landauer früher umgehängt haben, "um sich gegen die Pest zu schützen". Man lernt hier viel über den alten bayerischen Volksglauben, der ja oft nichts anderes war als Aberglaube.
Das ist interessant, klar, auch die alte Puppenküche, die Bauernschränke, die Tontöpfe. Andererseits ist es ein rein nostalgischer Blick auf ein ärmliches Dorfleben, das nichts mehr zu tun hat mit der Landauer Gegenwart. Es ist wichtig, die Erinnerung an diese Zeit zu erhalten. Und doch fehlen die Themen, die den Besucher herausfordern, sich mit dem Ort auch im Hier und Jetzt auseinanderzusetzen: Wohlstand, Industrie, Konsum, Migration.
Die meisten klassischen Heimatmuseen sind im 19. Jahrhundert entstanden. Zu einer Zeit, als die Wucht der Industrialisierung die Identität der kleinen, bäuerlichen Ortschaften bedrohte. Die Museumsmacher konservierten ihren Ort hinter Vitrinenglas und stemmten sich so gegen den Verlust ihres Heimatgefühls. "Man wollte zeigen, dass früher alles besser war. Heute müsste man einen Schritt weitergehen" sagt Heimatforscher Wolfgang Pledl. Um den Besucher emotional zu erreichen, müsse auch das Globalisierungszeitalter seinen Platz im Heimatmuseum finden. "Anders geht es nicht mehr", sagt Pledl.
"Es gibt fantastische Häuser und es gibt solche, die immer noch in diesem verstaubten Modus arbeiten", sagt auch Astrid Pellengahr, Leiterin der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern. Trotzdem nimmt sie die klassischen Heimatmuseen in Schutz: "Man muss sehen, welche Ressourcen diese Häuser haben, um ihre Visionen in die Praxis umzusetzen."
Viele Heimatmuseen finanzieren sich über Spenden oder Beiträge ihrer Fördermitglieder, die Angestellten arbeiten meistens ehrenamtlich im Museum. "Die Etats sind oft so gering, dass es einem die Tränen in die Augen treibt", sagt Pellengahr. Andererseits: Wer ein zukunftsweisendes Konzept entwickle, der habe gute Chancen auf öffentliche Fördermittel. "Aber Sie müssen sich natürlich mit einer Idee bewerben und nicht einfach sagen: Wir wollen jetzt Geld", sagt Pellengahr.
Letztlich, sagt sie, sei Erfolg immer eine Frage des Konzepts. Die Museen müssten "sich fragen: Ist das ein Ort, wo beliebige Objekte rumstehen oder versteht sich das Museum als dialogischer Ort, der auch der Reflexion der Gegenwart dient." Für Pellengahr ist die Globalisierung nicht nur das Problem des klassischen Heimatmuseums, sondern auch die Lösung: "Durch die Globalisierung ist das Lokale wieder bedeutender geworden", das Museum habe das Potenzial, "ein überschaubarer Raum in einer heute unübersichtlichen Zeit zu sein".
Wie es erfolgreich gelingen kann, mit einem eng zugeschnittenen Thema Vergangenheit und Gegenwart zu verbinden, dafür braucht man nur von Landau aus rüber zu schauen ins benachbarte Dingolfing. Dort zeigt das Museum die Entwicklung der Stadt vom Bauort des legendären Goggomobils bis hin zum High-Tech-Produktionsstandort für BMW.
Dass sein Heimatmuseum nicht mehr zeitgemäß ist, das weiß Klaus Klobe natürlich. Auch in Landau hat man es versäumt, die Moderne ins Ausstellungskonzept zu integrieren. Er will das jetzt nachholen, außerdem würde er das Museum gern interaktiver und digital gestalten. "Aber da brauchst du die Gerätschaften dafür", das kostet alles Geld, "das ist das Schwierige", sagt Klobe. Er steht jetzt im Büro, blättert durch den Ordner, in dem er die Besucherzahlen notiert. Mit dem Zeigefinger fährt er die Zeilen entlang, "alles leer", sagt er, nur selten macht sein Finger einen kurzen Halt: "Da ist mal einer da gewesen."
Frust macht sich breit
Er ist frustriert, aber loslassen kann er nicht, dafür liebt er die Geschichte zu sehr. Als Bub hatte er Ekzeme am ganzen Körper, besonders empfindlich war seine Haut im Sommer. Während seine Klassenkameraden draußen spielten, musste Klobe drin bleiben und vergrub sich in Geschichtsbücher, damals entwickelte sich seine Leidenschaft. Heute, sagt er, brauche ein junger Mensch keine Bücher mehr und kein Museum. "Die nehmen ihr Handy, schauen rein und wissen alles, was sie brauchen."
Es ist 17 Uhr. Er nimmt das Schild von der Hauswand, klemmt es unter den Arm, geht wieder nach drinnen und schließt die Tür zu. Noch einmal wird er hinaufgehen, ins Büro, wird den Ordner aufschlagen und die Besucherzahl notieren, die auch heute keine Zahl ist, sondern ein Strich.