Geschichte:"Der Club is a Depp"

Der 1. FC Nürnberg hat die Deutsche Meisterschaft gewonnen - vor 70 Jahren. Seitdem erleben die Fans ein Wechselbad der Gefühle

Von Hans Kratzer, Nürnberg

Die Geschichte des 1. FC Nürnberg ist voller Höhen und Tiefen, der Verein fällt seit anno Tobak regelmäßig von einem Extrem ins andere. Vor 70 Jahren stand er wieder einmal auf der Sonnenseite. Schon am frühen Morgen des 8. August 1948 schoben sich seinetwegen Menschenmassen durch die Straßen und Gassen von Köln. Alles drängte hinaus zum Müngersdorfer Stadion, wo das Finale um die erste Deutsche Meisterschaft nach dem Krieg stattfinden sollte. Die Nürnberger trafen auf die favorisierte Mannschaft aus Kaiserslautern. Die SZ schilderte die Szenerien in den blumigsten Worten. "Ununterbrochen setzen Sonderzüge aus allen Teilen des Reiches Besucher ab. Der brüchige Hauptbahnhof gleicht in diesen Stunden einem orientalischen Basar. Freundlich blickt der Dom auf dieses Mekka. Das Stadion liegt weit außerhalb der gespensterhaften Ruinen. Wälder nehmen uns auf."

Die Ränge in der mit mindestens 70 000 Besuchern gefüllten Kampfbahn glichen einem wogenden Kornfeld. Das Inferno des Krieges war noch kaum verhallt, die Not war groß, im Alltag kehrte nur langsam Normalität ein. Das Finale war eines der ersten friedlichen Massenereignisse nach der Dunkelzeit. Und der Fußball war noch längst nicht so geldgeil, so weltfremd und so durchgeknallt wie heute. Er verhieß Ablenkung, Hoffnung und einen Aufbruch in bessere Zeiten.

In ganz Nürnberg herrschte grenzenlose Euphorie. Der Club war bis dahin schon sechs Mal Meister gewesen, erstmals 1919/20, auch damals kurz nach einem Weltkrieg. Der Gegner im Kölner Stadion schien übermächtig zu sein, der 1. FC Kaiserslautern galt mit seinen Wunderstürmern Fritz und Otmar Walter als unbesiegbar. Aber auch der Club hatte trickreiche Spieler in seinen Reihen, auch wenn Spielführer Willi "Billi" Billmann wegen eines Kieferbruchs ausfiel. Aber es gab auch noch Max Morlock, der 1954 zur Weltmeisterelf zählte und schon in der Saison 1947/48 stolze 30 Tore schoss.

Im Stadion selbst herrschte, ähnlich wie jetzt, eine Gluthitze. 306 000 Karten waren angefordert worden, nur gut jeder Vierte bekam eine. 10 000 gefälschte Billetts sollen in Umlauf gebracht worden sein. "Die 1000 Club-Schlachtenbummler machen mit ihren Kuhglocken, Trompeten und Sirenen einen Höllenlärm", ist in dem Buch "Der Club - 100 Jahre Fußball" zu lesen. "Club-Torhüter Schaffer holt die schwersten Bomben aus den Ecken", in diesem Stil berichteten die Zeitungen, die noch von der Kriegsrhetorik gefärbt waren.

Ein Wahrsager hatte prophezeit: "Der Sieger wird drei Tore schießen, jedoch eines wird von Übel sein." Es sollte alles genau so eintreffen. Nach 25 Minuten führte der Club mit 2:0, dann fiel ein Tor von Übel, ein Eigentor der Nürnberger, das ihnen aber nicht mehr schadete. "Kaiserslautern stirbt in Schönheit", stellte die SZ fest. Nach dem Schlusspfiff war das Spielfeld von Menschen überflutet, der Siegerkranz konnte deshalb dem Spielführer Kennemann nicht umgehängt werden. Als die Mannschaft am Montagabend nach Nürnberg zurückkam, wurde sie von 100 000 euphorisierten Fans empfangen. Die geplante Begrüßungszeremonie musste wegen des Gedränges der Menschenmasse ausfallen.

Die Nürnberger gewannen 1948 ihre siebte Deutsche Meisterschaft, zwei sollten noch folgen, in den Jahren 1961 und 1968. Nur Bayern München hat öfter den Titel geholt. Und doch hat kein Verein der Bundesliga die Treue seiner Anhänger derart auf die Probe gestellt wie der Club. Gleich achtmal stieg Nürnberg seit 1969 aus der Bundesliga ab, zuletzt 2014, das ist ein einsamer Rekord. Kein Wunder, dass die Anhänger nicht immer freundlich über ihren Verein reden: "Der Club is a Depp", sagen sie, doch meistens hängen sie einen versöhnlichen Nachsatz dran: "Aber ich mochnern." Nun ist der Club wieder in die Bundesliga aufgestiegen. Aber so schön wie 1948 wird's wohl nie wieder werden.

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