Geschäfte mit Gammelfleisch:Schlachthof-Gaunereien

Tierschutzprobleme auf Schlachthöfen

Womöglich einem neuen Ekelfleischskandal ist die Staatsanwaltschaft in Coburg auf der Spur. Bereits aussortiertes Fleisch wurde zurückgeholt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Kontrolleure halten das Fleisch für ungeeignet für den menschlichen Verzehr - und trotzdem wird es weiter verhökert. Am Schlachthof in Coburg wird seit Jahren Gammelfleisch umetikettiert. Nach Zeugenaussagen und einem anonymen Brief ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Von Uwe Ritzer, Coburg

Bisweilen bricht am städtischen Schlachthof in Coburg in den frühen Morgenstunden eine doch recht ungewöhnliche Hektik aus. Außerhalb des regulären Schlachtbetriebes fahren dann Autos vor, meist sind es Kleintransporter, deren Fahrer hinterher mutmaßlich heiße Ware einladen: von amtlichen Lebensmittelkontrolleuren als ungeeignet für den menschlichen Verzehr aussortiertes Gammelfleisch, das quasi über Nacht illegal zum Lebensmittel umdeklariert wurde. Die Abnehmer sollen vorwiegend Metzger und Gastronomen sein, die ihrer Kundschaft die wahre Herkunft des Fleisches verschweigen. Seit mehr als einem Jahrzehnt sollen diese schmutzigen Geschäfte bereits laufen.

All das behaupten ein aktueller und ein ehemaliger Mitarbeiter des Coburger Schlachthofes, die sich unabhängig voneinander dem Fernsehmagazin "quer" des Bayerischen Rundfunks anvertraut haben. Stimmt ihre Darstellung, dann droht ein in seinen Ausmaßen noch nicht absehbarer Gammelfleischskandal, der weit über Coburg hinaus reichen könnte. Tausende Tonnen für den menschlichen Verzehr nicht geeignetes Fleisch könnten in Umlauf gekommen sein. Die Behörden sind alarmiert. "Wir haben Ermittlungen eingeleitet", sagte der Leitende Coburger Oberstaatsanwalt Anton Lohneis am Donnerstag der SZ.

Im Coburger Schlachthof werden nach städtischen Angaben jedes Jahr etwa 29.000 Rinder, 40.000 Schweine, 150 Schafe und Ziegen sowie 20 Pferde geschlachtet. Dabei sortieren amtliche Veterinäre jene Fleischteile aus, die als völlig ungeeignet für den Verzehr sofort vernichtet werden müssen. Diese landen in abgeschlossenen Behältern und werden umgehend entsorgt. Als sogenanntes "K3-Fleisch" wird gekennzeichnet, was zwar beispielsweise zu Tierfutter weiterverarbeitet werden darf, als Lebensmittel für den Menschen jedoch ungeeignet ist. Dieses Material landet in eigenen, grauen Boxen.

Hygienisch unsägliche Bedingungen

Ein Schlachthof-Mitarbeiter behauptete am Donnerstagabend in "quer", dass ein Großteil dieser Ware nach Ablauf des regulären Schlachtbetriebes heimlich wieder hervorgeholt wird. Zum Teil hätte es als K3-Fleisch farblich markiert werden müssen, was jedoch bewusst unterblieben sei. Was noch einigermaßen unauffällig aussehe, werde abgetrennt und in rote Kisten und Fässer verpackt. Bisweilen würden die Stempel, mit denen die Amtstierärzte das Fleisch zuvor aus dem Verkehr zogen, einfach herausgeschnitten.

Das alles geschehe unter hygienisch unsäglichen Bedingungen. Bisweilen würden auch Papiere gefälscht. Die Ware werde dann in den frühen Morgenstunden an Weiterverarbeiter verkauft. Diese würden das eigentlich aussortierte K3-Fleisch mit hohen Gewinnspannen als Steaks oder Bratenstücke verkaufen oder auch zu Wurst weiterverarbeiten.

Den Schilderungen nach müsste ein gut organisiertes Netzwerk am Werk sein, dessen Gewinnspannen enorm wären. Ein ehemaliger Schlachthofmitarbeiter behauptet, all dies geschehe bereits seit mehr als einem Jahrzehnt. Die Schilderungen der beiden Informanten sind detailliert. Die Magazinsendung "quer" untermauerte ihre Aussagen mit heimlich gedrehtem Filmmaterial aus dem Schlachthof.

Die BR-Reporter beobachteten auch die An- und Abfahrt von Transportfahrzeugen auf dem nachts nicht überwachten Schlachthofgelände. Von den Reportern mit alledem konfrontiert, trommelte die Stadt Coburg alle relevanten Behörden zusammen. "Wir werden diese Angelegenheit lückenlos aufklären", sagte Stadtsprecher Michael Selzer. Andere Behörden und die Schlachthofverwaltung selbst wollten keine Stellungnahmen abgeben. Eine erste, unangemeldete Prüfung durch Lebensmittelkontrolleure am frühen Donnerstagmorgen habe keine Erkenntnisse gebracht, so Selzer.

Für die lokalen Behörden sind die Gammelfleisch-Vorwürfe nicht neu. Sie waren Thema eines anonymen Briefes, der Selzer zufolge Ende 2012 bei der Regierung von Oberfranken einging. Daraufhin habe es unangemeldete Kontrollen gegeben, die jedoch "überhaupt keinen Hinweis ergaben, dass irgendetwas nicht in Ordnung wäre", so Selzer. Der Schlachthof gehört der Stadt Coburg, ist jedoch an zwei große und etwa 20 kleine Fleischbetriebe zur Nutzung vermietet. Sie verkaufen ihre Ware zum Teil landesweit. Unter Kommunalpolitikern sorgt der Schlachthof angesichts eines Defizits von 300.000 Euro pro Jahr schon lange für Diskussionen.

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