Die Stadt Gersthofen hält nach jahrelanger Debatte an der umstrittenen Wernher-von-Braun-Straße fest. Der Stadtrat sprach sich am Mittwochabend mehrheitlich gegen eine Umbenennung aus - obwohl ein vom Rathaus beauftragtes Fachgremium zuvor genau das empfohlen hatte. In der Stadt bei Augsburg wird seit Langem über die Wernher-von-Braun-Straße gestritten, schließlich gilt der Raketenentwickler unter Historikern als enger Kollaborateur der Nationalsozialisten, er war NSDAP-Mitglied und SS-Sturmbannführer. Zur Herstellung der von ihm entwickelten Flugwaffen, etwa der V2-Rakete, wurden Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge systematisch ausgebeutet. Bis zu 20 000 Menschen sollen dabei zu Tode gekommen sein. Nach 1945 machte er Karriere bei der US-Raumfahrtbehörde Nasa.
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Dass der Stadtrat wie schon vor zehn Jahren erneut gegen eine Umbenennung gestimmt hat, macht den Gersthofer Historiker und pensionierten Lehrer Bernhard Lehmann fassungslos. "Diese Entscheidung ist unerträglich und nicht akzeptabel", sagt Lehmann. Der Vorsitzende der Gersthofer Stolpersteininitiative kämpft vehement für eine bewusstere Erinnerungskultur, er brachte im Januar den entsprechenden Antrag in den Stadtrat ein. "Die historischen Belege von Brauns NS-Verstrickung sind erdrückend."
Der Stadtrat betraute anschließend einen Fachbeirat mit der Frage. Der kam zur Einschätzung: Wernher von Braun muss weichen. "Wir haben ihn explizit und einstimmig als Täter hervorgehoben, der an den Verbrechen beteiligt war", sagt Josef Pröll, der als Opfervertreter in dem Gremium saß. Dass der Stadtrat diese Empfehlung überging, sei "beschämend. Das wirft ein schlechtes Licht auf Gersthofen". Sein Onkel Fritz Pröll kam 1944 im KZ Mittelbau-Dora ums Leben - dort, wo Brauns Raketen unter menschenunwürdigen Bedingungen in unterirdischen Stollen gefertigt wurden.
"Was hätten wir damals getan?"
Warum setzte sich die Mehrheit im Stadtrat über die Empfehlung hinweg? Auch Michael Wörle, Erster Bürgermeister von Gersthofen (parteilos), kommentiert die Entscheidung mit "Unverständnis". Er selbst habe für die Umbenennung gestimmt, sagt er am Freitag zur SZ. Aber er müsse und werde das demokratische Votum des Stadtrats akzeptieren. "Wir können nicht alle zwei Jahre über diese Frage abstimmen." Man dürfe die Ablehnung der Namensänderung nicht mit einer Sympathiebekundung für Wernher von Braun verwechseln.
CSU-Stadtrat Michael Fendt begründet sein Nein zum Beispiel damit, dass er sich eine kritische Auseinandersetzung mit Braun als Person wünscht. Dazu würde eine Umbenennung nicht beitragen. Stattdessen beschloss der Stadtrat, Infotafeln an mehreren Straßenschildern mit historisch belasteten Namensgebern anzubringen. Fendt erhofft sich einen "Bildungseffekt". Er stellt sich zudem die Frage, ob man aus heutiger Sicht nicht zu leichtfertig über die Vergangenheit urteile. "Was hätten wir damals getan?"
In anderen Kommunen Bayerns hat man sich schon lange von dem problematischen Namenspaten losgesagt. Im Nachbarort Friedberg wurde das Wernher-von-Braun-Gymnasium 2014 umgetauft, es heißt seitdem Staatliches Gymnasium. In Memmingen wurde die Wernher-von-Braun-Straße zur Rudolf-Diesel-Straße umgewidmet.
Auch in Gersthofen wähnte man sich auf einem guten Weg. 2018 wurde eine Mittelschule nach der kommunistischen Widerstandskämpferin Anna Pröll benannt, Josef Prölls Mutter. Von dort bis zur Wernher-von-Braun-Straße sind es nur ein paar Hundert Meter.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels war zu lesen, dass Bürgermeister Michael Wörle gegen eine Umbenennung der Wernher-von-Braun-Straße gestimmt habe. Das ist falsch, er stimmte dafür. Wir haben den Fehler korrigiert und eine Stellungnahme des Bürgermeisters ergänzt, die erst nach Redaktionsschluss einging.