Süddeutsche Zeitung

Geroldshausen:Massenmörder, in Stein gemeißelt

Auf einem Gedenkstein in Franken steht der Name eines Auschwitz-Arztes. Nun sucht der Gemeinderat nach dem richtigen Umgang.

Von Olaf Przybilla, Geroldshausen

Gunther Ehrhardt ist nicht in Unterfranken geboren, ein Zugezogener also. Dass einer der federführenden Auschwitz-Ärzte aus Geroldshausen stammt, das hat er gewusst, natürlich. Immerhin ist Ehrhardt seit zwei Jahren Bürgermeister der 1250-Einwohner-Gemeinde bei Würzburg. Dass der Name des SS-Mediziners aber auch auf dem Kriegerdenkmal mitten im Ort in Stein gemeißelt ist, das weiß Ehrhardt erst seit Kurzem.

Zu passenden Gelegenheiten haben sie im Ort dort Kränze niedergelegt und sich verneigt, auch der Bürgermeister. Was aber heißt schon "passende Gelegenheit", wenn doch auf dem Denkmal dieser Name prangt: "Dr. Ed. Wirths", laut Inschrift gestorben am 20. September 1945. Niemand hegt ernsthafte Zweifel daran, wer damit gemeint ist: Es ist Eduard Wirths, der KZ-Standortarzt in Auschwitz. Ein Mitorganisator des Völkermords.

Verneigen vor einem Massenmörder? Wer mit Ehrhardt spricht, bekommt einen Eindruck davon, wie sehr ihn die Anfrage des Mitteldeutschen Rundfunks erschüttert haben muss. Der MDR hatte sich mit Wirths beschäftigt, der in den 1930er-Jahren an der Uniklinik Jena tätig war - und ist auf das Kriegerdenkmal in Franken gestoßen, laut Inschrift den "Gefallenen und vermissten Brüdern zum Gedächtnis" gewidmet. Schon so gesehen ist Wirths' Name auf dem Stein ein Hohn: Der fiel nicht im Krieg, sondern erlag 1945 den Folgen eines Suizidversuchs in einem britischen Internierungslager, in dem NS-Kriegsverbrecher inhaftiert waren. "Dieser Name hat auf diesem Denkmal nichts zu suchen", sagt Ehrhardt.

Wie er da drauf kam? Inzwischen wissen sie im Ort, dass sechs Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg entschieden wurde, das bereits bestehende Kriegerdenkmal zu erweitern. Der Auftrag wurde an ein Steinwerk aus dem Ort vergeben, naheliegenderweise, könnte man sagen. Aber naheliegend ist in dem Fall offenbar kaum etwas. Der Betrieb für Steinmetzarbeiten war in der Hand von Verwandten Wirths'.

Aber: All die Jahre danach, da mindestens müsste dieser in Stein gemeißelte Name eines Massenmörders doch jemandem aufgefallen sein? Die Frage treibe ihn auch um, sagt der Bürgermeister. Es gebe Ältere im Ort, die sagten zu ihm, natürlich hätten sie zigmal vor diesem Denkmal gestanden. Aber die Namen lesen?

Für Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, ist die fortlaufende Ehrung dieses Mannes unerträglich. Wirths war SS-Mann auf eigenen Wunsch, er hat an der Rampe im Lager Tausende ins Gas geschickt oder von ihm untergebenen Ärzten schicken lassen. Da sei diese Erwähnung auf einem Ehrenmal seiner Heimatgemeinde für die Überlebenden von Auschwitz "nicht nur eine historische Lüge, die sie entsetzt und empört" - sondern auch "ein trauriges Zeichen dafür, wie schwer es mancherorts Menschen in Deutschland immer noch fällt, sich ehrlich und würdevoll mit der mörderischen Vergangenheit der eigenen Umwelt und dem Leid der Opfer auseinanderzusetzen", teilt Heubner mit.

Der Göttinger Historiker Stefan Hördler hat sich seit Jahren mit dem SS-Arzt beschäftigt, dass Wirths "einer der zentralen Protagonisten des Komplex Auschwitz" war, darüber gebe es keinerlei Zweifel, sagt er. Nicht umsonst war Wirths der Vorgesetzte von Josef Mengele. Warum Wirths so viel weniger bekannt ist? Habe viele Gründe, sagt Hördler. Dass Wirths - anders als Mengele - 1945 einem Suizid erlegen ist, spiele wohl auch eine Rolle.

Und nun? Hat der Gemeinderat von Geroldshausen beraten, was zu tun ist. "Einfach herausmeißeln", war eine Option, berichtet der Bürgermeister. Man habe sich aber entschieden, den Namen auf dem Stein vorerst gemeinsam "auszuhalten", sich beratende Unterstützung zu suchen und erst dann zu entscheiden, ob eine Namenstilgung überhaupt hinreichend wäre. Oder ob man viel mehr tun müsste. Alle verurteilten aufs Schärfste die Taten Wirths'. Auch habe eine noch im Ort lebende Familie ein Schreiben verlesen lassen, sagt Ehrhardt. Die Beteiligung des Familienmitglieds an den in Auschwitz verübten Verbrechen wolle man nicht "leugnen oder beschönigen", wurde den Gemeinderäten mitgeteilt.

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SZ vom 11.03.2021/amm
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