Messerattentat von Würzburg:"Kein wirres Zustechen"

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Der Vorwurf lautet auf Mord in drei Fällen und versuchter Mord in elf Fällen: Abdirahman J. steht seit Ende April 2022 vor Gericht. (Foto: Heiko Becker/IMAGO/HMB-Media)

Am siebten Tag im Verfahren zur Messerattacke von Würzburg zeigen Videos Erschütterndes aus Vernehmungen mit Abdirahman J. Ein Gutachter sieht Anhaltspunkte für ein zielgerichtetes Vorgehen.

Von Clara Lipkowski, Würzburg/Estenfeld

Er wird immer wieder laut. "Verstehen Sie das", ruft er, "die Stimmen!" Sie hätten ihn angewiesen. Sie hätten gesagt: Töte sie! "Nur Frauen?", fragt ein Polizist. "Alle!" Abidirahman J. gestikuliert, er steht auf, setzt sich, breitet die Arme aus, zeigt Stichbewegungen mit der rechten Hand, so wie damals, in Richtung der Opfer, in Richtung ihrer Hälse. "Warum auf die Hälse?", fragt ihn der Polizist. "Ich weiß es nicht", sagt J. Er lässt den Arm sinken. Später sagt er wieder: "Ich bin nur diesen Stimmen gefolgt."

Abdirahman J. ist an diesem Mittwoch doppelt vor Gericht zu sehen, einmal im Video, wie er diese Aussagen macht, in einem Verhörraum, gut vier Monate, nachdem im Sommer 2021 mitten in Würzburg drei Menschen durch seine Messerstiche starben und neun weitere verletzt wurden. Um ihn herum: Dolmetscherin, Verteidiger, Polizei. Das zweite Mal nun, wie er in einer Turnhalle in Estenfeld, die dem Landgericht Würzburg als Gerichtssaal dient, sich selbst bei der Aussage zusieht. J., in Fußfesseln und dunkler Kleidung, blickt auf die große Leinwand. Er folgt dem, was auch die Richter sehen, die Nebenklagevertreterinnen, die Handvoll Zuschauer. Dann senkt J. seinen Kopf auf die Unterarme auf dem Tisch vor sich. Er vergräbt sein Gesicht, als ertrage er seinen Anblick nicht.

Das Video zeigt an diesem siebten von 27 angesetzten Verhandlungstagen Einblicke in die Lebenswelt des Beschuldigten, wie es sie noch nicht zu sehen gab. Einmal hatte sich J. über seinen Anwalt geäußert, nun hört man im Video ganze Tiraden von ihm. J., wie er auf seine Dolmetscherin beim Verhör einredet, wie er den LKA-Beamten auf Deutsch anherrscht, "die Akte bitte" zuzumachen. Dass er zurück in seine Heimat Somalia wolle oder in ein anderes EU-Land. Dass er von deutschen Sicherheitsbehörden "gequält" worden sei. J., wie er schildert, er habe vier Tage vor dem Attentat Stimmen gehört und dann im Kaufhaus Woolworth getötet und schließlich auf dem Barbarossaplatz Menschen attackiert, aber die seien "auf der Hut" gewesen vor ihm. Ja, sagt er. Ja. Er habe damit gerechnet, an diesem Tag sterben zu können.

Abdirahman J. trägt auch am siebten Verhandlungstag im Gerichtssaal Fußfesseln. (Foto: Heiko Becker/IMAGO/HMB-Media)

Seine Video-Aussagen werden in der Turnhalle genauestens verfolgt. Denn es geht in diesem Prozess weiter um die Frage, ob J., heute wahrscheinlich 32, genau wissen es die Behörden nicht, schuldfähig war oder womöglich akut psychotisch zustach. Die Täterschaft wird nicht bezweifelt. Ein Gutachter kommt an diesem Mittwoch zu dem Schluss: Es sei "kein wirres Zustechen", sondern "zielgerichtet". J. habe von den Opfern abgelassen, wenn sie zu Boden gingen. J.s Anwalt Hans-Jochen Schrepfer warnt vor Mutmaßungen.

Ein weiteres, noch bedrückenderes Video zeigt J. frontal im Krankenbett. Der Mann liegt auf dem Rücken, die Handgelenke am Bett fixiert. Es ist der 25. Juni 2021, kurz nach 23 Uhr. Die Taten sind gerade sechs Stunden her. Mit geschlossenen Augen wiederholt er immergleiche undeutliche Sätze in immer derselben Tonlage. Eine Dolmetscherin, Polizisten, Ärzte reden auf ihn ein, doch je lauter sie werden, umso lauter wird auch er, irgendwann schreit er. Die Vernehmung wird abgebrochen. Der Vorsitzende Richter unterbricht die Verhandlung.

Zeuginnen, die schließlich Vorfälle mit J. schildern, verstärken das Bild, dass der Mann psychisch krank ist. Eine Frau sah ihn lange vor C&A stehen, regungslos, in die Leere starrend. Eine Polizistin bestätigt die Starre. Eine andere Beamtin erzählt, wie sie den Mann in Würzburg auf Streife mitnahm, weil er zuvor in das Auto eines Fremden ein- und erst nicht mehr ausgestiegen war. Auch da: völlige Reaktionslosigkeit. Ein Arzt berichtet: "Er war bei mir in der Sprechstunde. Ein ganz normaler Patient." Erst später hätten sich psychische Beschwerden gezeigt, J. habe gesagt, er werde vom deutschen Geheimdienst überwacht.

Wie also passt das alles zusammen? Handelte er psychotisch? Steigerte sich seine Krankheit bis zur Tat? Im Saal wirkt J. anwesend, aber angestrengt. Im ersten Video sagte er noch: "Es tut mir leid." Reue äußerte J. auch zu Beginn der Verhandlung. Am ersten Tag, als er die Taten über seinen Verteidiger einräumte. Der Prozess soll am 14. Juni fortgesetzt werden.

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