Vielleicht war das Klo verstopft, vielleicht tropfte auch nur der Wasserhahn. Der Präsident des Oberlandesgerichtes (OLG) Nürnberg war mit dem Problem jedenfalls überfordert. Ein Fachmann musste her. Wie günstig, wenn man Handwerker im Haus hat. Drei bis vier Mal, so fanden jetzt Sonderermittler heraus, habe ein Haustechniker des Nürnberger Justizpalastes in der Privatwohnung des OLG-Präsidenten Wolfgang S. "während der Dienstzeit unentgeltlich Installationsarbeiten durchgeführt".
Jeweils etwa drei Stunden lang. Und weil der Gerichtspräsident überhaupt sehr sparsam war, habe er sich von Justizbediensteten während deren Dienstzeit fünfmal Installationsmaterial, eine Batterie und einmal Lackfarbe besorgen lassen. Bezahlt hat der OLG-Chef die Ware aus eigener Tasche; eingekauft wurde aber über die Dienststelle - denn die bekam bei den Händlern Sonderrabatte.
Über viele Jahre hinweg scheint bei Teilen des Führungspersonals im Nürnberger Justizpalast diese Art von Selbstbedienungsmentalität üblich gewesen zu sein. Wie selbstverständlich ließen sich zwischen 1978 und 1998 zwei OLG-Präsidenten und zwei Generalstaatsanwälte die Reifen ihrer Privatautos in der Dienstwerkstatt für Justizfahrzeuge von den dortigen Bediensteten wechseln. Mal in deren Mittagspause für ein Trinkgeld, häufig aber auch während der regulären Dienstzeit. Praktischerweise wurden die Sommer-und Winterreifen auch gleich im Werkstattkeller eingelagert. So sparte man sich Zeit und Geld.
Der zwischen 1987 und 1998 amtierende OLG-Chef Wolfgang S. schätzte den Installations- und Autoservice offenbar besonders. Er ließ seinen Privatwagen dem Vernehmen nach sogar vom Dienstfahrer in die Justizwerkstatt fahren. Und etwa 40 mal pro Jahr ließ er sich vom Chauffeur zu den wöchentlichen Treffen seines Rotary-Clubs kutschieren - im Dienstwagen. Also fast jede Woche.
Generalstaatsanwalt Heinz S. nutzte die Dienste der Werkstatt sogar noch nach seinem Ausscheiden in den Ruhestand im Jahr 2005. Unter anderem habe er einmal den Wagen seiner Tochter dort reparieren lassen. Und als Heinz S. mit seinem Auto liegenblieb, habe er das Gefährt kurzerhand zur Werkstatt abschleppen lassen. Auch für die amtierende Leiterin der Asservatenstelle bei der Nürnberger Staatsanwaltschaft scheinen Reifenlagerung und -wechsel in der Dienstwerkstatt bis 2008 fünf Jahre lang eine Selbstverständlichkeit gewesen zu sein. Immerhin scheint die Juristen Wolfgang S. und Heinz S. die Einsicht zu plagen. Sie haben sich bereit erklärt, 1000 beziehungsweise 500 Euro an gemeinnützige Einrichtungen zu zahlen.
Pannen ud Fehler Einzelner
Diese und andere pikante Vorgänge sind im Untersuchungsbericht von Rüdiger Hödl und Helmut Vordermayer nachzulesen, den Justizministerin Beate Merk (CSU) in Auftrag gegeben hat und der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Merk hatte den pensionierten Chef der Münchner Staatsanwaltschaft und den amtierenden Leiter der Strafverfolgungsbehörde in Traunstein im März als Sonderermittler nach Nürnberg geschickt. Die beiden Staatsanwälte sollten Hinweisen auf Missständen in der Justiz nachgehen, die Mitarbeiter in der Süddeutschen Zeitung und den Nürnberger Nachrichten erhoben hatten. Der Abschlussbericht wird am heutigen Donnerstag im Landtag vorgelegt - nebst einer elfseitigen Bewertung durch die Ministerin.
"Überwiegend", zieht Merk darin als Fazit, hätten sich "die in den Medien erhobenen Vorwürfe als unberechtigt herausgestellt." Strukturelle Schwachstellen bei der Nürnberger Justiz gebe es nicht; es handele sich vielmehr um Pannen oder Fehler Einzelner. Soweit möglich habe man diese inzwischen abgestellt. Hödl und Vordermayer beklagen "teilweise unwahre und ehrverletzende Behauptungen und Andeutungen" in den Medien, die sich "erheblich auf das Befinden, die Motivation und sogar die Gesundheit" der Nürnberger Justizmitarbeiter auswirkten. Zugleich räumen die Sonderermittler ein, dass einiges schief gelaufen ist in der Nürnberger Justiz. Und zwar über Jahre hinweg.
So wurden in dem politisch brisanten Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung gegen den früheren Strauß-Freund und inzwischen verstorbenen Rüstungsunternehmer Karl Diehl tatsächlich Akten an dessen Anwälte geschickt, die diese gar nicht hätten sehen dürfen. Schuld daran sei gewesen, dass der Leiter der Hauptregistratur im Justizpalast eine anderslautende Verfügung des Behördenleiters "nicht verinnerlicht" und nicht an seine Untergebenen weitergeleitet habe, so die Ministerin.
In der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft, wo es nach Aussage von Justizbediensteten bisweilen schlampig zuging, spricht Merk vorsichtig von "gewissen Defiziten im Vollzug der geltenden Vorschriften". Als "verzögerte Sachbehandlung" wertet sie, dass die Verantwortlichen in der Asservatenkammer 20600 Euro, die bei einem Verdächtigen beschlagnahmt worden waren, erst 19 Monate nach einer entsprechenden Anordnung des zuständigen Staatsanwaltes beim Amtsgericht hinterlegt haben. Aber immerhin sei das Geld ja ordnungsgemäß bei der Landesjustizkasse eingezahlt und dort korrekt verwahrt worden, so die Ministerin. Dass Justizbedienstete bisweilen T-Shirts oder Kindersocken mit nach Hause nahmen, die andernfalls vernichtet worden wären, komme künftig nicht mehr vor, betont sie. "Eindeutig widerlegt" (Merk) seien Vorwürfe, wonach Gefälligkeiten von Kollegen intern mit Geschenken aus den Asservatenbeständen entlohnt wurden.
Als rechtlich korrekt stuften die Sonderermittler die Praxis der Nürnberger Staatsanwaltschaft in Raubkopier-Fällen ein. Mehrfach hatte man Verfahren gegen viele hundert Abnehmer illegaler Raubkopien eingeleitet und sofort wieder eingestellt. Damit wurde die eigene Erfolgsstatistik um viele hundert scheinbar gelöste Fälle nach oben gejagt. Ein solches Vorgehen sei erst im Nachhinein landesweit untersagt worden, so Hödl und Vordermayer. Juristisch war es bis dahin korrekt. Doch "einen praktischen Nutzen für die Strafverfolgung hatte eine derartige getrennte Eintragung nicht", befinden die Sonderermittler.