Gericht:Prinzipieller Streit

Die Auseinandersetzung um die Karwendelbahn ist völlig verfahren

Von Stephan Handel

Die Situation ist verfahren, das zeigt sich an der Sitzordnung: Erst geht's eine Stunde von links nach rechts, dann in die andere Richtung. Weil es sich aber nicht um ein Fußballspiel handelt, sondern um eine Sitzung am Landgericht München I, der 5. Kammer für Handelssachen, weiß der Prozessbeobachter gleich: Es klagt mal wieder jeden gegen jeden.

Zunächst einmal wendet sich die Gemeinde Mittenwald gegen die Karwendelbahn AG, was schon einigermaßen merkwürdig ist, weil die Gemeinde 32 Prozent an der AG hält, also gegen sich selber klagt. Nach einer Stunde wird's noch komplizierter, obwohl die handelnden Personen die gleichen sind. Nun klagt eine "Beteiligungen im Baltikum AG" gegen die Karwendelbahn, die jetzt repräsentiert wird durch jene Menschen, die gerade noch als Kläger auftraten, vornehmlich den Mittenwalder Bürgermeister Adolf Hornsteiner. Auf der Gegenseite, zunächst als Beklagte, dann als Kläger: Wolfgang Wilhelm Reich und Wolfgang Erhard Reich, ersterer Sohn des zweiten, der als Rechtsanwalt gleich die Prozessvertretung übernommen hat.

Es geht an diesem Vormittag vordergründig um zwei Beschlüsse aus der Hauptversammlung der Karwendelbahn AG. Tatsächlich aber geht es um sehr viel mehr und um ganz anderes - um einen Streit, der nicht lange auf sich warten ließ, als Wolfgang Wilhelm Reich im Jahr 2012 ein Unternehmen erwarb, dem wiederum die Mehrheit an der Karwendelbahn gehörte. So wurde der Geschäftsmann aus Heidenheim an der Brenz zum Chef jener Bahn, die seit rund 50 Jahren Bergtouristen zur Westlichen Karwendelspitze gondelt.

Wolfgang Wilhelm Reich einen umstrittenen Unternehmer zu nennen, fällt nicht schwer - zahllos sind die Berichte über zumindest merkwürdiges Geschäftsgebaren, auch eine strafrechtliche Verurteilung wegen Verstößen gegen das Aktienrecht steht zu Buche, eine Bewährungsstrafe gab's dafür 2014. Zahllos sind die Firmen, die er gegründet und gekauft hat, fast undurchdringlich die Quer- und Überkreuzverbindungen zwischen ihnen. In Mittenwald also trifft Reich auf den Bürgermeister Hornsteiner. 2016 verhandeln die beiden über einen Verkauf der Reich-Anteile an die Gemeinde. Reich sagt, man sei sich einig gewesen: knapp 2,5 Millionen Euro für 17 000 Aktien. Nicht bedacht jedoch hatte er, dass ein Geschäft in dieser Größe vom Gemeinderat genehmigt werden muss - was nicht gelang, 1,36 Millionen wollten die Lokalpolitiker höchstens ausgeben, zudem Einblick in die Bücher haben.

Seitdem dampft der Streit. Reich erteilt Hornsteiner ein Haus- und Betretungsverbot, der wehrt sich mit einer einstweiligen Verfügung. Es gibt Vorwürfe wegen angeblicher Schwarzbauten und die Drohung, die Bahn nicht mehr fahren zu lassen - eine Option, die sich die Touristen-Gemeinde Mittenwald sicher nicht leisten kann. Angesichts der verfahrenen Situation appelliert Helmut Kreneck, der Vorsitzende Richter, in der Verhandlung dringend, doch noch einmal über einen Verkauf nachzudenken. Das aber, sagt Wolfgang Reich hinterher, komme für ihn nicht in Frage: "Lieber verlier ich zwei Millionen. Jetzt geht's ums Prinzip."

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