Bairische Sprachwurzel für Gerhard Polt:"Da muss man ein bisserl Mitleid haben, wenn man mit so einer Spracharmut leben muss"

Bairische Sprachwurzel für Gerhard Polt: Kabarettist Gerhard Polt ist mit der Bairischen Sprachwurzel ausgezeichnet worden.

Kabarettist Gerhard Polt ist mit der Bairischen Sprachwurzel ausgezeichnet worden.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Denn das Bairische sei wie ein Ozean, sagt Polt. Der große Bayernphilosoph bekommt den Preis für seine Verdienste um das bairische Idiom - und auch wegen eines Interviews, das er komplett auf Mittelbairisch gab.

Von Hans Kratzer, Regensburg

Als Gerhard Polt am Samstag als Preisträger die Bairische Sprachwurzel entgegennahm, erzählte er, er habe kurz vorher im Autoradio eine Sprecherin gehört, die virtuos ankündigte, sie werde demnächst einen Ho-Agascht moderieren. Indem sie den bairischen Diphthong "oa" durch die Überbetonung der Vokale o und a quasi ignorierte, machte die ansonsten gut gelaunte Frau deutlich, dass ihr der mundartliche Begriff Hoagascht (geselliges Musizieren) entweder nicht geläufig oder vielleicht auch nicht geheuer ist.

Dieses Fremdeln mit der hiesigen Sprachtradition ist in Funk und Fernsehen keine Seltenheit mehr. Dass das Bairische mit all seinen Variationen ganz allgemein an Schwindsucht leidet, ist freilich kein Geheimnis. Die Malaise bläht sich ja schon seit Jahrzehnten auf. Der Kabarettist Georg Ringsgwandl, auch er ein Sprachwurzelträger, brachte das Problem einst kurz und bündig auf den Punkt: "Boarisch is a sterbende Sprache."

Um auf den Wert dieses Kulturguts aufmerksam zu machen, kam der Bund Bairische Sprache vor 20 Jahren auf die Idee, alljährlich eine Bairische Sprachwurzel zu verleihen. Und zwar an Personen, die sich nicht scheuen, bei öffentlichen Anlässen und in den Medien das regionale Idiom zu verwenden. Am Samstag wurde die Sprachwurzel zum 19. Mal verliehen, und zwar an den großen Bayernphilosophen Gerhard Polt, der in vielen Sprachen dieser Welt zuhause ist und gerade deshalb die Besonderheiten des Bairischen hervorzuheben vermag.

Er verglich diese Sprache mit dem Reichtum eines Ozeans, "wir haben wirklich allen Grund, dass wir damit ein großes Selbstbewusstsein haben", sagte er. Mit Menschen, denen das Bairische nicht zu eigen sei, teile er jedes Mitgefühl, fuhr Polt fort, seien sie doch in stärkerem Maße von einer Spracharmut geplagt. Sich mit so wenig Ausdrücken durchs Leben schlagen zu müssen, sei wahrlich nicht leicht.

Sepp Obermeier, der Vorsitzende des Bundes Bairische Sprache, hob daraufhin hervor, Polt sei nie der Versuchung erlegen, Bairisch als exotisches Idiom für billige Lacherfolge oder als Kommerzvehikel einzusetzen. Das Preisvergabekriterium habe er in einem Interview, das er dem Bayerischen Rundfunk durchgängig auf Mittelbairisch gab, übererfüllt.

In der großen Tradition altbayerischer Sittenprediger des Barock

Laudator Reinhard Wittmann, der frühere Literaturchef des Bayerischen Rundfunks, sagte, diesmal sei weniger der Preis eine Ehrung für den Preisträger als der Preisträger eine Ehrung für den Preis. Es gebe keine andere Persönlichkeit, die in Deutschland so sehr das bairische Idiom verkörpere wie Gerhard Polt, betonte Wittmann. Der Kabarettist stehe nicht nur in der großen Tradition altbayerischer Sittenprediger des Barock, sondern darüber hinaus wie kein Zweiter für die Originalität, den Einfallsreichtum, die Lebendigkeit und die Ausdrucksfülle des Bairischen.

Dennoch werde die rasant im Schwinden begriffene bairische Sprache das 21. Jahrhundert kaum überleben können, unkte Wittmann. Ungeachtet dessen stärke Polt das regionalsprachliche Selbstbewusstsein so nachhaltig, dass viele Elemente der heutigen bairischen und südhochdeutschen Sprache Eingang in die Alltagssprache künftiger Generationen fänden.

Die Vergabe der Sprachwurzel fand diesmal im Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg statt. Dieses erwies sich schon insofern als ein passender Ort, als dort nicht nur die starke Verwobenheit Bayerns in Europa belegt wird, sondern auch ein Wirtshaus integriert ist, das dem Preisträger wie auch dem Publikum ideale Möglichkeiten schuf, die sprachtheoretischen Erörterungen bei Speis und Trank fortzusetzen.

Wie tief europäisch gefärbt und verflochten das Bairische ist, zeigte sich beispielhaft in der lebhaften Diskussion, die Hausherr Richard Loibl und Dialektpapst Ludwig Zehetner mit Polt über das Verbum dachen (krampfeln, stehlen) führten. Als Polt eine Verbindung zum italienischen Wort taccheggiare ins Spiel brachte, resultierte daraus eine Unterhaltung, die jedem Sprachsymposium zur Ehre gereicht hätte. Wobei die Debatte ganz im Poltschen Sinne mit viel Humor gewürzt war, also mit einem - ähnlich wie das Bairische - neuerdings von allen Seiten bedrohten Kulturgut.

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