Geothermie im Ostallgäu:Revolution in 4500 Metern Tiefe

Pilotprojekt zu Geothermie

Geothermie ist die Energie der Zukunft, sagen Experten. Das Bild zeigt eine Tiefenbohrung im Münchner Süden.

(Foto: Frank Mächler/dpa)

Im Ostallgäu wollen Experten ein neues Verfahren der Geothermie-Nutzung erproben. Sie bezeichnen ihr Projekt als revolutionär und absolut ungefährlich. Doch viele Bürger sind beunruhigt. Sie sprechen von Fracking und befürchten, dass es sogar zu einem Erdbeben kommen könnte.

Von Stefan Mayr und Christian Sebald

Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) fördert das Projekt, beteiligt sind so renommierte Institute wie das Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam und die TU Bergakademie Freiberg. Bei "Geothermie Allgäu 2.0" in Mauerstetten im Ostallgäu geht es um Erdwärme, also um eine regenerative Energie. Sollte das Projekt erfolgreich sein, würde dies eine Revolution der Geothermie-Nutzung in Bayern einleiten.

Denn dann könnte man die Wärme aus Gesteinsschichten in 3000 bis 5000 Metern Tiefe auch dann nutzen, wenn die Bohrung auf zu wenig oder überhaupt kein heißes Thermalwasser stößt, das man zur Energieerzeugung nach oben fördern kann. Das sagt zumindest Herbert Klapperich, Professor an der Freiberger Bergakademie. Im Ostallgäu herrscht dagegen große Unruhe. Viele sprechen von Fracking und befürchten, dass es infolge des Versuchs sogar zu einem Erdbeben kommen könnte.

Ursprünglich war "Geothermie Allgäu 2.0" ein konventionelles Geothermie-Projekt, wie man sie inzwischen überall in Südbayern kennt. 2008 setzte das Unternehmen Exorka in Mauerstetten bei Kaufbeuren eine gut 4500 Meter tiefe Bohrung ins Kalkgestein - in der Erwartung, in der Tiefe auf mehr als hundert Grad heißes Wasser zu treffen. Wie in der Geothermie üblich, sollte es nach oben gepumpt werden, um damit Strom und Wärme zu erzeugen. Die Erwartungen wurden enttäuscht. Man traf kein heißes Wasser an, nur heißes Kalkgestein. Das Bohrloch wurde ungenutzt verschlossen, man hatte Millionen Euro buchstäblich im Boden versenkt. Zumindest erschien es so.

Denn alsbald überlegten Exorka, die Forscher an der Freiberger Bergakademie und am Potsdamer GFZ sowie die Experten am Bundesumweltministerium, wie man das Bohrloch doch noch nutzen könnte. Ihre Idee: "Wir stimulieren das heiße Kalkgestein in der Tiefe so, dass sich dort wasserdurchlässige Klüfte und Risse bilden", sagt Professor Klapperich. "Gelingt das, dann stoßen wir womöglich doch noch auf heißes Wasser, das man hochpumpen kann."

Aber selbst bei einem Fehlschlag wäre das Ganze nicht vergeblich. "Dann pumpen wir kaltes Wasser von oben in 4500 Meter Tiefe hinunter", sagt Klapperich. "Es fließt durch das Gestein, erhitzt sich, wir fördern es wieder nach oben und gewinnen Wärme und Strom aus ihm." Der Name der Technologie: petrothermale Geothermie.

"Wir könnten beinahe überall Geothermie-Kraftwerke bauen"

Die Idee klingt brillant. "Mit dem Verfahren wären der Geothermie in Bayern Tür und Tor geöffnet, denn dann bräuchte man kein heißes Wasser mehr im Untergrund", sagt Erwin Knapek. "Es genügt ein Gestein, das wir wasserdurchlässig machen können." Sogar der klüftige Granit in der Oberpfalz, wo bisher keine Geothermie möglich ist, könnte laut Knapek genutzt werden. "Wir könnten beinahe überall Geothermie-Kraftwerke bauen."

Wenn Knapek das sagt, muss etwas dran sein. Der Physiker und Ex-Kommunalpolitiker ist Geothermie-Pionier der ersten Stunde. Er hat das Geothermie-Kraftwerk in Unterhaching bei München initiiert, das erste seiner Art in Deutschland. Inzwischen ist Knapek Vorsitzender des Branchenverbands "Wirtschaftsforum Geothermie".

In Mauerstetten soll die petrothermale Geothermie erstmals in Deutschland erprobt werden. Dazu will man eine Salzsäurelösung in die Tiefe pumpen. "Damit stimulieren wir das Kalkgestein in einem Umkreis von etwa 250 Metern, damit die gewünschten Klüfte und Risse entstehen", sagt Exorka-Chef Curd Bems. Außerdem soll flüssiges Kohlendioxid zum Einsatz kommen. Beides sei, so Bems, absolut ungefährlich. Der Druck, mit dem die Lösung ins Gestein injiziert werde, sei sehr maßvoll; nur zehn Bar höher als der Druck, der ohnehin in 4500 Metern Tiefe herrscht.

"Völlig ungewisser Ausgang für die Bevölkerung".

So faszinierend das Projekt für die Forscher ist, die Leute im Ostallgäu sind höchst beunruhigt. Kritiker sagen, das Verfahren ähnele dem umstrittenen Schiefergas-Fracking, bei dem in den USA massive Umweltschäden aufgetreten sind. Andere beunruhigt, dass unlängst bei einer Geothermie-Tiefenbohrung im schweizerischen St. Gallen ein Erdbeben ausgelöst wurde, das Medien zufolge sogar Häuser beschädigt hat.

"Wir fürchten, dass Hab und Gut unserer Bürger in Mitleidenschaft gezogen werden", sagt der Mauerstettner Bürgermeister Armin Holderried (Unabhängige Wählergruppe). Deshalb stehe der Gemeinderat dem Projekt kritisch gegenüber. Auch Kaufbeurens OB Stefan Bosse (CSU) äußert sich vorsichtig: "Wir fordern, dass der Grundwasserschutz und der Versicherungsschutz gesichert sind", sagt er. "Die Risiken müssen beherrschbar sein." Bosse will Geothermie nicht pauschal verurteilen. Aber er versteht die Ängste der Bevölkerung, der eine Beurteilung des Projekts "wirklich nicht einfach" gemacht werde. Bosse: "Die einen sagen, es ist Fracking, die anderen sagen, es ist kein Fracking."

Der Bund Naturschutz (BN) meldet ebenfalls Kritik an. Den BN-Energieexperten Herbert Barthel stört grundsätzlich, dass in Mauerstetten die petrothermale Geothermie-Nutzung erprobt werden soll, wo es in Südbayern doch ausreichend Potenzial für konventionelle Geothermie gebe. Außerdem ist es für ihn "nicht akzeptabel", dass in den Projektunterlagen einige Chemikalien genannt werden, die nicht in ihrer Wirkungsweise beschrieben werden.

Für den Chemiker Barthel ist das Forschungsprojekt eine "Quasi-Fracking-Technologie", er lehnt sie ab. Auch Peter Orendi vom Ostallgäuer BN befürchtet "versuchs- und forschungsbedingte Unwägbarkeiten", die selbst die Firma "noch nicht kennt". Er nennt das Vorhaben ein "Labor-Projekt mit einem völlig ungewissen Ausgang für die Bevölkerung".

"Mit Fracking rein gar nichts zu tun"

Exorka, Knapek und Klapperich weisen die Kritik zurück. "Die Gesteins-Stimulierung, die hier erprobt werden soll, hat mit Fracking rein gar nichts zu tun", sagt Knapek. Zum einen werde Schiefergas-Fracking in sehr viel geringeren Tiefen angewendet als die Gesteins-Stimulierung bei der petrothermalen Geothermie. "Bei Fracking geht es um Tiefen von 1000 Metern und weniger", sagt Knapek. "Damit ist man in Schichten, aus denen Trinkwasser gefördert wird, da sind Umweltprobleme programmiert."

In Tiefen von 3000 bis 5000 Metern wie in Mauerstetten sei das nicht der Fall. Zum anderen arbeite man bei Schiefergas-Fracking mit höchst aggressiven Chemikalien, welche aus Furcht vor Wettbewerbs-Nachteilen oft nicht einmal öffentlich gemacht würden. "Salzsäure-Lösungen und flüssiges Kohlendioxid dagegen sind bestens erprobt und bewährt", sagt Knapek. "Sie werden sogar bei Trinkwasser-Bohrungen eingesetzt."

Auch die Umweltminister in Berlin und München stehen zu dem Versuch. Bundesminister Altmaier schließt Gefahren "nach menschlichem Ermessen" aus, wie er den Kaufbeurer CSU-Bundestagsabgeordneten Stephan Stracke wissen ließ. Das Erdbeben-Risiko werde überwacht, das chemische Risiko sei "minimal". Und abgesehen von "geringen Mengen an Bioziden", sei für das Verfahren "kein Einsatz von giftigen Komponenten erforderlich".

Auch für Altmaiers bayerischen Kollegen Marcel Huber (CSU) ist das Vorhaben mit "umfangreichen Fracking-Maßnahmen zur systematischen, flächenhaften Erschließung unkonventioneller Erdgaslagerstätten nicht zu vergleichen". Den Kaufbeurer OB Bosse beruhigt das nicht. "Wir warten auf den Genehmigungsbescheid", sagt er, "dann entscheiden wir, ob wir klagen oder nicht."

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