Georgensmünd:Der merkwürdige "Reichsbürger" P.

  • Sogenannte "Reichsbürger" behaupten, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort, deshalb erkennen sie die Bundesrepublik nicht an.
  • Im fränkischen Georgensmünd ist der Konflikt mit dem Staat nun eskaliert. Ein Mann feuert auf einen SEK-Trupp und verletzt zwei Beamte schwer.
  • Ein Polizist erliegt seinen Verletzungen.

Von Andreas Glas und Olaf Przybilla

Was ist mit der eigenartigen Fahne, die im Garten ihres Nachbarn weht - ein Fetzen mit zwei Löwen auf weißem Grund? Mag sein, sagt die Frau im Jogginganzug, dass sie dieses Stück Stoff schon mal wahrgenommen habe. Aber einordnen habe sie es nicht können. Sie kennt den Nachbarn, seitdem er ein Kind war, Wolfgang P. ist in Georgensgmünd groß geworden, 49 Jahre ist er alt. "Kein leichtes Leben" habe der Mann gehabt. Aufgewachsen bei der Großmutter, die Mutter habe sich das Leben genommen. Als die Mauer fiel, habe er wohl "irgendwas mit Versicherungen oder Vermögensverwaltung" in den neuen Ländern gemacht. Das erzählen sie alle in der Siedlung der 6700-Einwohner-Gemeinde, aber wirklich gekannt haben will ihn da kaum einer.

Wie kann so etwas sein? "Der war einfach so g'spinnert", sagt eine 84-jährige Nachbarin. Einer, den man grüßt, mit dem man aber möglichst wenig zu tun haben will. "Reichsbürger"? "Was soll das denn sein?", fragen mehrere Nachbarn, als hätten sie sich abgesprochen. Rechtsextremist? "Ich glaub, ich werd' verrückt", sagt die 84-Jährige. "Das muss ich erst mal verkraften."

SZ-Karte

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G'spinnert. So ähnlich formuliert das auch Joachim Herrmann (CSU), als er am Mittwochvormittag vor einer Wand aus Kameras und Mikrofonstangen Platz nimmt. Wenn man mit einem sogenannten Reichsbürger zu tun habe, sagt Herrmann, "dann sagt man auf den ersten Blick: Der spinnt. Aber wenn das zu brutaler Gewalt gegenüber Vertretern unseres Staates führt, dann ist das eben keine Spinnerei mehr."

Der bayerische Innenminister ist ins Landratsamt nach Roth gekommen, um der Öffentlichkeit zu erklären, was ein paar Stunden zuvor, um sechs Uhr früh, im benachbarten Georgensgmünd passiert ist: Bei einer Razzia schießt Wolfgang P. in seinem Haus auf Polizisten. Vier Beamte werden verletzt, einer von ihnen lebensgefährlich. Der 32-jährige Beamte eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) sei operiert worden, sein Zustand "eher stabil, aber durchaus lebensgefährlich", sagt Herrmann. Am Abend meldete die Polizei Mittelfranken den Tod des Beamten, widerrief die Mitteilung aber kurz darauf wieder. In der Nacht zu Donnerstag erlag der Mann seinen schweren Verletzungen in einer Klinik.

Die "Reichsbürger" erkennen die heutige Bundesrepublik nicht an. Es handle sich vor allem um Einzelpersonen, "die mit pseudojuristisch verbrämten Argumentationen absurde Thesen zum Fortbestehen des Deutschen Reichs vertreten, Fantasie-Papiere benutzen und sich gänzlich als außerhalb des deutschen Staatswesens verstehen", heißt es aus dem Bundesinnenministerium.

Der "Reichsbürger" in Georgensgmünd besaß mehr als 30 Kurz- und Langwaffen. Ein Arsenal, aber alles legal, denn als Jäger und Sportschütze hatte Wolfgang P. einen Waffenschein. Zuletzt hielten die Behörden den Mann allerdings für "nicht mehr zuverlässig für den Besitz einer Waffe", sagt Johann Rast, Polizeipräsident von Mittelfranken. Weil sich der 49-Jährige weigerte, die Waffen abzugeben, fuhr am Mittwochmorgen auf dessen Grundstück das Spezialeinsatzkommando vor, um die Waffen zu beschlagnahmen. Mit Blaulicht und Martinshorn, "um ihm zu zeigen, dass nicht irgendwelche Einbrecher" ans Werk gehen, sagt der Polizeipräsident.

Doch genau dafür hält dieser "Reichsbürger" die deutsche Polizei offenbar: für Einbrecher, die ohne Rechtsgrundlage in sein Leben als Nicht-Bundesbürger eindringen. Darauf war P., ein kräftiger Mann mit Glatze, offenbar vorbereitet. Als die SEK-Beamten seine Haustür aufbrechen, hat er sich bereits eine Schutzweste übergezogen, eine Waffe in der Hand. Womöglich, sagt der Polizeipräsident, seien Weste und Waffe "neben seinem Bett" parat gelegen.

Von oben, aus dem ersten Stock, eröffnet der Mann sofort das Feuer auf die Polizisten, er schießt durch eine geschlossene Tür. Er trifft einen SEK-Beamten "am Rand der Schutzweste", einen anderen am Arm, zwei weitere werden durch Glassplitter verletzt. Erst danach können die Polizisten den Schützen überwältigen.

Er bot sich als Trainer an - für Gewaltprävention

Als er davon gehört habe, sei er "aus allen Wolken gefallen", sagt der Geschäftsstellenleiter der Gemeinde Georgensgmünd, Ralf Allgaier. Auch wenn sie Bescheid wussten im Ort, dass ein Einsatz geplant war bei P. Seit etwa neun Monaten sei der Mann auffällig gewesen. Er schaltete eine Anzeige in der Lokalzeitung, in der er kundtat, dass er das Grundgesetz ablehne. Und unterzeichnete sie, gemeinsam mit anderen "Reichsbürgern" aus dem Landkreis, mit Fingerabdruck. Seinen Personalausweis gab er bei der Gemeinde ab, den brauche er nicht, sagte er. Man habe ihm den wieder zurückgeschickt, sagt Allgaier.

'Reichsbürger' schießt auf Polizisten

Auf dem Grundstück des "Reichsbürgers" in Mittelfranken steht eine Flagge mit der Aufschrift ´Plan".

(Foto: dpa)

Wahrscheinlich haben manche im Ort die Anzeige in der Lokalzeitung gelesen. Aber so richtig ernst scheint das kaum jemand genommen zu haben in Georgensgmünd. "Ach, wissen Sie, das ist einfach ein Einzelgänger", sagt ein 58-Jähriger, der Wolfgang P. hat aufwachsen sehen. "Seit seine Oma gestorben ist, ist der immer verschrobener geworden", erzählt er, "das hat dem einen Schlag versetzt." Und mit dem Gerichtsvollzieher habe P. wohl auch zu tun gehabt, sagt Allgaier.

Auch anderen Behörden war Wolfgang P. bekannt. Zum ersten Mal klingelten Zollbeamte Ende Mai an dessen Haustür. Um Kfz-Steuern zu vollstrecken, die der Mann nicht zahlen wollte. Weil er sich beharrlich weigerte, schickte das Landratsamt zwei Mitarbeiter, um zu prüfen, ob der Mann zuverlässig ist. Eine Frau habe seine Mitarbeiter aber vom Grundstück gescheucht, sagt Landrat Herbert Eckstein. Bei einem zweiten Versuch habe Wolfgang P. die Landratsamtsmitarbeiter dann selbst "sehr harsch des Grundstücks verwiesen".

Als P. im Juli auch noch seinen Wohnsitz abmeldete, aber trotzdem in seinem Haus, das er von der Großmutter geerbt hatte, wohnen blieb, stattete ihm das Landratsamt im Juli einen weiteren Besuch ab - um zu kontrollieren, ob er seinen großen Waffenbestand ordentlich verwahrt. Da auch dieser Versuch scheiterte, wurde Wolfgang P. Anfang August ein Anhörungsschreiben übergeben, das er allerdings nicht ausfüllte. Stattdessen schrieb er noch am selben Tag direkt an Landrat Herbert Eckstein, um ihm mitzuteilen, "dass er sich an staatliche Maßnahmen nicht hält", wie Eckstein sagt. Daraufhin entzog ihm die Behörde die Waffenbesitzerlaubnis. Weil er auch darauf nicht reagierte, kam es schließlich zu dem folgenschweren Polizeieinsatz.

In Mittelfranken hatte sich P. als Trainer für fernöstliche Kampfkunst versucht, vor zwei Jahren wurde er ausgezeichnet. Wing Tsun heißt der Kampfstil, P. warb damit, bei ihm könne man etwas über "Gewaltprävention" lernen. Andreas Ertl leitet in München eine Akademie für diese Sportart. Er sagt: "Ich bin entsetzt." Man lehre diese Form der Selbstverteidigung auch an Schulen, wähle die Trainer sorgfältig aus. "Dieser Mann hat so ziemlich das Gegenteil von dem gemacht, was wir lehren." Die Staatsanwaltschaft Nürnberg hat gegen Wolfgang P. einen Haftbefehl beantragt - wegen versuchten Mordes.

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