Im Fall des wegen Mordes verurteilten Manfred Genditzki hat das Landgericht München jetzt Termine für die Anhörung von Zeugen und Sachverständigen angesetzt, um über eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den 61-jährigen ehemaligen Hausmeister zu entscheiden. Genditzki wurde im Januar 2012 zu lebenslanger Haft verurteilt, weil das Gericht es als erwiesen ansah, dass er im Oktober 2008 die 87-jahrige Lieselotte Kortüm in ihrer Wohnung in Rottach-Egern nach einem Streit in der Badewanne ertränkt habe. Die Möglichkeit, dass die alte Dame auch durch einen Unfall zu Tode gekommen sein könnte, hatte das Gericht kategorisch ausgeschlossen.
Im Juni 2019 beantragte Genditzkis Anwältin Regina Rick die Wiederaufnahme des Verfahrens. Der Antrag stützt sich auf neue Gutachten, die belegen, dass Lieselotte Kortüm auch durch einen Sturz in die Lage geraten sein konnte, in der sie aufgefunden wurde, und dass sie sich bei einem solchen Sturz auch zwei Blutergüsse am Kopf zugezogen haben konnte, die vom Gericht als Beweis für ein Gewaltverbrechen angesehen wurden. Ferner hatte sich eine Zeugin gemeldet, die bestätigte, dass Lieselotte Kortüm die feste Angewohnheit hatte, ihre Wäsche in der Badewanne einzuweichen, eine Möglichkeit, die das Gericht ebenfalls ausgeschlossen hatte.
Die 1. Strafkammer am Landgericht München I unter dem Vorsitz von Richterin Elisabeth Ehrl brauchte 18 Monate, um über den Wiederaufnahmeantrag zu entscheiden. Im Dezember 2020 wies die Kammer schließlich den Antrag als unzulässig zurück. Das Oberlandesgericht München hob diesen Beschluss im September 2021 auf und stellte ausdrücklich fest, dass durch die neuen Gutachten maßgebliche Annahmen des verurteilenden Gerichts "ernstlich in Frage gestellt" würden und ein Unfallgeschehen "nicht mehr auszuschließen" sei. Im Dezember 2021 hatte eine Bürgerinitiative in einem offenen Brief an Justizminister Georg Eisenreich appelliert, sich für einen zügigen Fortgang des Verfahrens einzusetzen.
Dass sich das Gericht so viel Zeit nahm, über die Wiederaufnahme des Verfahrens zu entscheiden, hat jetzt möglicherweise fatale Folgen für die Wahrheitsfindung. Am 26. Januar beschloss die zuständige Strafkammer - es ist dieselbe, die den Wiederaufnahmeantrag schon für unzulässig erklärt hatte - die Anhörung der in dem Antrag genannten Zeugen und Sachverständigen. Eine Woche später, am 3. Februar, starb in Ludwigsburg die 61-jährige Christiane E., die wichtige Kenntnisse über die Lebensgewohnheiten der Lieselotte Kortüm hatte und die vom Gericht als Zeugin geladen werden sollte.
Die Anhörung der Sachverständigen soll am 19. April beginnen und wird sich voraussichtlich bis Ende Mai hinziehen. Sie findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Außer den von der Verteidigung benannten Gutachtern will das Gericht auch eigene Sachverständige benennen, darunter einen Rechtsmediziner des Universitätsklinikums in Essen. Ein Gerichtsmediziner aus München hatte 2012 maßgeblichen Anteil an der Verurteilung Genditzkis, weil er das Gericht davon überzeugte, dass Lieselotte Kortüm nicht durch einen Sturz in die Position gelangt sein könne, in der sie aufgefunden wurde.