Das Telefonat mit Michael Hartmann steckt noch in anfänglichen Höflichkeiten, da ist schon klar, wie es beim Blickkontakt ums Gendern steht: Der Betreuungslehrer der Schülerzeitung am Regensburger Von-Müller-Gymnasium spricht den Glottisschlag. Und wenn der Lehrer gendert, wenn er "Autor - Pause - Innen" sagt, dann gendert bestimmt auch die Redaktion, oder? Na klar, sagt Hartmann.
Eine ehemalige Chefredakteurin des Blickkontakt habe ihm vor Jahren "die Leviten gelesen", seither bemühe er sich, beim Sprechen an den Glottisschlag zu denken. Die Schülerinnen und Schüler in der Redaktion beschlossen damals, im Heft statt dem generischen Maskulinum oder männlichen und weiblichen Doppelformen das Wortkonstrukt mit Doppelpunkt in der Mitte zu verwenden. Dadurch sollen auch non-binäre Menschen mitgemeint sein. Anfangs sei Gendern individuelle Meinungsäußerung der Schreibenden gewesen, sagt Hartmann, mittlerweile eine grundsätzliche Linie fürs Heft.
Nun gilt seit Anfang April in Bayern das sogenannte Genderverbot. Und nicht nur an Schulen, Hochschulen und Universitäten fragen sich viele Sympathisanten des Genderzeichens, was darf ich noch?
Eigentlich ergänzte die Staatsregierung die Allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) nur um einen Satz, von einer "Präzisierung" ist offiziell die Rede. Denn auch vor dem ersten April waren Bayerns Behörden, staatliche Schulen und Universitäten sowie Hochschulen, dazu angehalten, sich an die amtliche Rechtschreibung und die Empfehlungen des Rechtschreibrates zu halten. Der empfiehlt, keine sogenannten Wortbinnenzeichen zu verwenden. Mit der Ergänzung sind nun Sternchen, Doppelpunkte, Lücken oder Mediopunkte ausdrücklich "unzulässig".
Während viele Mitarbeiter rätseln, was alles unter schriftliche Kommunikation fällt, stellt sich auch in Schülerzeitungsredaktionen die Frage: Dürfen wir noch? Die Lösungsansätze sind vielfältig.
Der Regensburger Deutschlehrer Hartmann ist tiefenentspannt: "Wir sind eine städtische Schule, wir haben von der Stadt nichts gehört und auch nicht nachgefragt. Wir sehen uns einfach als nicht betroffen an." Das Verbot kam in einer Redaktionssitzung einmal kurz auf und war danach nie wieder Thema. Für städtische Behörden gilt die AGO nicht, der Freistaat kann ihnen lediglich "empfehlen" genauso zu handeln. Die grün-rot regierte Stadt München stellte zum Beispiel nach Bekanntwerden des Genderverbots sofort klar, die Regel ignorieren zu wollen.
Dass das Genderverbot die Schülerzeitungen an staatlichen Schulen betrifft, hält Hartmann für ein "großes Problem". Gendern ist für ihn Meinungsäußerung der Schüler und Schülerinnen.
Auch in Mühldorf am Inn herrscht Widerstandsgeist: Das neue Heft des Innfloh war längst fertig als die AGO geändert wurde, auf dem Cover sollte diesmal "Schüler:innenzeitung" stehen, im Heft wird sowieso gegendert. "Der Erlass hat uns getroffen", sagt Betreuungslehrerin Bettina Harnischmacher. Damit die Schulleitung keine Probleme bekommt, änderte die Redaktion das Titelblatt: Auf der neuen Innfloh-Ausgabe steht wieder "Schülerzeitung". "Sehr schweren Herzens", sagt Harnischmacher. Die Texte im Heft blieben unverändert, dort sind wie bisher Binnen-Doppelpunkte zu finden.
Talkrunde nach der Veranstaltung:Söders sexistische Bemerkung am Nockherberg
War da was? Vielen Zuschauern fielen am Mittwochabend die Nüsschen aus der Hand, als Markus Söder eine chauvinistische Bemerkung an Journalistin Ursula Heller richtete. BR-Moderatorin Caro Matzko bezeichnet den Kommentar als "ganz massiv daneben".
Der Entschluss, im Heft zu gendern, sei nicht hoppla hopp gefallen: "Wir haben alle Zeichen ans Whiteboard geschrieben, diskutiert und uns dann für den Doppelpunkt entschieden, weil der am ästhetischsten ist und den Lesefluss nicht so unterbricht", erzählt Harnischmacher. Dass die Redaktion gendere, sei kein "politisches Statement", sondern etwas Natürliches, Selbstverständliches für die Jugendlichen. "Ich bedaure, dass man uns die Freiheit nimmt, die Freiheit uns auszudrücken". Auch die Lehrerin spricht den Glottisschlag. "Ich kann nicht mehr ohne."
Dass ihr Kollege Hartmann in Regensburg sich nicht ums Sonderzeichenverbot scheren muss? "Ich beneide ihn darum", sagt Harnischmacher. Sie kennen sich, Blickkontakt wie Innfloh landen seit Jahren auf den ersten Plätzen des bayerischen Schülerzeitungswettbewerbs "Blattmacher", den die SZ gemeinsam mit dem bayerischen Kultusministerium und der Nemetschek Stiftung veranstaltet. Genderthemen und Artikel zu LGBTQI finden seit Jahren Niederschlag in den Magazinen aller Schularten. Auch im Siegerheft der Blattmacher-Kategorie Realschulen 2022/23, Girls Power & Everybody der Münchner Elly-Heuss-Realschule sind Gendersternchen zu finden. Als städtische Schule ist die Redaktion allerdings nicht von der AGO betroffen.
Die Antwort auf die Frage, inwieweit Redaktionen gendern dürfen, liegt in den Details. Laut dem Kultusministerium ist es entscheidend, wer die Zeitung herausgibt. Erscheint das Schülermagazin als Organ der Schule, etwa der Schülermitverantwortung (SMV), gilt die Zeitung als Druckwerk schulischer Gremien. Gender-Sonderzeichen wären dann verboten. Das gilt auch für den Jahresbericht oder Elternbriefe. Erscheint die Zeitung aber im Sinne des Bayerischen Pressegesetzes (BayPRG), gilt die AGO nicht. Dafür müssen sich die Nachwuchsredaktionen zum Beispiel an die journalistische Sorgfaltspflicht halten und einen Verantwortlichen im Sinne des Pressegesetzes benennen.
Einen Strafenkatalog für renitente Genderer gibt es laut Innenministerium nicht. Die Schulleitung müsste "das Gespräch suchen" heißt es dazu aus dem Kultusministerium.
Wie sehr die bayerischen Schülerinnen und Schüler sich mit dem Genderverbot beschäftigt haben, wird die neue Runde des Blattmacher-Wettbewerbs zeigen. Die eingesandten Schülerzeitungen sind in der Regel sehr aktuell und oft äußerst politisch. Noch bis zum 7. Juni können Redaktionen ihre Hefte für diese Wettbewerbsrunde einschicken.
Mitmachen können alle Schülerzeitungen von Grundschulen, Mittelschulen, Förderschulen, Realschulen, Gymnasien und Beruflichen Schulen aus Bayern. Es werden auch Preise für die besten Online-Schülerzeitungen vergeben.
Die drei besten Redaktionen jeder Kategorie erhalten ein Preisgeld. Auf die ersten Plätze wartet zudem ein besonderes Belohnungsprogramm. Einzureichen sind sechs gedruckte Exemplare einer Ausgabe, die zwischen 17. Juni 2023 und 7. Juni 2024 erschienen ist. Bei reinen Online-Schülerzeitungen genügt das Absenden des Anmeldeformulars. Die Preisverleihung findet voraussichtlich am 19. Juli 2024 in München statt.
Mehr Informationen zur Teilnahme gibt es unter sz.de/blattmacher-wettbewerb.