Süddeutsche Zeitung

Gelockerte Residenzpflicht:Flüchtlinge sollen sich in Bayern frei bewegen können

Die CSU gibt eine Säule ihrer harten Asylpolitik auf: Bayern will die Residenzpflicht lockern. Laut Innnenministerium könnte die Aufenthaltsbeschränkung auf einen Regierungsbezirk "in absehbarer Zeit" aufgehoben werden.

Von Dietrich Mittler und Mike Szymanski

In einem zentralen Punkt der bayerischen Asylpolitik hat Innenminister Joachim Herrmann (CSU) Bewegung signalisiert. In "absehbarer Zeit" werde im Freistaat die Residenzpflicht für Asylbewerber weiter gelockert, sodass sich diese künftig innerhalb der Landesgrenzen frei bewegen können. Dies wird seit Jahren von Flüchtlingsorganisationen gefordert, stieß aber stets auf vehementen Widerstand der Staatsregierung.

Vor allem Herrmann hatte stets zu bedenken gegeben, eine Liberalisierung führe nur dazu, dass Flüchtlinge in die Ballungsräume strömten. Nun lässt seine jüngste Bemerkung aufhorchen: "Von uns aus gibt es da keine Vorbehalte", sagte der Minister, nachdem das Kabinett am Dienstag stundenlang über Bayerns Flüchtlingspolitik gesprochen hatte.

Herrmann bestätigte am Mittwoch der SZ: "Wir haben uns im Bundeskoalitionsvertrag darauf verständigt, an der Residenzpflicht für Asylbewerber grundsätzlich festzuhalten, jedoch weitere Lockerungen vereinbart. An diese Vereinbarung werden wir uns ohne Wenn und Aber halten." Demnach ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Bayern Flüchtlingen erlaubt, was in nahezu allen anderen Bundesländern längst gang und gäbe ist: Bewegungsfreiheit.

Praktisch hätte Bayern jetzt schon die Möglichkeit, per Rechtsverordnung die Residenzpflicht zu lockern. Herrmann will aber eine Reform des Asylverfahrensgesetzes im Bund abwarten. CDU, CSU und SPD hatten im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass die Residenzpflicht auf das jeweilige Land ausgeweitet werden soll. Zudem sollen Flüchtlinge das Gebiet des jeweiligen Landes für bis zu eine Woche ohne Erlaubnis verlassen dürfen, wenn der auswärtige Aufenthaltsort vorab mitgeteilt wird. Darüber verhandeln die Koalitionspartner derzeit in Berlin.

Dort wie in Bayern herrscht die Einschätzung, dass dies auch so kommen wird. Man befinde sich mitten in Gesprächen. "Umgesetzt werden diese Vorgaben im Vollzug des Asylverfahrensgesetzes vom Bund", sagte Herrmann zum weiteren Verfahren. Konkrete Termine konnte er nicht nennen.

Bayern war bezüglich der Residenzpflicht immer besonders restriktiv. Ursprünglich durften sich Flüchtlinge nur in dem Landkreis aufhalten, in dem sie untergebracht waren, und brauchten Genehmigungen, wenn sie diesen verlassen wollten. Dies hatte die Staatsregierung unter Horst Seehofer 2010 bereits abgeschwächt und den Aufenthalt im gesamten Regierungsbezirk geduldet. Ende 2013 konnte Bayerns neue Sozialministerin Emilia Müller (CSU) verkünden, dass die umstrittenen Essenspakete abgeschafft und durch Geldleistungen ersetzt würden. Zudem sollten die Asylbewerber schneller eine Arbeitserlaubnis bekommen. Und: Bayern erhalte eine dritte Erstaufnahme-Einrichtung.

CSU-Pläne kommen bei der Opposition gut an

Bei der Residenzpflicht sah die Staatsregierung in der Folge keinen weiteren Handlungsbedarf. Ministerpräsident Horst Seehofer lehnte eine Ausweitung über die Bezirksgrenzen ab - mit dem Hinweis, dass dann "die allermeisten Asylbewerber nach München und Nürnberg ziehen" würden. Dass in dieser Frage nun aber doch Bewegung hereinkommt, freut insbesondere Martin Neumeyer, den Integrationsbeauftragten der Staatsregierung. Er begrüßte die jüngsten Äußerungen seines Parteifreundes Herrmann: "Das freut mich, eine auf die Regierungsbezirke beschränkte Residenzpflicht ist einfach nicht mehr zeitgemäß", sagte er. Dazu seien die Menschen einfach viel zu mobil.

Neumeyer hatte bereits vor drei Wochen dafür plädiert, dass sich die Flüchtlinge in ganz Bayern frei bewegen können sollten. Das kam auch bei der Landtagsopposition gut an. Die SPD-Sozialexpertin Angelika Weikert hatte allerdings Zweifel: "Ich hoffe nur, dass Herr Neumeyer sich bei seinen CSU-Parteikollegen durchsetzen kann", sagte sie im August. Das ist nun offenbar geschehen. "Warum nicht früher?", fragt Weigert nun. Die Residenzpflicht sei eine völlig überholte bürokratische Auflage, die vor allem deshalb eingeführt worden sei, damit Asylbewerber in Deutschland nicht mehrfach Sozioalhilfeantrag stellen können. Diese Gefahr sei längst auf anderem Wege gebannt, sagte Weigert.

Anfang kommender Woche wird Sozialministerin Müller - wie von der Opposition gefordert - über die äußerst angespannte Situation in den bislang noch zwei bayerischen Erstaufnahme-Einrichtungen für Asylbewerber in München und in Zirndorf berichten, die angesichts der hohen Zahl an neu eintreffenden Asylbewerbern hoffnungslos überfüllt sind.

Am Dienstag hatte dazu das Kabinett eine Reihe von Maßnahmen beschlossen: So etwa soll die Unterbringungskapazität nun in den kommenden drei Monaten schrittweise um 3100 weitere Aufnahmeplätze erhöht werden. Bereits einen Tag nach der Kabinettssitzung stellte Müller nun ein Grundstück in Augsburg vor, in dem eine neue Aufnahme-Einrichtung für Asylbewerber nahe dem Flugplatz entstehen soll. Sie betonte, momentan befinde man sich in "einer Ausnahmesituation".

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SZ vom 11.09.2014/bica
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