Kriminalität:"Geldautomaten-Sprengungen sind die Banküberfälle der Moderne"

Lesezeit: 3 min

Mitarbeiter der Kriminaltechnik untersuchen eine schwer beschädigte Volksbank-Filiale. Nach mehreren Attacken in Bayern und Baden-Württemberg führten Polizisten am Montag in den Niederlanden eine Razzia durch. (Foto: Markus Klümper/dpa)

Eine niederländische Bande hat in Bayern und Baden-Württemberg mehr als zehn Millionen Euro Schaden angerichtet. Nun wurden neun Tatverdächtige verhaftet. Was über ihr gefährliches Vorgehen bekannt ist.

Von Florian Fuchs

Es ist exakt 3.03 Uhr, als am 25. Mai vergangenen Jahres zwei maskierte Männer in Jogginghosen im Vorraum der Raiffeisenbank Woringen mit Brecheisen hantieren und Kabel legen. Kurz darauf knallt es auf den Bildern der Überwachungskamera, ein roter Blitz: Als sich der Rauch verzieht, sind die Einzelteile eines Geldautomaten über den Boden verstreut zu erkennen. Wie in anderen Fällen sind die Täter wohl auch hier mit einem Audi RS6 Avant mit 600 PS geflüchtet, Benzinkanister im Kofferraum, um bei Bedarf schnell nachtanken zu können.

Der Weg vom Unterallgäu in die Niederlande ist weit, dort hatte die Bande ihr Quartier - bis die Polizei am Montag mit 270 Einsatzkräften und mehreren Staatsanwälten sowie Richtern zugriff und neun Männer festnahm. "Ein ganz wichtiger Schlag gegen das organisierte Verbrechen", sagt Harald Pickert, Präsident des Bayerischen Landeskriminalamts (LKA).

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Mehr als 50 Geldautomaten soll die Gruppe aus den Niederlanden in Bayern und Baden-Württemberg in den vergangenen Monaten gesprengt haben. Gesamtschaden: mehr als zehn Millionen Euro, wobei knapp mehr als die Hälfte davon nicht Beute ist, sondern Schäden an Gebäuden.

"Geldautomaten-Sprengungen sind die Banküberfälle der Moderne", sagt der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU), allein 37 davon gab es 2022 im Freistaat - ein Rekordwert. Mit bis zu 15 Jahren Haft müssen die Täter nun rechnen, unter anderem wegen versuchter Tötung: Teils lagen über den gesprengten Geldautomaten Wohnungen, es gab schon Verletzungen von Unbeteiligten. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) macht deshalb auch Druck auf Banken und Automatenhersteller: Die Polizei könne Täter inhaftieren, andere aber würden nachkommen. "Wirksam abschrecken lassen sie sich nur durch zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen an Geldautomaten."

Drei Täter sind noch flüchtig, nach ihnen wird europaweit gefahndet

15 Objekte durchsuchten die Ermittler am Montag in den Niederlanden, eines in Belgien. Drei Täter sind weiterhin flüchtig, nach ihnen wird europaweit gefahndet. Zwei hochmotorisierte Fahrzeuge stellten die Ermittler sicher, Tatwerkzeug, Handys und Laptops, die es nun auszuwerten gilt. Aber auch Bargeld in sechsstelliger Höhe sowie Luxusuhren, mutmaßlich mit dem erbeuteten Geld bezahlt. Neun Sprengstoffpakete lagerte die Bande - offenbar waren weitere Taten bereits geplant.

Die der Gruppe zuzurechnende Serie von Sprengungen begann nach bisherigem Ermittlungsstand im November 2021 im Unterallgäu: 287 000 Euro Beute, 150 000 Euro Schaden am Gebäude. Bayernweit waren die Täter aktiv, weshalb die Staatsanwaltschaft Bamberg alle Fälle an sich zog und zentral verfolgte, auch die aus Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem dortigen Landeskriminalamt. Eine Sprengung, erläutert LKA-Präsident Pickert, habe ein Zeitfenster von maximal drei bis vier Minuten, bevorzugt kommen die Täter nachts zwischen zwei und vier Uhr. Die betroffenen Geldautomaten spähen sie zuvor aus, meist liegen sie in Nähe einer Autobahn, also günstig für die Flucht. Während Täter früher Gas nutzten, ist inzwischen Festsprengstoff das Mittel der Wahl, der schneller anzubringen ist.

"Nicht auszudenken, wenn deshalb einmal ein Haus einstürzt", sagt Herrmann, der die Skrupellosigkeit der Täter betont. Über einem Geldautomat, den die jetzt ermittelte Gruppe sprengte, waren Wohnungen eines Altenheims, teils mussten bereits beschädigte Wohnhäuser evakuiert werden. Glassplitter fliegen bei solchen Explosionen meterweit in die Luft und über die Straße. Der Innenminister betont auch deshalb, dass Banken und Hersteller in der Pflicht ständen, Geldautomaten sicherer zu machen - um so Täter abzuschrecken.

Banken sollten den Bargeldstand reduzieren, sie sollten auch nachts ihre Foyers, in denen die Automaten stehen, für die Öffentlichkeit sperren. Als effektiv hätten sich auch Farbbeutel oder Klebesysteme erwiesen, die bei einer Sprengung eingelagerte Banknoten unbrauchbar machen. "Wir müssen dazu kommen, dass Banken solche Systeme deutlich anzeigen. Dadurch würde sich eine Sprengung nicht mehr lohnen."

In den Niederlanden haben die Banken reagiert

In den Niederlanden, berichtet Herrmann, habe es vor Jahren ebenfalls zahlreiche Fälle von Geldautomaten-Sprengungen gegeben. Weil die Banken dort reagierten und nun auf moderne Sicherheitssysteme setzten, seien die Taten dort stark zurückgegangen. Stattdessen verlagerten die Banden ihr Tätigkeitsfeld offenbar ins benachbarte Ausland, darunter auch Deutschland. Das LKA berät inzwischen hiesige Banken zu Sicherheitssystemen, in der kommenden Woche soll zum zweiten Mal ein Treffen mit Bankenverbänden im Landeskriminalamt stattfinden, um präventive Maßnahmen zu erörtern. Das Thema sei auch schon in der Innenministerkonferenz der Länder besprochen worden, sagt Herrmann.

Denn nicht nur in Bayern, auch bundesweit stieg die Zahl der gesprengten Geldautomaten auf einen Rekordstand von 493 Fällen im vergangenen Jahr. Die Zahl der traditionellen Banküberfälle ist deutschlandweit laut Bundeskriminalamt von mehr als 1600 im Jahr 1993 auf 28 im Jahr 2021 stark gesunken. Das liegt auch daran, dass die Banken immer mehr Filialen schließen, und die Zahl der Geldautomaten immer stärker zunimmt.

Die neun festgenommenen Tatverdächtigen der jetzt zerschlagenen Gruppe sollen innerhalb der nächsten drei Monate nach Deutschland ausgeliefert und später in Bamberg vor Gericht gestellt werden. Die Ermittler sprechen von einem Musterbeispiel grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Es handle sich bei den Männern verschiedener Nationalitäten "nicht nur um Fußvolk", wie Ermittler Jürgen Harle berichtet. Sie müssen mit langjährigen Haftstrafen rechnen: Das Landgericht München hat jüngst fünf Täter mit bis zu zwölf Jahren und sechs Monaten Haft bestraft, das Landgericht Nürnberg-Fürth hat in anderen Fällen Haftstrafen von bis zu sieben Jahren verhängt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusProzess in Augsburg
:"Ich dachte an dem Tag, dass ich sterben werde"

Ihre Familie will eine 16-Jährige töten, weil sie als Jesidin einen muslimischen Freund hat. Im Esszimmer diskutieren Vater und Brüder, wie man ihr am besten das Leben nimmt. Vor Gericht kommen diese und weitere Grausamkeiten ans Licht.

Von Florian Fuchs

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: