Süddeutsche Zeitung

Geisenhausen:Die Frau, die überall lieselt

Theresa Zellhuber, eigentlich studierte Rechtspflegerin, hat vor knapp zehn Jahren ihre Kunst gefunden. Seitdem strickt und häkelt sie Schmuck aus Gold, Silber und Kupfer. Diese Technik wirkt zwar sehr modern, doch bereits in der Antike wurde Geschmeide aus Drahtgeflechten getragen

Von Stephanie Probst, Geisenhausen

Draht, Zange, Hammer, Strickliesel, Häkelnadel. Das sind Theresa Zellhubers Werkzeuge, wenn sie ihre Schmuckstücke herstellt. Die Künstlerin strickt nämlich speziellen Schmuck, manchmal häkelt sie ihn auch: Ganz ähnlich wie Wolle oder Garn - nur mit Draht aus Gold, Silber, Kupfer oder anderen Edelmetallen. Heute verstrickt Theresa Zellhuber Silberdraht zu einem langen Schlauch mit einer selbstgebauten Strickliesel. Ein offener, großer Raum dient Zellhuber dafür als Werkstatt mit angeschlossenem Atelier. Die großen Fenster fluten den Raum mit hellem Tageslicht, trotzdem steht auf der Werkbank eine große Lampe, die einen Lichtkegel auf Zellhubers Hände wirft. "Ich liesele überall, auch beim Arzt oder auf dem Sofa", sagt Zellhuber, "nur hell genug muss es sein." Ganz leise klackt die Nadel an die Strickliesel aus Metall, wenn die 48-Jährige eine Schlaufe nach oben zieht. Klack, klack, klack - immer länger wird der Drahtschlauch. Daraus soll ein Armband werden. Dazu wird Zellhuber später den Metallschlauch platt pressen, das Silber mit einer Lauge schwärzen und mit einer kleinen Edelholz-Platte verzieren.

Auf dem großen Holztisch in der Mitte des Ateliers liegen Dutzende Armbänder, Ringe oder Ketten in kleinen schwarzen Kisten oder drapiert in hellen Holzrahmen - alle hergestellt mit einer Technik, die mehr als 2000 Jahre alt ist. Die Art, mit der Zellhuber ihren Schmuck herstellt und die so modern anmutet, gibt es bereits seit der Antike. Schon die alten Griechinnen trugen Schmuck aus Drahtgeflechten. Später im Mittelalter wurden an die gestrickten Metallschläuche Weihrauchfässchen gehängt.

Anders als bei herkömmlichen Ketten bestehen Zellhubers Schmuckstücke nicht aus einzelnen Elementen, sondern aus einem oder mehreren durchgehenden Drähten, die weich, biegsam und dünn wie Fäden sein müssen. Doch nicht nur Edelmetalldraht kommt zum Einsatz. Auch aus Papiergarn und Leder strickt oder häkelt sie Ketten, Armbänder, Ringe oder Ohrringe. Oft ergänzt sie ihre Schmuckstücke mit Horn oder Koralle, Edelhölzern und -steinen, hin und wieder sogar mit grafischen Gebilden aus dem 3D-Drucker. Ihre speziellen Stricklieseln stellt Zellhuber selbst her, zu kaufen gibt es diese nämlich nicht. Sie macht sie aus unterschiedlich dicken Kupfer-, Messing- oder Edelstahlrohren, ganz herkömmliche, wie sie auch die Heizungsbauer verwenden. An die Rohrstücke lötet sie gleichmäßig verteilt Dornen aus Neusilber. Herkömmliche Stricklieseln aus Holz verwendet Theresa Zellhuber nicht.

Mit der Zeit hat Zellhuber eine große Sammlung von Lieseln angehäuft. Mit jeder Liesel entsteht eine andere Kette. Je nachdem wie eng- oder grobmaschig das Drahtgeflecht werden soll, schweißt sie mehr oder weniger Zinken an das Kupferrohr. Je größer der Durchmesser des Rohres, desto größer wird auch der Drahtschlauch. Dazu kommt, ob sie mit dickem oder dünnem Draht lieselt, einfach, doppelt oder versetzt strickt. "Das Schmuckstück sieht immer ein wenig anders aus", sagt Zellhuber. Sollen Ringe oder Armbänder entstehen, drückt Zellhuber die Schläuche platt, Ketten zieht sie nach dem Lieseln durch ein Zugbrett mit verschieden großen Bohrlöchern, um Unebenheiten anzugleichen. Für Ohrringe oder Ringapplikationen häkelt sie bunten Draht zu kreisrunden Plättchen, die sie zu Halbkugeln verformt. Eigentlich ist Theresa Zellhuber studierte Rechtspflegerin und arbeitete auch bis zu der Geburt ihrer Kinder in diesem Beruf. Als Ausgleich dazu arbeitete sie nebenbei als Bildhauerin und schuf Acrylgemälde. Vor einigen Jahren wurde sie dann auf die Schmuckherstellung mit Stricklieseln aufmerksam und belegte 2007 einen Kurs bei einem alten Goldschmiedemeister. Seitdem fertigt sie die gestrickten Schmuck-Unikate.

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Auch von ihren Kunden lässt sie sich gerne inspirieren: "Gemeinsam mit meinen Kunden setze ich mich hin und entwerfe mit ihnen Schmuckstücke, die beispielsweise gut zur Abendgarderobe oder zum Dirndl passen", sagt Zellhuber. Ein Ring aus der Hand von Theresa Zellhuber kostet um die 150 Euro, nach oben sind bei den Preisen der Schmuckstücke keine Grenzen gesetzt. Natürlich trägt die Schmuckkünstlerin ihre Unikate auch gerne selbst. Einen Ring und eine Kette aus Silberdraht, beides gestrickt, trägt sie heute zu einem dicken Wollkleid in Grau und Ocker.

Im Schaufenster von Zellhubers Atelier steht eine mannshohe Silhouette - ganz aus Kabeln gestrickt. Sie wirkt fast wie ein Ganzkörper-Kettenhemd. Große Skulpturen kann Zellhuber nämlich mit dieser Technik auch stricken. Die Strickliesel dazu muss nur größer sein und das Lieseln ist anstrengender. "Da kann es schon sein, dass man ein mehrere Kilo schweres Geflecht auf dem Schoß liegen hat", erklärt Zellhuber.

Theresa Zellhuber hat ihre Kunst gefunden: "Diese Technik fasziniert mich total. Es gibt so viele Möglichkeiten und Arten, Schmuck auf diese Weise herzustellen, das inspiriert mich jeden Tag neu."

Für den Tipp danken wir Bernhard Wietrzynski aus Adlkofen.

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Quelle:
SZ vom 08.03.2016
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