Geiselnehmer von Ingolstadt:"Dann zerstöre ich dein Leben"

Er soll ihr wochenlang nachgestellt und sie sogar mit dem Tod bedroht haben: Der 24-jährige Täter hat eine Rathausmitarbeiterin bereits vor der Geiselnahme massiv bedroht - ein Gericht verurteilte ihn deshalb erst vor drei Wochen zu einer Bewährungsstrafe.

Von Sebastian Beck

Es ist erst gut drei Wochen her, dass Richter Paul Weingartner dem Angeklagten diese ebenso eindringliche wie ergebnislose Mahnung mit auf den Weg gab: "Dass Sie die Frau in Ruhe lassen, ist jetzt das Allerwichtigste." Als nach fünf Verhandlungstagen vor dem Landgericht Ingolstadt gegen den 24-jährigen Stalker das Urteil fiel, beschlich einige im Saal ein mulmiges Gefühl. "Wahrscheinlich müsste man ihn bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag einsperren, aber das geht nicht", zitierte der Donaukurier Ende Juli Staatsanwalt Günter Mayerhöfer.

Der Angeklagte bekam ein Jahr und acht Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung. Einer 25-jährigen Bekannten, die er am Montag im Rathaus als Geisel nahm, hatte er 2012 wochenlang massiv nachgestellt und sie sogar mit dem Tod bedroht, als diese mit einem anderen Mann eine Beziehung einging. Er schrieb ihr mehrere Dutzend SMS und Mails am Tag, bombardierte sie mit Anrufen.

"Er hat mir verboten, dass ich einen Freund habe", sagte die Frau laut Donaukurier vor Gericht. "Also gut, dann zerstöre ich Dein Leben, wenn Du Dich gegen die Freundschaft entscheidest", lautete eine der Drohbotschaften. Im März 2012 erwirkte das Opfer ein Kontaktverbot, an das sich der Angeklagte jedoch nicht hielt. Im August wurde er schließlich festgenommen. Zunächst saß er in U-Haft, danach wurde er nach Informationen der SZ zunächst in das psychiatrische Krankenhaus Haar eingewiesen und anschließend nach Straubing verlegt.

Mit dem Urteilsspruch kam der Mann auf freien Fuß - allerdings verbunden mit der Auflage, dass er sich einer ambulanten Therapie unterziehen müsse. Einen freiwilligen Verbleib in der Psychiatrie soll er abgelehnt haben, obwohl man es ihm nahelegte: "Für die Allgemeinheit und für Sie wäre es besser, wenn Sie sich in stationäre Behandlung begeben würden", sagte Staatsanwalt Mayerhöfer in seinem Plädoyer.

Ein Prozessteilnehmer beschrieb den Angeklagten als nicht auffällig. Allerdings sei allen klar gewesen, dass er auch ein ganz anderes Gesicht zeigen könne. Ingolstadts Oberbürgermeister Alfred Lehmann sagte am Montag, der Geiselnehmer habe die Mitarbeiterin der Stadtverwaltung belästigt und deshalb schließlich Hausverbot in allen Rathäusern bekommen. "Das machen wir ganz selten", betonte Lehmann. Aggressiv sei der Man aufgetreten. "Es hatten Leute Angst vor ihm."

"Alle Therapien sind letztlich gescheitert"

Mehrere psychiatrische Gutachten zeichneten im Prozess vor dem Landgericht Ingolstadt das Bild eines psychisch kranken Menschen, der an einer Persönlichkeitsstörung leidet. Offenbar war er zuvor bereits wegen Körperverletzung und Bedrohungsdelikten auffällig geworden. Der 24-Jährige stammt aus einer zerrütteten Familie: Die Mutter soll mehrere Kinder von unterschiedlichen Männern gehabt und auch ihre Partner häufig gewechselt haben.

Vor Gericht sagte der Mann aus, er sei als Kind von seinem Vater sexuell missbraucht worden. Kindheit und Jugend verbrachte er laut Donaukurier in psychiatrischen Einrichtungen und Heimen. Michael Schafhüttel, einer der Psychiater, wird mit dem Satz zitiert: "Wegen seiner bisherigen Lebensgeschichte musste er zwangsläufig ein solche Entwicklung einschlagen." Eine weitere Gutachterin räumte ein: "Alle Therapien sind letztlich gescheitert."

Ein Zwangseinweisung in die Psychiatrie war rechtlich offenbar schwierig, zumal Stalking als Delikt eng umgrenzt ist: Der Anklagte lauerte seinem Opfer aber nicht auf, sondern belästigte es vor allem mit Mails und SMS. Ein weiterer Psychiater kam zu dem Schluss: "Man kann nicht von einem erheblichen Delikt des Stalking ausgehen." Eine forensische Nachsorge sei jedoch unbedingt nötig.

Ein Prozessbeteiligter erinnerte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung an den Fall Gustl Mollath: Auch im Fall des Stalkers habe man sich die Frage gestellt, wie lange der Staat einen Menschen gegen seinen Willen in die Psychiatrie einsperren dürfe. In Ingolstadt fiel die Abwägung zugunsten des Täters aus - wie sich nun herausstellt, war es womöglich ein großer Irrtum.

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