Geiselnahme in JVA Straubing:Aufarbeitung einer Schreckensnacht

Die Psychologin, die von einem Straubinger Häftling gefangen genommen und vergewaltigt wurde, spricht vor Gericht über ihr Martyrium.

Max Hägler

Wütend ist die Frau mittlerweile. Eine gute Stunde hat sie schon erzählt, was der Mann auf der anderen Seite des Raumes ihr angetan hat im vergangenen April. Sechseinhalb Stunden hielt der Häftling die Gefängnispsychologin B. damals in ihrem Büro in der Justizvollzugsanstalt Straubing (JVA) gefangen. Alle Details hat die 49-Jährige erzählt, wie er sie überfallen und dann zweimal vergewaltigt hat.

Roland K., 51, ein großer Mann mit schon lichtem grauen Haar, sitzt halb zusammengesunken auf der Anklagebank, blickt auf den Boden, so wie er es schon stundenlang getan hat. Jetzt, zum Ende der Zeugenaussage, bricht es ungefragt aus dem Opfer heraus. "Ich will dieses Gewinsel, dieses Halb-in-Tränen-Ausbrechen nicht mehr hören", sagt sie mit fester Stimme und meint damit den Angeklagten. "Das ist unerträglich."

Sondereinheit im Saal

Es ist ein ungewöhnlicher Prozess, der am Dienstag vor dem Landgericht Regensburg begonnen hat. Die Anklage lautet auf Geiselnahme und Vergewaltigung. Aber der Prozess zeugt auch von Resozialisierungsbemühungen und davon, wie sie manchmal scheitern, trotz jahrelanger Mühen.

Er erzählt aus dem Innenleben der JVA Straubing, dem Gefängnis in Bayern mit den meisten Schwerverbrechern, das strengste Sicherheitsvorkehrungen hat, aber trotzdem gefährlich ist. K. ist schon vor diesem Prozess ein verurteilter Sexualtäter, entsprechend stark sind die Sicherheitsvorkehrungen: Im Gerichtssaal bewachen bewaffnete Polizeibeamte einer Sondereinheit den Angeklagten.

Frau B. arbeitet seit 2004 in der JVA Straubing. Die Psychologin konzipiert und leitet die sozialtherapeutische Station, die zum Ziel hat, Strafgefangene an ein normales Leben in Freiheit heranzuführen. 24 Männer sind in dem Programm untergebracht, von Beginn an auch Roland K. In Aschaffenburg ist er geboren, wurde schon mit 13 Jahren polizeilich auffällig, hat dann eine erste Frau vergewaltigt, eine zweite auch noch ermordet.

Seit 1985 sitzt er in Straubing ein - und gilt dort irgendwann als verhältnismäßig angepasst und unauffällig. Aber er ist allzu unauffällig, allzu zurückgezogen, erinnert sich B. an die ersten Kontakte mit Häftling K. Das sind keine guten Voraussetzungen für Vollzugslockerungen, die eigentlich im Frühjahr 2008 anstanden, nach einem Vierteljahrhundert Haft. "Er hatte überhaupt keine Außenkontakte", sagt B., man habe das thematisiert bei den Therapiegesprächen und K. vorgeschlagen, ein soziales Netzwerk zu knüpfen.

In verschiedenen Zeitungen schaltet er auf Anraten seiner Betreuer Bekanntschaftsanzeigen. Mit einer Frau kommt er in guten Kontakt. Als sie aber das komplette Kriminalregister von K. kennenlernt, bricht sie mit ihm. Es gibt eine andere, die den Betreuern rund um B. aber nicht gefällt. "Gestört" habe die Frau gewirkt, erinnert sich B., und immer wieder habe sie telefonisch verschiedene Mitarbeiter bedrängt, einen Kontakt zum Häftling K. herzustellen.

Am 7. April 2009 telefoniert K. schließlich mit dieser Brieffreundin. Sie habe dabei gesagt, dass sie "mich immer noch lieb hätte", sagt K. vor Gericht in langsamem unterfränkischen Dialekt. Sprachlos sei er da gewesen, und zugleich habe er Wut empfunden, weil ihn doch seine Betreuer zu einem Kontaktabbruch mit dieser Frau gedrängt hätten.

Aufgestachelt von einem Mithäftling sei er deshalb ein paar Stunden später noch mal zu dem Büro der Psychologin gegangen, um "mit Gewalt irgendwie zu holen, was ich will". Kontakt mit der Brieffreundin sei das gewesen, beteuert er vor Gericht. Erst als er die Nähe zu seinem Opfer gespürt habe, habe er über den Missbrauch nachgedacht. Geknebelt oder bedroht habe er die Frau nie. Seine Hände, die gefesselt sind, hält er während dieser Aussagen im Schoß.

"Ich wollte überleben"

Der Besuch an diesem Tag sei nichts Ungewöhnliches gewesen, berichtet die Psychologin B. Immer wenn ihre Türe offen gestanden habe, sei klar gewesen für die Häftlinge, dass sie hereinkommen könnten. Erst als sie aufstehen wollte, um in den Feierabend aufzubrechen, da habe sie gemerkt, dass "irgendetwas völlig schief" sei: Häftling K. habe ein Messer gezogen.

"Kein Stein auf dem anderen"

Fassungslos sei sie gewesen, dass ausgerechnet K. sie angreife. Und sie habe angefangen, um ihren Schlüsselbund zu kämpfen, der an ihrer Hose befestigt war. "Ich wusste, wenn er abschließt, bist du verloren", sagt die Psychologin dem Gericht. Sie unterlag in dem Kampf.

B. sitzt als Nebenklägerin neben ihrem Mann, der den Angeklagten den ganzen Tag über mit Blicken fixiert und während dessen Aussage die Hand seiner Frau hält. Sie müsste sich das nicht antun, aber sie will offensichtlich aufarbeiten, was geschehen ist in dieser Aprilnacht. Die Psychologin wandte sich sogar gegen einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit, den der Verteidiger des Angeklagten gestellt hatte.

Sie habe diesen Wahnsinnigen "einfach überleben" wollen und sei deswegen auf seine Forderungen eingegangen, sagt B. Sie habe ihm sogar geholfen, seine Erektionsstörungen zu überwinden. Aufgegeben habe er nach den zwei Vergewaltigungen, "weil er sexuell nicht mehr konnte", ruft sie in den Raum.

Und wütend klingt ihre Stimme auch, als sie sagt, dass sie fünf Jahre ihrer Arbeit in einen Mann investiert habe, der wohl die ganze Zeit darüber nachgedacht habe, wie er sie vergewaltigen könne. "Für den Angeklagten ändert sich nichts, in meinem Leben ist aber kein Stein mehr auf dem anderen." Als sie das erklärt, muss ihr Mann nicht mehr ihre Hand halten.

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