Geflüchtete Wissenschaftler:Eine Unterschrift, die das Leben verändert

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Mustafa Şener hat sich in seiner Heimatstadt Mersin für die Kurden eingesetzt und musste deshalb fliehen. Jetzt lebt er in Bamberg. (Foto: privat/oh)

Mustafa Şener, Wissenschaftler, unterzeichnete in seinem Heimatland Türkei eine Petition. Seitdem wird er verfolgt. Er ist einer von vielen Forschern, die nach Bayern flüchten.

Von Vinzent-Vitus Leitgeb, Bamberg

Vieles ist für Mustafa Şener noch ungewohnt. Zum Beispiel, dass Bamberg doch deutlich kleiner ist als seine Heimatstadt Mersin an der türkischen Mittelmeerküste. 70 000 Einwohner in Oberfranken gegenüber 1,7 Millionen in der Türkei - das ist schon anders. An der Uni Bamberg sind es außerdem nur 13 500 Studenten statt 30 000 zuhause. Es ist deutlich kälter in Bayern, die Suche nach der eigenen Wohnung komplizierter. Und trotzdem: Für Şener ist es ein echter Glücksfall, hier sein zu dürfen. In der Türkei darf er nicht mehr arbeiten, er wird politisch verfolgt, ist zweifach angeklagt wegen "Terroristischer Propaganda" und verbotener Aktivitäten in Sozialen Medien. In Bamberg hat er die Chance bekommen, neu anzufangen.

Şener ist einer von zwölf Wissenschaftlern im Freistaat, denen das ermöglicht wird. Fünf fangen in diesen Wochen ganz neu an. Organisiert wird das über die Philipp Schwartz-Initiative des Auswärtigen Amts und der Alexander von Humboldt-Stiftung. In ganz Deutschland werden inzwischen 124 Forscher in dem Programm gefördert, für einen Zeitraum von zwei Jahren. Die meisten von ihnen möchten anonym bleiben, weil sie noch eine Verfolgung fürchten. Viele kommen aus Syrien oder wie der Sozialwissenschaftler aus der Türkei, wo die Situation für Erdogan-Kritiker gerade auch an Hochschulen immer schwieriger geworden ist.

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Für den 49-Jährigen hat alles Anfang 2016 begonnen. Mit mehr als 1000 anderen Forschern unterzeichnete er eine Petition für eine friedliche Lösung des Konflikts mit den Kurden. "Wir werden nicht Teil dieses Verbrechens sein!", war der Titel. Der folgende Text ist sehr deutlich: Die Vernichtungs- und Vertreibungspolitik müsse eingestellt werden. Die Petition wurde am 11. Januar veröffentlicht. Wenige Wochen später wurde Şeners Arbeitsvertrag nicht mehr verlängert.

Er war einer der ersten, denen das passierte. Inzwischen gehen türkische Journalisten von mehr als 7000 betroffenen Hochschulangestellten aus. Mit dem Putschversuch im Juli 2016 wurde die Situation noch schlimmer. Şener wusste, dass er erst einmal keine Zukunft in der Türkei haben wird. Als viele Pässe eingezogen werden, ist er bereits in Deutschland. Kurz davor war er auf die Philipp Schwartz-Initiative aufmerksam geworden.

An der Universität Bamberg fand er einen Mentor, der ihm weiterhalf. Das war wichtig für das Stipendium. Denn damit Hochschulen eine Förderung bekommen, müssen sie ein genaues Konzept vorlegen: Wie wird der Forscher aus dem Ausland an der Uni eingebunden? An welchem Projekt kann er mitarbeiten? Wer unterstützt ihn, privat Anschluss zu finden und die Sprache zu lernen? In Bayern haben vergangenen Herbst entsprechende Vorschläge aus Bayreuth und Erlangen überzeugt. Im Frühjahr 2017 bekamen beide Unis weitere Stipendiaten, außerdem werden seither Plätze an der Uni Bamberg und der Hochschule Weihenstephan gefördert. Aktuell beginnen geflüchtete Forscher an der TU München, sowie den Unis Augsburg und Würzburg. Bamberg und Erlangen haben wieder jeweils eine Zusage bekommen.

Für Mustafa Şener und die Stipendiatin, die jetzt gerade ihr Stipendium antritt, stellt die Uni Bamberg jeweils eine Hilfskraft an. Zehn Stunden die Woche soll diese bei Amtswegen helfen, bei der Wohnungssuche, bei den Deutschkursen oder bei der Forschung. Şener setzt sich mit den türkischen Gastarbeitern aus den 1960er-Jahren in Deutschland auseinander und möchte die Ergebnisse unter seinem Klarnamen publizieren. Andere haben da Bedenken, planen ihre nächsten wissenschaftlichen Veröffentlichungen erst in zwei Jahren - aus Angst ihren Standort zu verraten. Schwierig ist für die meisten von ihnen vor allem der soziale Anschluss.

Auch Şener hat keine Familie hier. Dass seine Hilfskraft mit ihm Türkisch sprechen kann, ist deshalb umso wichtiger. Die Freunde von denen er erzählt, sind ebenfalls Forscher - einige auch Philipp Schwartz-Stipendiaten -, mit denen er sich ab und zu in Berlin trifft. Zusammen haben sie eine deutsche Zweigstelle des Vereins "Akademiker für Frieden" gegründet, wegen dem er in der Türkei angeklagt ist.

Immer mehr Vernetzungen gebe es zwischen den beteiligten Hochschulen des Programms und Partnern in der EU, sagt Thorsten Parchent. Er ist Sprecher der Uni Bayreuth, die sich direkt von Beginn an im Programm engagierte. "Die Zahl der verfolgten Forscher ist deutlich in die Höhe gegangen", sagt er. "Das können wir nur europäisch, wenn nicht sogar global lösen." Er erzählt von ersten Gesprächsrunden und Arbeitskreisen dazu. Die ersten Stipendiaten seien jetzt bei der Hälfte des Förderzeitraums angekommen. Ein kritischer Punkt. Denn was passiert mit ihnen danach? Nicht immer werden die beteiligten Unis eine Stelle weiterfinanzieren können. Man versuche, die Personen weiterzuvermitteln, sagt Parchent. "Das müssen wir aber noch deutlich intensiver machen, auch abseits des Stipendienprogramms."

Şener möchte unbedingt wieder zurück in seine Heimatstadt Mersin. Im Moment ist das aussichtslos. Sein Pass ist weiterhin ungültig. Und selbst wenn er wieder einreisen darf, glaubt er nicht, einen Job finden zu können. Aktuell laufen außerdem noch die zwei Strafverfahren gegen ihn. So wird er erst einmal weiter in Bamberg bleiben. Er hofft auf ein Anschlussprojekt nach dem Stipendium. Und wenn sein Deutsch gut genug ist, will er sogar unterrichten.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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