Als eine Gruppe Holocaustüberlebender mit Kindern und Enkeln 2005 die Überreste des KZ-Lagers Kaufering VII besuchen wollte, standen die Gäste aus Israel im Regen vor verschlossenen Toren. Auch Schimon Stein, der frühere israelische Botschafter in Deutschland, gelangte nicht auf das ehemalige KZ-Gelände. Es sind zwei Episoden, aufgeschrieben von der Landsberger Historikerin Edith Raim, die das Dilemma von Lager VII auf den Punkt bringen: Die Außenstelle des Konzentrationslagers Dachau nahe Landsberg ist für die Öffentlichkeit nur eingeschränkt zugänglich. Gedenken und Erinnerung schwer möglich. Die historische Gedenkstätte sei "nicht in einem besuchsfähigen Zustand", schreibt Raim in ihrem Aufsatz "Gescheiterte Gedenkinitiativen. Die Beispiele Kaufering und Landsberg". Raim ist an der Universität Augsburg tätig.
Geht es nach Manfred Deiler, Präsident der Europäischen Holocaustgedenkstätte Stiftung, der das Grundstück südwestlich von Landsberg gehört, soll sich dieser Zustand ändern. Er wünscht sich, dass das ehemalige KZ-Lager in ein Dokumentationszentrum umgewandelt wird. Seit Jahren gibt es die Debatte um die Zukunft von Lager VII. Es geht vor allem ums Geld. "Entscheidungen wurden auf die lange Bank geschoben", klagt Deiler. Historikerin Raim kritisiert, dass der Freistaat für "Täterorte" wie den Obersalzberg oder das Nürnberger Reichsparteitagsgelände viele Millionen ausgäbe, "Opferorte" wie das Lager Kaufering jedoch vernachlässige.
Häftlinge schufteten in unterirdischen Rüstungsbunkern
Nun kommt wieder Bewegung in die Sache. Die Landtags-Grünen haben einen Antrag in den Bildungsausschuss eingebracht, in dem sie die Staatsregierung dazu aufforderten, Deilers Stiftung beim Erarbeiten eines wissenschaftlichen Konzeptes finanziell zu unterstützen. Die Politik habe sich zu lange "um die Frage gedrückt, ob der Opferort weiterentwickelt werden soll", sagt die Grünen-Abgeordnete Gabriele Triebel. Sie ist auch Zweite Bürgermeisterin von Kaufering. Die Grünen wollen auf dem Lagergelände einen "Gedenk-, Lern- und Informationsort" schaffen.
Der KZ-Außenkomplex Kaufering entstand im Sommer 1944 und umfasste insgesamt elf Lager. Bis April 1945 hatten ihn, so Raim, zwischen 20 000 und 30 000 Menschen durchlaufen, vor allem Juden aus ganz Europa. "Aufgrund der elenden Lebens- und Arbeitsbedingungen kamen zwischen einem Drittel und der Hälfte aller Deportierten um", schreibt die Historikerin. Die Häftlinge schufteten in unterirdischen Rüstungsbunkern und wurden in Erdhütten und Tonröhrengewölben einquartiert.
Nach Kriegsende wurde der Ort lange nicht berücksichtigt, das Landratsamt plante sogar eine Zeit lang, das Lager zu sprengen. Erst in den Achtzigerjahren weckte der Geschichtslehrer Anton Posset das Interesse an dem ehemaligen Konzentrationslager. Mit Schülern nahm er an einem Geschichtswettbewerb teil und erforschte das Lager Kaufering. Posset prägte in der Folge die Aufarbeitung der Landsberger Nazi-Vergangenheit, gründete die heutige Stiftung, stieß aber auch viele Menschen vor den Kopf. 2015 starb Anton Posset.
Er sei ein "streitbarer Mensch" gewesen, sagt seine ehemalige Schülerin Gabriele Triebel. Einige Gegner hätten in ihm einen "Nestbeschmutzer" gesehen, weil er die für viele Landsberger unangenehme NS-Zeit erforschte. Aber auch die Geschichte der im Regen stehen gelassenen Besucher aus Israel geschah zu seiner Zeit. Historikerin Raim, auch sie wurde von Posset unterrichtet, glaubt, die fehlende Anerkennung habe ihn frustriert. Dennoch, die Arbeit des Geschichtslehrers trug Früchte: 1983 wurden die Tonröhrenbunker unter Denkmalschutz gestellt, fünf Jahre später ein erstes Denkmal errichtet.
Bis auf die Überreste von Lager VII ist vom Außenkomplex Kaufering nicht mehr viel geblieben. Der Bund stufte den Ort als "Denkmal von nationaler Bedeutung" ein und hat für dessen Konservierung 700 000 Euro ausgegeben. Jetzt müsse der nächste Schritt getan werden, sagt Stiftungspräsident Deiler. Wissenschaftler sollen erarbeiten, wie man die Gedenkarbeit dort professionalisieren kann. Das sei ohne finanzielle Hilfe des Landes nicht möglich. Bislang organisieren Ehrenamtliche die Führungen durch das Lager. Besichtigungen sind nur nach Absprache möglich, Infotafeln und Wege fehlen. "Die Ehrenamtlichen haben geleistet, was möglich ist", sagt Historikerin Raim. "Jetzt müssen staatliche Gelder her."
Zwischen 2017 und 2018 beriet bereits eine Arbeitsgemeinschaft unter dem Vorsitz des ehemaligen Wissenschaftsministers Thomas Goppel (CSU) über ein Konzept für das KZ-Außenlager. In Sachen Lager VII hat das Gremium jedoch keine konkreten Ergebnisse geliefert, nun befasst sich der Ausschuss für Bildung und Kultus damit. Den Antrag der Grünen hat Gabriele Triebel vorerst von der Tagesordnung genommen, damit sich Ausschusskollegen in das Thema einarbeiten können. Geplant ist unter anderem ein Besuch der Stätte.
Für die Staatsregierung ist die CSU-Abgeordnete Ute Eiling-Hütig als Berichterstatterin zuständig. Auch von ihr hängt ab, wie die Zukunft von Lager VII aussehen wird. Ob sie die Pläne für ein Dokuzentrum unterstützt, will Eiling-Hütig momentan nicht kommentieren. "Wie genau eine Lösung aussieht, kann ich derzeit nicht sagen" sagt die CSU-Politikerin. Sie brauche noch Zeit, um sich eine "abschließende Meinung" zu bilden. Aber auch ihr sei wichtig, dass Besucher des Ortes "ein Gefühl dafür bekommen, wie das damals war", so Eiling-Hütig. "Man muss etwas machen."
Um Parteipolitik gehe es in dieser Sache ohnehin nicht, betont Manfred Deiler. "Es geht um Menschenwürde." Alles, was er sich erhofft, ist Gewissheit für den Gedenkort und seine Organisation. Für viele Holocaustüberlebende käme ein Dokuzentrum jedoch "viel zu spät", sagt Edith Raim. "Wer von den Überlebenden ist dann noch da?" Dass so lange nichts passiert ist, sei "einfach bitter".