Gebirgsjäger auf Identitätssuche:Harte Kerle auf gefährlichem Terrain

Die Gebirgsjäger laborieren an ihrer Vergangenheit. "Stirb, du Jud!", brüllte noch vor wenigen Jahren ein Soldat bei einer Übung, im Februar 2010 machte die Truppe mit fragwürdigen Ritualen von sich reden. Jetzt sollen Bundeswehrstandorte geschlossen werden - das schlechte Image der Gebirgsjäger kann ihre Zukunft gefährden.

Frederik Obermaier

Das Hakenkreuz musste weg. Es prangte links oben, am Tor zur Bad Reichenhaller Kaserne, die Krallen eines steinern Adler hatten es fest im Griff. Handwerker schlugen das Nazi-Symbol aus dem Stein, und als 1958 die Gebirgsjäger der neu gegründete Bundeswehr in die Kaserne einzogen, ersetzten sie es durch ein Edelweiß. Aus der Elite-Truppe der Wehrmacht wurde eine Elite-Truppe der Bundeswehr.

Neue Mulis bei der Bundeswehr

Soldaten des Tragtierzugs der Gebirgstruppe marschieren auf dem Zwiesel bei Bad Reichenhall mit ihren Maultieren über einen Bergpfad: Gebirgsjäger waren schon immer und sind immer noch eine Truppe mit einem ganz besonderen Selbstverständnis.

(Foto: ddp)

Gebirgsjäger waren schon immer und sind immer noch eine Truppe mit einem ganz besonderen Selbstverständnis. "Wo andere aufhören, fangen wir erst an", lautet ihr Motto. Wenn im Kosovo oder nun in Afghanistan deutsche Soldaten für Frieden sorgen sollen, sind die Männer aus Mittenwald, Bad Reichenhall und Strub bei Berchtesgaden immer dabei.

Eigentlich sind die Gebirgsjäger so, wie künftig die ganze Bundeswehr sein soll: schnell einsetzbar, ob im Dschungel, im Hochgebirge oder in der Wüste. "Wir bringen einzigartige Fähigkeiten in die Streitkräfte ein", sagt der General von Deutschlands einziger Gebirgsjägerbrigade, Johann Langenegger.

Ein heikles Traditionsverständnis, fragwürdige Rituale und Soldaten, die Kinder mit Waffen hantieren lassen, gefährden jedoch den Ruf der Gebirgsjäger. Und das in gefährlichen Zeiten: Das Bundesverteidigungsministerium sucht nach Standorten, die sie im Zuge der Wehrreform schließen kann.

Erst Anfang Juni gerieten Gebirgsjäger wieder einmal heftig in die Kritik: Kinder durften beim Tag der offenen Tür der Reichenhaller Kaserne mit Panzerfaust-Zielfernrohren auf ein Modelldorf namens "Klein-Mitrovica" anlegen. Das sei nicht zu tolerieren, sagte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold, auch wenn Gebirgsjäger während des KFOR-Einsatzes die Bevölkerung in einem gleichnamigen Dorf im Kosovo beschützten. Sieben Jahrzehnte zuvor waren Gebirgsjäger in einem Dorf gleichen Namens an einem Massaker beteiligt.

Die Staatsanwaltschaft Traunstein ermittelte nach dem Tag der offenen Tür, auch der Verteidigungsausschuss des Bundestags beschäftigte sich mit dem Fall. General Langenegger entschuldigte sich, die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein. Damit war der Fall abgeschlossen. Die historische Dimension hätten die einfachen Soldaten nicht ahnen können, erklärte Langenegger.

Schon im Februar 2010 hatten Gebirgsjäger ihre Truppe bundesweit in ein schlechtes Licht gerückt. Erfahrene Soldaten aus der Mittenwalder Kaserne hatten Neulinge über Jahre hinweg zu einem Aufnahmeritual gezwungen: Sie mussten rohe Schweineleber essen und trinken bis zum Erbrechen. Das Strafverfahren wurde eingestellt. Zurück blieb nur der ramponierte Ruf, schließlich hatten die Gebirgsjäger nicht zum ersten Mal Negativ-Schlagzeilen gemacht.

"Wir haben Fehler gemacht"

1993 grölten Soldaten im Zug nach Reichenhall rechte Parolen, in Afghanistan posierten einige Jahre später zwei Soldaten mit Totenschädeln für Erinnerungsfotos, 2007 wurde ein Hauptgefreiter aus Mittenwald verurteilt, weil er bei einer Schießübung "Stirb, du Jud'" gebrüllt hatte. Und in Afghanistan erschoss ein Gebirgsjäger 2010 einen Kameraden. Der 21-Jährige hatte mit der Waffe auf ihn gezielt, ein Schuss löste sich.

Alles Einzelfälle, darauf beharren die Befehlshaber der Gebirgsjäger. In Zeiten, in denen die Wehrpflicht Geschichte und die Bundeswehr zu einem Arbeitgeber unter vielen geworden ist, könnten diese Einzelfälle jedoch Bewerber abschrecken - oder gar die falschen anlocken. Selbst Ausbilder berichten davon, dass bei Rechtsextremen der Dienst in der Reichenhaller Kaserne besonders beliebt sei - und sie ist noch heute nach dem Nazi-General Rudolf Konrad benannt.

Wir haben Fehler gemacht und es sind die Maßnahmen ergriffen worden, die zu ergreifen sind", sagt General Langenegger wenige Wochen nach der Kritik am Tag der offenen Tür. Die internen Ermittlungen sind mittlerweile abgeschlossen, über ihr Ergebnis erfährt man nichts. Der General hat gegen die Soldaten ermittelt, die das Modelldorf aufgebaut haben, und gegen den Verantwortlichen für den Tag - das war er selbst.

Die Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 sprechen nur ungern über jenen Tag der offenen Tür, sie sind genervt. Gerade erst sind sie aus Afghanistan zurückgekommen. Sie waren monatelang in Mazar-e- Sharif, Faizabad oder Baghlan stationiert, haben Taliban bekämpft, in Gefechten ihr Leben riskiert. Über ihren Rückkehrer-Appell schrieb dennoch nur die Lokalpresse, über den verunglückten Tag der offenen Tür dagegen Zeitungen aus der gesamten Republik. "Beim Schützenverein wird auch nichts anderes gemacht, da stört es aber keinen", sagt ein Oberfeldwebel, der anonym bleiben will.

Wie viele Kameraden wittert er hinter dem Ganzen eine Kampagne von Linken. Schließlich hat das linkslastige Aktionsbündnis "Rabatz" die Fotos vom Tag der offenen Tür an die Zeitungen verschickt.

Schon seit Monaten fordern pazifistische, linke sowie autonome Gruppierungen die "Entnazifizierung und Entmilitarisierung" Bad Reichenhalls. Etwa 200 Menschen marschierten im Mai durch die Kurstadt, sie demonstrierten gegen "rechte Traditionspflege, Nazis und den militaristischen, nationalistischen deutschen Normalzustand". Grund dafür: Die Reichenhaller Ortsgruppe des Kameradenkreises der Gebirgsjäger veranstaltet jährlich das sogenannte Kreta-Gedenken.

Die Kameraden treffen sich dafür an einer Brücke über die Saalach, nicht weit von der Kaserne entfernt, an einem Gedenkstein. Er erinnert an die 248 Reichenhaller Gebirgsjäger, die 1941 bei der Eroberung Kretas starben. Die Brücke selbst hat Reichenhalls Stadtrat in den 60er Jahren "Kreta-Brücke" taufen lassen. Auf und vor Kreta starben jedoch nicht nur besonders viele Soldaten aus Reichenhall, bei Massakern der Gebirgsjäger auf der Insel starben auch Hunderte Einheimische. Für den Vorsitzenden des örtlichen Kameradenkreises, Manfred Held, sind sie kein Thema: "Ich will nicht über Kriegsverbrechen reden, wenn ich der Gebirgsjäger gedenke."

Weltkriegsveteranen mit Hakenkreuz-Orden

Auch in Mittenwald treten einmal im Jahr Wehrmachtsveteranen und Bundeswehraktive zu einer großen Soldatenfeier an, auf dem Hohen Brendten. Vor zwei Betonstelen gedenken sie der Gefallenen der Weltkriege, seit kurzem auch der Toten der Bundeswehr. Veranstalter der Ehrenfeiern ist der Kameradenkreis der Gebirgstruppe.

8000 Veteranen hatten den Verein 1952 gegründet, er dient laut Satzung der "Förderung der Volksbildung durch Wahrung und Überlieferung der Geschichte und Tradition der Gebirgstruppe". Tatsächlich aber hatte der Kameradenkreis jahrzehntelang Veteranen mit dunkler Vergangenheit in den Reihen. Die meisten von ihnen sind jetzt tot. "Kriegsverbrecher gibt es bei uns nicht mehr", sagt Kameradenkreis-Präsident Manfred Benkel. Die Mitgliedschaft des Wehrmachtsveteranen Josef Scheungraber ruhe, seit er 2009 wegen eines Massakers in Italien verurteilt wurde.

Dass bei der Brendtenfeier auch schon mal Weltkriegsveteranen mit Orden, auf denen noch Hakenkreuze der Wehrmacht prangen, aufmarschierten, wertet General Langenegger als Einzelfall: "Die Angehörigen der Bundeswehr haben damit nichts zu tun."

Den Vorwurf, die Gebirgsjäger würden ihre Wehrmachtsvergangenheit nicht angemessen aufarbeiten, weist der oberste Gebirgsjäger zurück. Seine Soldaten seien keine Rechten in Uniform, die die Gebirgsjäger in der Tradition der NS-Gebirgssoldaten des Zweiten Weltkriegs sähen: "Den Bogen zu spannen von der Gebirgstruppe der Wehrmacht zum vom Deutschen Bundestag legitimierten Einsatz der Gebirgsjäger der Bundeswehr halte ich für absurd und bösartig", sagt Langenegger.

Die Gemeinde Mittenwald setzte 2010 trotzdem ein Zeichen gegen einseitiges Heldengedenken. Ein Mahnmal, das ihr Kritiker der Gebirgsjäger schenkten, stellte sie mitten im Ort auf: Es erinnert an die Opfer der Massaker der Gebirgsjäger im Zweiten Weltkrieg.

Seit es eingeweiht wurde, gibt es auch die Proteste gegen die Gebirgsjäger dort nicht mehr - die Demonstranten sind weitergezogen nach Bad Reichenhall. Die Bundeswehr ist hier, wie in Mittenwald, der größte Arbeitgeber. Das Verhältnis zur Truppe ist ungebrochen. "Zwischen die Gebirgsjäger und Bad Reichenhall passt kein Blatt Papier", sagt Oberbürgermeister Herbert Lackner.

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