Trachtenmode in der Pandemie:Keine Dult, kein Dirndl

Thomas Grasegger verkauft und produziert Trachtenmode. Abgesagte Volksfeste bedeuten für seine Branche einen Totalausfall. Noch hält der Unternehmer durch, aber sein Zorn auf die Politik steigt.

Von Matthias Köpf, Garmisch-Partenkirchen

Genau jetzt käme es wieder mal drauf an. Denn die zwei Wochen vor und nach Ostern wären die wichtigsten im Jahr, sagt Thomas Grasegger. Jede Menge Urlauber würden durch die Garmischer Fußgängerzone flanieren, und viele würden sicher stehen bleiben vor diesem üppig mit Lüftlmalereien verzierten und zugleich sorgfältig modernisierten Haus direkt neben der Spielbank. Vielleicht würden sie nicht direkt Trachten kaufen in Graseggers Geschäft, nicht die blumenbestickten Werdenfelser Lederhosenträger für fast 400 Euro, die es im ersten Stock auch gibt. Aber etliche würden wohl mit einem Stück der trendig trachtigen Mode herauskommen, die Grasegger hier vor allem verkauft. Die Leute hätten zuletzt schon Lust auf Einkäufe gehabt, sagt er, trotz Anmeldung und Maske. Aber an diesem Freitag muss er ja wieder ganz zusperren - die Inzidenz, was sonst. Denn so leer der Laden dann wieder sein wird: Das Virus verstopft hier gerade alles.

Grasegger ist keiner von denen, die gleich am Jammern sind. Mit Jammern ließe sich kein solches Unternehmen aufbauen. Eher mit Zupacken, und dass Grasegger das auch mit Anfang Sechzig noch sehr gut kann, das zeigt sich schon an seinen Händen, die nicht wie die Hände eines Modehändlers wirken. Grasegger war auch an diesem Morgen zuerst im Stall bei seinen Murnau-Werdenfelser Rindern, einer selten gewordenen Rasse, und bei seinen Bergschafen. "Ein meditativer Start in den Tag" sei das, sagt er. Aber in der Arbeit ist es ihm gerade auch viel zu ruhig.

Urs, ein Ochse aus Graseggers Stall, wird sich nicht mehr bewegen, sein Fell liegt dekorativ in dem großen Raum, in dem sonst die neue Kollektion hängt. Hier in Farchant, ein paar Kilometer von Garmisch entfernt, steht Graseggers Manufaktur. Hier werden die Modelle entworfen und gefertigt, die es später in Graseggers Geschäft und in vielen anderen Läden und Trachtenabteilungen im Land zu kaufen gibt. "Wir sind ein Exot", sagt Grasegger, denn viele Textilhersteller gibt es nicht mehr in Deutschland. Genau darum trifft ihn die Pandemie gerade doppelt.

Der Hersteller Grasegger hat vor ziemlich genau einem Jahr sogar noch ziemliches Glück gehabt. Als der erste Lockdown kam, war die neue Kollektion für den Herbst gerade verkauft, die 45 Leute in Farchant und vor allem die insgesamt 120 Angestellten einer Handvoll Partnerbetriebe in Kroatien konnten sich an die Serienfertigung machen. Der Händler Grasegger dagegen musste wochenlang zusperren und blieb auf seiner Ware sitzen - der eigenen und der anderer Hersteller. Außerdem wird Trachtenmode oft zu einem bestimmten Anlass gekauft, für eine Hochzeit oder eine Taufe, für Volksfeste wie das Oktoberfest, das Gäubodenfest oder das Herbstfest in Rosenheim. Alle ausgefallen. Und was wäre sonst gefeiert worden in der Pandemie, selbst wenn es erlaubt gewesen wäre?

Im Sommer ging es zwar auch in Garmisch aufwärts, vor allem deutsche Urlauber kamen in Scharen. In den Läden stapelte sich nach dem langen Lockdown aber trotzdem die Frühjahrs- und Sommerware, und dann kam der nächste Lockdown vor Weihnachten und vergrößerte den Berg. So geht es dem Händler Grasegger, weswegen er - wie alle anderen Händler auch - beim Hersteller Grasegger bis auf Weiteres praktisch keine Ware bestellt. Und der Hersteller Grasegger wiederum sitzt jetzt auf seinen Stoffballen und storniert bei all den Seidenlieferanten, Leinenwebern und Wollwebereien in Bayern und Österreich. So blockiere die unverkaufte Ware den Markt und zerstöre die gesamte Wertschöpfungskette, sagt Thomas Grasegger, der selbst eben zwei Glieder dieser Kette verantwortet. Bei Grasegger fällt gerade oft das Wörtchen "noch", auch was die bisher 35-jährige Mitgliedschaft in der CSU betrifft. Von den 120 Leuten bei den kroatischen Partnern spricht er schon in der Vergangenheitsform. Die Hälfte sei entlassen, sagt er, Kurzarbeit wie in Farchant gebe es dort nicht.

Die Umsatzeinbußen, die er nennt, reichen teils bis weit über 80 Prozent. Bei ihm spielen die Banken noch mit. Schließlich hat er 2011 die Eröffnungsfeier der Ski-WM in Garmisch ausgestattet, kleidet die Zugspitzbahner sowie etliche andere Touristiker mit Ausgehjankern ein und hat Muster für die Vereinsuniformen von rund 1000 Trachtenvereinen da. Außerdem gehören alle Immobilen dem Unternehmen, das beruhige Banker immer sehr.

Was aber Thomas Grasegger in der Corona-Krise nach eigenen Worten umtreibt, sind die Ungerechtigkeit und die Konzeptlosigkeit der Politik. Da trieben Infektionsherde in einer Kaserne und auf ein, zwei großen Baustellen die Inzidenz in die Höhe, und alle müssten drunter leiden. "Manche können tun was sie wollen, es wird auch nix kontrolliert - und zugemacht wird immer der Handel", sagt Grasegger und erzählt von großen Geburtstagsfeiern, von Rentnerstammtischen, die nun eben nicht mehr im Wirtshaus stattfänden, und von einer Skitour neulich aufs Kreuzeck, wo er sich den Gipfel mit 500 anderen Leuten teilen musste. Erst am Mittwochabend hat die Polizei in Burgrain, genau zwischen Garmisch und Farchant, wieder eine Feier mit 23 Teilnehmern aufgelöst. Die Leute hörten der Politik einfach nicht mehr zu, sagt Grasegger. Er selbst nehme das Virus nicht auf die leichte Schulter, schon weil seine Tochter als Ärztin in der Intensivstation arbeitet und hin und wieder erzählt. Sie hilft den Kranken, aber was würde seinem gerade noch gesunden Unternehmen helfen? "Flächendeckend Tübinger Modell", sagt Grasegger, also Testen und Einkaufen. Und vielleicht ja "Click and Meet" auch über der Inzidenz 100, wie es der Ministerpräsident für nach den Ferien angekündigt hat. Die wichtigsten zwei Wochen im Jahr werden dann vorbei sein. Aber drauf ankommen wird es auch danach.

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