Bayerische Alpen:Der Gams geht es gut – allen Zweifeln zum Trotz

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Im Karwendel, hier die Soiernspitze, haben die Forscher 1028 Gämsen registriert. (Foto: Sebastian Beck)

Ist das Symboltier der Berge bedroht oder vital? Diese Frage hatte zuletzt Jäger und Forstexperten in Bayern gegeneinander aufgebracht. Nun liefert eine aufwendige Untersuchung klare Antworten.

Von Christian Sebald

Das war vielleicht eine Aufregung unter den Jägern in Bayern, als Forstministerin Michaela Kaniber (CSU) vor knapp drei Jahren verkündete: „Unseren bayerischen Gämsen geht es weit besser, als manche immer wieder vermuten.“ Forschungen der landeseigenen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) im Karwendel und an der Kampenwand hätten ergeben, dass allein in diesen beiden Gebieten zwischen 1200 und 1500 Gämsen leben. Befürchtungen vieler Jäger, die Gämsen in Bayern seien akut gefährdet, hätten sich damit nicht bestätigt. Sie waren unter anderem davon genährt worden, dass das Bundesamt für Naturschutz (BfN) die Gams kurz zuvor in die Vorwarnliste der Roten Liste aufgenommen hatte.

Für viele Jäger ist die Gams das Symboltier der Berge schlechthin. Der Bayerische Jagdverband (BJV) wirft den Gebirgsförstern seit Langem vor, in den Bergen aber einzig das Gedeihen des Bergwalds im Blick zu haben und deshalb viel zu scharf auf die Gams zu jagen. Die Aufnahme der Art in die Vorwarnliste betrachtete er als überfällige Bestätigung der eigenen Überzeugung. Der BJV-Präsident und damalige CSU-Landtagsabgeordnete Ernst Weidenbusch schäumte über Kanibers Worte. „Die Gams IST gefährdet!“, ließ er mitteilen und mutmaßte: „Wir können nicht ausschließen, dass das Ministerium von der LWF getäuscht wurde.“ Die LWF-Zahlen taugten auf keinen Fall als Rechtfertigung der „überhöhten Abschusszahlen und Schonzeitaufhebungen der letzten Jahre“.

Die Forscher, allen voran die Biologin Wibke Peters, die die Gamsprojekte federführend betreut hat, waren seinerzeit denkbar unglücklich über den Streit. Denn Kaniber hatte sich bei ihren Aussagen auf Zwischenergebnisse bezogen, die Forschungen waren vor drei Jahren nicht abgeschlossen, die Ergebnisse waren noch nicht publiziert. Inzwischen darf sich Forstministerin Kaniber in ihren Aussagen aber voll bestätigt fühlen. Denn nun haben Peters und ihre Mitarbeiter die Forschungen beendet, die Ergebnisse sind veröffentlicht und in der Wissenschaftsszene diskutiert worden, auf der Internetseite der LWF ist eine allgemein verständliche Kurzfassung abrufbar.

Danach haben Peters und ihre Mitarbeiter im Oktober 2018 in dem gut 5250 Hektar großen Projektgebiet im Karwendel eine Gamspopulation von mehr als 1028 Tieren oder 19 Stück je hundert Hektar ermittelt. Das ist eine immense Zahl, auch wenn in dem Bericht zurückhaltend von „im nationalen wie im internationalen Vergleich beachtlichen Dichten“ die Rede ist. An der Kampenwand waren es auf 7250 Hektar Fläche 321 Tiere. Das entspricht vier Stück je hundert Hektar. Die große Differenz zum Karwendel erklärt sich daraus, dass die Berge dort mit ihren felsigen Gipfeln und steilen Bergwiesen ein Top-Lebensraum für Gämsen ist. Die Kampenwand-Region mit ihren vielen Bergwäldern hingegen ist nur bedingt geeignet für die Tierart. Zusammen sind die beiden Gebiete freilich repräsentativ für die Bergwelt in Bayern.

Die Biologin Wibke Peters (Foto: Marco Einfeldt)

Auch sonst sind Peters’ Ergebnisse sehr positiv für die Gams in den bayerischen Bergen. Die Wissenschaftler haben bei Untersuchungen der gejagten Gämsen in den beiden Forschungsregionen keine Hinweise entdeckt, dass die Populationen dort in irgendeiner Form geschwächt oder aus dem Gleichgewicht seien, wie das viele Jäger befürchten. Ihr Fazit lautet vielmehr: „Der körperliche Zustand der abgeschossenen Gämsen war normal bis gut, insbesondere im Chiemgau, und weist auf vitale Populationen hin.“ Die Gämsen im Chiemgau waren etwas schwerer als die im Karwendel und wuchsen außerdem etwas schneller. Peters und ihre Kollegen vermuten deshalb, dass die Tiere dort früher geschlechtsreif werden und die Zuwachsraten dort höher sind. Außerdem ermittelte Peters an der Kampenwand auf einen Gamsbock 1,4 Geißen. Im Karwendel war das Geschlechterverhältnis ausgewogen.

„Die Arbeit ist einzigartig im gesamten Alpenraum“

Wolfgang Schröder, der viele Jahre lang die Professur für Wildtierökologie und Wildtiermanagement an der TU München innehatte und schon als junger Wissenschaftler über die Gams gearbeitet hat, ist voll des Lobs für seine Kollegen von der LWF. „Die Arbeit ist einzigartig im gesamten Alpenraum“, sagt der 83-jährige Emeritus, der nach wie vor sehr genau die Debatten in seinem Fach verfolgt. „Peters und ihre Mitarbeiter haben einen extrem hohen Aufwand betrieben und mit den modernsten Methoden gearbeitet.“

Dies gilt nach Schröders Worten insbesondere für das hoch komplizierte mathematisch-statistische Modell, mit dessen Hilfe die Wissenschaftler die Bestandszahlen im Karwendel und an der Kampenwand ermittelt haben. Es ist ein wissenschaftliches Novum und ermöglicht, auch die Größenordnung der Tiere zu modellieren, die bei Zählungen übersehen werden und von denen keine Kotprobe zur genetischen Identifikation zur Verfügung steht. Um das Modell anwenden zu können, haben sich Peters und ihre Kollegen von Spezialisten aus Norwegen beraten lassen, die darin führend sind.

Die Unterstützung durch die norwegischen Spezialisten hatte Jägerpräsident Weidenbusch seinerzeit besonders irritiert. „Eine besondere Expertise der Norweger für die Gams ist uns im Bayerischen Jagdverband nicht erklärlich“, ließ er mitteilen. Inzwischen äußert sich Weidenbusch dem Ton nach zurückhaltender, zumal er in Anspruch nimmt, dass die vom BJV „angesprochenen Mängel offenbar aufgenommen wurden und das Projekt entsprechend angepasst wurde“. Die mehr als 1300 Gämsen, die Peters im Karwendel und an der Kampenwand ermittelt hat, hält Weidenbusch aber weiter für zu hoch angesetzt.

Der Grund, warum das Bundesamt für Naturschutz die Gams seinerzeit auf die Vorwarnliste der Roten Liste genommen hat, war übrigens nicht, dass die Art in Deutschland aus Sicht der Experten akut gefährdet ist oder die Bestände dramatisch zurückgehen. Im Gegenteil: Der Bestand wird dort langfristig wie kurzfristig als stabil geführt. Es ist heißt einzig, dass die Gams im Vergleich zu anderen Wildarten in Deutschland eher selten vorkommt – was eigentlich eine Binse ist, weil es die Gams ja nur im Gebirge gibt und es das in Deutschland nur in Bayern gibt. Außerdem ist die Rede davon, dass die Klimakrise, der boomende Bergtourismus und die Jagd ein Risiko für die Art darstellten.

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