Funkstation im Unterallgäu:Ausgesendet

Funkstation im Unterallgäu: Diese Woche ist einer der Sendetürme im Wertachtal gesprengt worden. Bis Frühjahr sollen die Arbeiten noch dauern, dann ist die Anlage Geschichte.

Diese Woche ist einer der Sendetürme im Wertachtal gesprengt worden. Bis Frühjahr sollen die Arbeiten noch dauern, dann ist die Anlage Geschichte.

Mehr als 40 Jahre lang wurden deutsche Radioprogramme vom Unterallgäu aus in die ganze Welt übertragen. Der Funktechniker Albert Richter ist einer der Pioniere in der Sendeanlage Wertachtal - nun muss er seinen eigenen Arbeitsplatz abwickeln.

Von Daniel Kähler, Wertachtal

Plötzlich sind sie am Horizont zu sehen: rot-weiße Türme aus Stahl, dazwischen Kabelgewirr, das sich erst als filigranes Drahtgeflecht entpuppt, wenn man direkt vor den mehr als 100 Meter hohen Masten steht. Über diese Drähte wurde mehr als 40 Jahre lang Radio aus Deutschland in die ganze Welt gesendet - denn dies sind die Antennen eines der größten Kurzwellensender Europas, hier in Amberg im Unterallgäu.

Albert Richter ist der Herr der Sendemasten im Wertachtal. Der 62-Jährige ist Rundfunk- und Fernsehtechniker, die Funkstation seit 1970 sein Arbeitsplatz. Er war dabei, als die 200 Hektar große Anlage ihre ersten Signale in den Äther sendete, und sorgte jahrzehntelang dafür, dass internationale Radioprogramme vom Unterallgäu aus auf den richtigen Wellenlängen ausgestrahlt wurden.

Jetzt aber strahlt hier nichts mehr. Richter muss den Abriss seines eigenen Senders koordinieren. Die Betreiberfirma "Media Broadcast" hat sich dazu entschlossen, den Antennenpark mit seinen fast 30 Masten dem Erdboden gleichzumachen. Damit verschwindet ein Stück Rundfunk- und Technikgeschichte.

Im Stationshaus inmitten der Antennen ist es schon einsam geworden. Das Flachdachgebäude wird langsam aber sicher vom Unkraut erobert. Fast alle Büros sind schon leergeräumt. In einem Schaukasten hängt eine Urkunde, auf der die Sendeanlage zum besonders fahrradfreundlichen Betrieb ernannt wird, daneben gratuliert das "Siemens-Röhrenwerk Berlin" zum 25-jährigen Bestehen. Zwischen diesen verblassenden Erinnerungen und einer Auswahl von Zimmerpflanzen, die sich ebenfalls schon auf das Ende des Standortes eingestellt zu haben scheinen, hält Albert Richter die Stellung - bis er im Frühjahr endgültig das Licht ausmacht. Er findet, dass es nicht so hätte kommen müssen. Wo er danach arbeiten wird, weiß er noch nicht.

Ettringen: Abbruch Sendestelle WERTACHTAL

Albert Richter, 62, und seine Kollegen haben seit den Olympischen Spielen 1972 das Ausland mit deutschen Radioprogrammen versorgt.

(Foto: Johannes Simon)

Die Geschichte der Sendeanlage Wertachtal begann hoffnungsvoll mit den Olympischen Spielen 1972. Die Berichte dazu wurden von hier aus in die Welt gesendet. Hauptaufgabe der Funkstation war aber die Übertragung der Programme der Deutschen Welle. Dank der hohen Sendeleistung und des günstigen Standortes waren die Sendungen des staatlichen Auslandsrundfunks überall auf dem Globus zu empfangen. Die Deutsche Welle war die Stimme Deutschlands, der Sender Wertachtal hat sie weltweit hörbar gemacht.

Albert Richter erzählt stolz, dass er und seine Kollegen dafür verantwortlich waren, Deutsche im Ausland mit Informationen zu versorgen - auch wenn sie in Ländern lebten, wo ihnen der Zugang zu deutschen Medien blockiert war, etwa in Osteuropa zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Nachrichten, Bundesligaergebnisse oder Grüße an Matrosen auf hoher See, das alles lief über die Antennen im Allgäu. Die Kurzwellen überbrückten jede Mauer, jede Grenze, alle Weltmeere.

Dass es trotzdem mit dieser Technik bergab ging, kündigte sich, langsam aber sicher, Mitte der Neunzigerjahre an. Der Kalte Krieg war vorbei, kaum einer wollte noch Propaganda von West nach Ost oder in die entgegengesetzte Richtung schicken. Das Internet entwickelte sich, mit dem man ständig und in gleichbleibend guter Qualität Nachrichten aus aller Welt empfangen konnte - als Text, mit Ton, mit Bildern. Radio auf Kurzwelle hingegen krächzt und rauscht, es passt nicht so recht in die digitale Medienwelt des 21. Jahrhunderts. Ein Land nach dem anderen begann, seine Sendungen für das Ausland einzustellen. Die Deutsche Welle zog sich schließlich 2007 aus dem Wertachtal zurück.

Die Betreiberfirma verkaufte daher auch an andere Radiostationen Sendezeit. Kleinere Radioprojekte und Missionsgesellschaften, die von Wertachtal aus religiöse Programme nach Osteuropa und Afrika sendeten, blieben noch lange im Sendeplan. "Das waren gute Kunden", erinnert sich Albert Richter. Einer dieser Sender hatte sich auf Weltuntergangstheorien eingeschossen und monatelang seine Sendungen per Satellit aus den USA ins Wertachtal geschickt, von wo sie dann auf Kurzwelle ausgestrahlt wurden. Doch die vom Radioprediger prophezeite Apokalypse blieb aus. Die Rundfunkmission war verwirrt und hatte keine Inhalte mehr, die sie ausstrahlen konnte - und kein Geld. Der Wertachtal-Sendeplan schrumpfte weiter, die gerade modernisierte Anlage war jetzt schon lange nicht mehr ausgelastet.

Ettringen: Abbruch Sendestelle WERTACHTAL

Mehr als 40 Jahre lang wurden deutsche Radioprogramme vom Unterallgäu aus in die ganze Welt übertragen.

(Foto: Johannes Simon)

Das bekam auch eine nahe gelegene Gärtnerei zu spüren. Mit der Abwärme der Funktechnik sind lange Zeit ihre Gewächshäuser beheizt worden. Als aber die Radiosender begannen, ihre Kurzwellenprogramme zu reduzieren, funktionierte das nicht mehr und die Pflanzen begannen zu frieren. Dass die Kurzwelle ausstirbt, spürte man nirgendwo so gut wie hier.

Im März 2013 war dann endgültig Schluss. Seitdem ist Wertachtal nur noch eine Geistersendeanlage. Viele ehemalige Techniker und Radiofans seien in den vergangenen Wochen vorbeigekommen, um noch ein letztes Mal einen Blick auf die Masten werfen zu können, berichtet Albert Richter. In seiner Stimme schwingt Trauer mit. Nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Bewohner der umliegenden Ortschaften seien stolz gewesen auf "ihren Sender". Amberg hat die Radiowellen sogar ins Gemeindewappen übernommen.

Auch wenn die Technik antiquiert wirkt, ist sich Albert Richter sicher, dass die Kurzwelle weiterleben wird, vielleicht nicht in Europa, aber in anderen Teilen der Welt. Einfacher könne man Informationen drahtlos nicht übermitteln. Aber die internationalen Stimmen aus Wertachtal sind für immer verstummt.

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