Süddeutsche Zeitung

Architektur:So hässlich ist Fürth

Über alte Zuschreibungen lacht die historische Industriestadt in Franken. Am besten kann man ihre Metamorphose an einem Ort sehen, an dem früher sehr viel Bier gebraut wurde. Ein Besuch.

Von Olaf Przybilla, Fürth

Womöglich ist es im Moment die beste Zeit für einen Blick nach Fürth. Ein Münchner Verlag, Hersteller von Spielkarten, sorgt dort gerade für Belustigung, weil er Fürth in ein Quartett mit den angeblich "Hässlichsten Städten Deutschlands" aufgenommen hat. Nun hat es Zeiten gegeben, da hätten sie das in Nürnbergs Nachbarstadt durchaus nicht nur mit einem mitleidigen Lächeln quittiert. Inzwischen aber gilt als Hauptproblem Fürths nicht mehr der ungelenke Spott von Humoristen, denen womöglich mal ein Reiseführer aus fernen Zeiten in die Hände gefallen ist. Sondern der permanente Zuzug von Menschen, die unbedingt in dieser räumlich beengten Stadt leben wollen. Seit den Neunzigerjahren ist Fürth um mehr als 20 000 Einwohner angewachsen auf heute 130 000. Ein rasanter Anstieg.

Oberbürgermeister Thomas Jung hat das alles dieser Tage, angesprochen auf das närrische Kartenspiel, mit einem Maximum an Sanftmut zu erklären versucht. Ja ja, sagte er, es habe da tatsächlich Zeiten gegeben, in denen etwa die Nachbarstadt Nürnberg um ihre zahlreichen Neubauten aus der Nachkriegszeit beneidet worden ist. Auch in Fürth, in der Stadt mit den vielen alten, denkmalgeschützten Bauten, war das mal so.

Inzwischen aber habe es sich eben doch massiv herumgesprochen, dass die Altbauten der historischen Industriestadt Fürth (im Zweiten Weltkrieg signifikant weniger getroffen als die angrenzende Stadt der NS-Reichsparteitage) weiträumig saniert worden sind. Darunter viel Gründerzeitarchitektur, ein Traum für Leute mit Geschmack - und natürlich auch etwas Geld. Wobei Fürth da im Vergleich immer noch vom tradierten Ruf des fränkischen Underdogs zehrt, ein Ruf, der wiederum den wirklich drolligen Fehlgriff des besagten Spielkartenherstellers aus Oberbayern entschuldigt: Stimmt schon, es war mal ziemlich trist in Fürth. Ist aber schon etwas länger her.

Besuch also in Fürth und da wiederum in einer Immobilie, die sinnbildlich für die Geschichte dieser Stadt steht. Gerade dieser Tage macht ein neuer Bildband von Christian Höhn die Runde, einem Fotokünstler, der viel von sich Reden gemacht hat mit bestrickenden Bildern von globalen Megacitys, darunter Peking, Tokio, Dubai, Shenzhen, Singapur, Shanghai.

Jetzt aber hat Höhn im Band "Die Malzböden" (ISBN 978-3-00-073920-0) eine Langzeitbetrachtung des großen historischen Sudhauses im Süden von Fürth vorgelegt, einem Quartier, das mal für Garnisonsmief und Unaufgeräumtheit stand - in einem Hässlichkeitskartenspiel also, mit etwas gutem Willen, durchaus eine tragbare Nebenrolle hätte spielen können.

Dieses historische Brauhaus in Fürth nennt der promovierte Kunsthistoriker Uli Walter, der bis 2022 im Bau- und Kunstreferat des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege in München tätig war, "einen architektonischen Paukenschlag". Nicht nur rage das Sudhaus des alten "Humbserbräu" markant über die örtliche Dachlandschaft hinaus.

Mit seiner kupfergrünen Dachspitze samt Aussichtsplattform überstrahle der "baukünstlerische Klang" dieses Monuments seine Umgebung bei Weitem und stehe so gleichsam als pars pro toto für eine architektonische Lufthoheit, die in vorindustrieller Zeit nur den Herrschaften in Schlössern, Kirchen oder Rathäusern vorbehalten war. Erst im Zuge der Industrialisierung - archetypisch zu sehen nicht zuletzt in Fürth - durften Fabrikgebäude dieser Hoheit Konkurrenz machen. Sie machten es. Und wie. Das Sudhaus wurde, so urteilt Walter, "zum demonstrativen Aushängeschild einer modernen, leistungsfähigen und hygienisch einwandfreien Großbrauerei".

Allerdings nicht für immer. Die Fürther Stadtheimatpflegerin Karin Jungkunz erinnert daran, wie die Humbser Brauerei 2008 als letzte und bis dahin größte der ehemals fünf großen Brauhäuser der Stadt stillgelegt worden ist. An der Schwabacher Straße war der Platz zu eng geworden, das neue Brauhaus steht seither an, respektive sogar exakt auf der Stadtgrenze zwischen Nürnberg und Fürth.

Nicht alles, was schützenswert gewesen wäre auf dem alten Brau-Areal im Fürther Stadtsüden, wurde damals auch geschützt. Hinterm Sudhaus stehen heute "City-Villen". Der Geist der Gründerzeit aber, repräsentiert vor allem durch den charakteristischen Brauereigroßbau, konnte gerettet werden, glücklicherweise. Oberbürgermeister Jung schwärmt vom "weltweit einzigen Jugendstil-Brauhaus", das zur Zeit der Entstehung um 1911 "sogar teurer gewesen ist als der Bau des Stadttheaters". Was auch eine Geschichte erzählt von der Bedeutung des Bieres in Fürth.

2014 übernahm ein privater Investor Gebäude und Areal, von da an "Malzböden" genannt. Und inzwischen haben dort unter anderem ein Café, eine Apotheke, die Fürther Nachrichten, eine Kaffee-Rösterei, ein Yoga-Studio und eine Sudhaus-Gaststätte eine Heimat gefunden. In Letzterer ("Humbser und Freunde") kann man nicht nur hoch über Fürth ein ziemlich passables Hirschgulasch genießen, sondern auch die auf mehreren Stockwerken gehängten Fotodokumente von Christian Höhn.

In Schwarzweiß hat er festgehalten, wie darnieder dieses Gebäude einst lag. Und was nun daraus geworden ist. Kann man immer noch hässlich nennen, natürlich. Darf sich dann nur nicht wundern, wenn jemand lacht.

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