Süddeutsche Zeitung

Fünf Jahre Rauchverbot in Bayern:Danke, Frankenberger!

Lesezeit: 7 Min.

Von Dietrich Mittler, Heiner Effern, Katja Auer, Lisa Schnell, Olaf Przybilla und Stefan Mayr

CSU

"Die CSU hat immer auf der verkehrten Seite gestanden", sagt Erwin Huber heute recht sachlich. Das ist bemerkenswert für den Mann, der damals CSU-Chef war. Aber in Sachen Rauchverbot hat seine Partei ein paar Kehrtwendungen hingelegt, die Huber "nicht sehr ruhmreich" nennt, bis ein Volksentscheid am 4. Juli 2010 schließlich Klarheit brachte: Seither gilt in Bayern ein absolutes Rauchverbot.

Das hätte die CSU auch schon früher haben können. 2007 schon hatte die Diskussion um ein Gesundheitsschutzgesetz begonnen, bei der immer mehr Abgeordnete immer mehr Ausnahmen forderten. Für Bierzelte, für Nebenräume, für Ein-Raum-Gaststätten. Bis der damalige Fraktionschef Georg Schmid auf den Tisch haute, die Landtagsfraktion sich selbst überholte und das strengste aller deutschen Rauchverbote dabei herauskam. Ohne Ausnahmen.

Das hielt allerdings nur bis zur verkorksten Kommunalwahl 2008, dann wurde schnell eine Ausnahme für das Oktoberfest eingeführt, das gerade während der Landtagswahl stattfand. Das half bekanntlich auch nichts, die CSU verlor die absolute Mehrheit und Erwin Huber und Ministerpräsident Günther Beckstein waren ihre Jobs los. "Das Rauchverbot hat der FDP und den Freien Wählern schon Rückenwind gegeben", sagt Huber in der Rückschau. Beide Parteien zogen damals in den Landtag ein.

Die Liberalen durften gleich mitregieren, und von einem strengen Rauchverbot war schnell nicht mehr die Rede. Das Schlupfloch im Gesetz, wonach das Rauchen in geschlossenen Gesellschaften erlaubt war, ließ überall im Freistaat Raucherclubs entstehen. Kontrolliert wurde kaum, geraucht noch vielerorts. Bis die ÖDP den Volksentscheid startete. Die CSU hielt sich fortan raus. Heute sehe er eine große Befriedung im Land, sagt Huber, auf das Rauchverbot spricht ihn kaum noch wer an. Frust und Freude bekommt bis heute ein anderer ab.

Der frühere ÖDP-Politiker Sebastian Frankenberger gilt als das Gesicht des erfolgreichen Volksbegehrens - und er bekommt immer noch viele E-Mails. Meist von Menschen, die ihm einfach einmal "Danke" sagen wollen. "Nach wie vor gibt es aber auch die Dödel, die mir auf der Straße einen blöden Kommentar nachbrüllen", sagt er. Das passiere aber eher zu den Stunden, in denen bei manchen der Alkoholpegel steigt.

Frankenberger mag sich dem nicht mehr aussetzen. "Drum meide ich auch die Öffentlichkeit in Bayern", sagt er. Kurz nach dem Raucherschutz-Begehren waren die Hasskommentare allerdings noch übler: Man werde ihm die Haare abschneiden und diese dann rauchen, ließ man ihn wissen. Seine Haare sind aber so lang wie eh und je.

Nach seinem Aufstieg zum Bundesvorsitzenden der ÖDP und dem späteren Zerwürfnis mit seiner Partei zog es Frankenberger verstärkt nach Österreich, wo er viel als Fremdenführer unterwegs ist. Der Abstand ist heilsam. "Auch gesundheitlich geht es mir jetzt so gut wie noch nie in meinem Leben", sagt er. Ein wenig stolz ist er darauf, dass Österreich 2018 das bayerische Rauchverbot in Gaststätten und öffentlichen Gebäuden übernehmen will. "Damit habe ich einmal nichts zu tun", sagt er, "das hat die österreichische Regierung von sich aus beschlossen."

Birgit Netzle muss ernsthaft überlegen, wie dieser junge Mann mit den langen Haaren noch mal hieß, der ihr größter Gegenspieler war. Und dann, als ihr der Name von Sebastian Frankenberger wieder einfällt, passiert das Unglaubliche: "Ich bin ihm dankbar, dass wir jetzt gute Luft haben", sagt Netzle. Noch 2010 machte sie ihn für das "Sterben bayerischer Traditionen" verantwortlich, 2007 war sie sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht gegangen, um das Rauchverbot zu verhindern.

Doch die Wirtin des Traditionswirtshauses Asamschlössl in München, blonde Föhnfrisur, goldene Perlenohrringe und Edeldirndl mit Seidenschürze, ist bekehrt. Am Anfang, als es noch Raucherclubs gab, verlor sie zwar die Kettenraucher als Gäste. Dafür kamen andere dazu, die sonst nur selten Wirtshausluft schnupperten: Familien mit kleinen Kindern und die Nichtraucher.

Früher musste sie fast jährlich für bis zu 8000 Euro die vergilbten Wände weißeln. Jetzt ist das nur noch alle fünf Jahre notwendig. Und die Geselligkeit? Noch vor ein paar Jahren war die wirklich dahin, sagt Netzle, selbst Nichtraucherin: "Draußen bei den Rauchern sind die tollsten Sachen passiert und wir saßen zu zweit am Tisch und haben mit dem Ofenrohr ins Gebirge geschaut", sagt sie. Jetzt sei es umgekehrt. Viele haben das Rauchen aufgegeben. Der eine Raucher am Tisch stehe nicht so schnell auf, sagt Netzle. "Sonst versammt er was."

Und trotzdem wettert Franz Bergmüller noch immer mit der gleichen Wucht in der Stimme wie vor fünf Jahren. "Den Weltverbesserern haben wir es zu verdanken, dass Kneipenbesitzer jetzt Sozialempfänger sind!", beginnt der Vorsitzende des Vereins zum Erhalt der Bayerischen Wirtshauskultur seine Tirade. Wie viele der kleinen Eckkneipen, die gewöhnlich so schöne Namen tragen wie "Sunshine-Pub" oder "Edelweiß-Stubn", wirklich schließen mussten, weiß niemand so genau.

Laut dem Bayerischen Gaststättenverband sollen die meisten Kleinbetriebe nach dem Volksentscheid Umsatzeinbußen von fast 30 Prozent gehabt haben. Sie tun sich aber nicht erst seit 2010 schwer, das Rauchverbot war wohl nur ein weiterer Sargnagel. Ihren Grabstein haben einige von ihnen im Internet. Dort hat ein engagierter Bürger den "Bayerischen Kneipenfriedhof" angelegt und insgesamt 118 Schließungen gezählt. Der letzte Eintrag ist allerdings aus dem Jahr 2011.

Einen Eintrag verdient hätte Christine Klever. Eine Million Euro hatte sie in ihren Lebenstraum investiert, eine Kuba-Bar mit Che-Guevara-Fotos an der Wand und Blick auf den Nürnberger Hauptmarkt, besser bekannt als Christkindlesmarkt. Freunde teurer Zigarren kamen aus der ganzen Republik in Klevers Bar, "ich war selten so glücklich", sagt sie. Dann plötzlich das Rauchverbot.

In dieser Zeit, glaubt Klever, habe sie einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie machte auf ihren Fall aufmerksam und erntete tatsächlich Solidaritätsadressen aus dem ganzen Land. Eine Millionen-Investition - und dann das Ende? Als ihr Fall dann aber in der Welt war, hätten "die Behörden extra genau hingeschaut", um ja keinen Präzedenzfall zu schaffen, sagt Klever. Eine Zigarrenbar ohne Qualm aber lief nicht. Nach zwei Monaten Rauchverbot erlitt Klever einen Zusammenbruch, "ich war psychisch am Ende", sagt sie. Nach zwei Jahren musste sie das Haus verkaufen, die Schulden zahlt sie noch heute ab. Auf "ähnliche Raucherklubs schaut heute kein Mensch", glaubt sie beobachtet zu haben, "interessiert doch keinen mehr".

Manche Wirte allerdings haben ihr Problem mit dem Rauchverbot auf kreative Weise erledigt. Von Anfang an. Ein Wirt aus Memmingen erklärte seine Kneipe zur Bühne und das Paffen zur künstlerischen Freiheit. Damit ist er allerdings vor Gericht gescheitert. So mancher Kollege geht dezenter vor: Eine Tür im hintersten Raum einer Bar am Gärtnerplatz in München. Wer sie öffnet, steht vor einer Wand aus Rauch, dahinter eine nicht mehr genutzte Küche, auf deren Arbeitsplatten die Gäste sitzen und genüsslich an ihrer Zigarette ziehen.

In einem Club am Hauptbahnhof ähnelt die inoffizielle Raucherzone einem Kaninchenkäfig. Hinter Wänden aus Maschendrahtzaun und Plexiglas drängen sich die Raucher in einem Hinterhof, auf einem Hocker in der Ecke trohnt wie ein Buddha der Türsteher. Und in einer Kneipe in einer fränkischen Universitätsstadt, da sperrt der Wirt einfach die Tür zu, wenn nur noch eine Handvoll Gäste da sind. Die dürfen dann rauchen. Und lange sitzenbleiben. In jeder zehnten Kneipe im Freistaat läuft es so oder so ähnlich. Das berichteten 500 Bayern, die dazu von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) befragt wurden. Bei Diskotheken und Spielhallen war fast jede Fünfte raucherfreundlicher als es das Gesetz erlaubt. Allerdings wird dieses heute strikter eingehalten als noch vor zwei Jahren. Damals gaben 37 Prozent an, dass über der Bar, an der sie saßen, Rauchschwaden hingen.

Bis zum Rauchverbot vor fünf Jahren steuerte auch Thomas H. seinen Teil zum Thekenqualm bei. 20 bis 30 Zigaretten rauchte der Polizist am Tag. Schon länger wollte er davon loskommen, dann lernte er eine neue Partnerin kennen, die nicht rauchte. Doch der letzte Anstoß fehlte, den lieferte dann der Volksentscheid. "Das war der Auslöser", sagt er. Von einem Tag auf den anderen hörte er nach einem Kneipenabend mit einem Freund zusammen auf. "Bis heute habe ich mir keine mehr angezündet."

Er genießt seine Unabhängigkeit, auf Langstreckenflügen zum Beispiel packt ihn nicht mehr das ungute Gefühl, jetzt dringend eine anzünden zu müssen. Er ist nicht zum militanten Gegner geworden wie manch anderer, er geht auch mal raus vor die Kneipe mit Freunden, die rauchen. Doch das werde sowieso weniger, sagt der Polizist. Gerade sei er auf einer Tagung. Von 18 Teilnehmern mussten nur zwei raus zur Rauchpause. "Früher war das umgekehrt", sagt er.

Mit seiner Reaktion auf das Rauchverbot liegt Thomas H. im Trend. Dem bayerischen Landesamt für Gesundheit zufolge rauchten 2009 noch 300 000 Bayern mehr als 2013. Weitere Studien legen laut dem Deutschen Krebsforschungsinstitut nahe, dass immer mehr Jugendliche wegen des Rauchverbots gar nicht erst anfangen. Die Vorhersage der Tabakindustrie, dass die Leute mehr zu Hause rauchen, wenn sie in den Kneipen nicht mehr dürfen, hat sich nicht bewahrheitet. Der Anteil an Kindern, die zu Hause als Passivraucher geschädigt werden, ist laut bayerischem Gesundheitsministerium gesunken: von 14,3 Prozent vor Einführung des Rauchverbots auf 12,8 Prozent direkt danach und weiter auf 7,2 Prozent vier Jahre nach dem Start.

Die einzigen, die nicht profitieren vom Rauchverbot, sind manche Anwohner von Kneipen. Volker Schafitel ist Stadtrat in Augsburg und "Genuss-Raucher", wie er selbst sagt. Ab und zu genehmige er sich nach dem Essen "einen Zigarillo mit Rotwein", mehr nicht. Deshalb genießt der Architekt das Rauchverbot beim Ausgehen grundsätzlich. Aber er leidet auch darunter: Denn Schafitel wohnt an der Feiermeile Maximilianstraße, wo am Wochenende die Diskotheken bis tief in die Nacht offen haben. "Da stehen die Leute dann bis fünf Uhr morgens draußen rum und rauchen, lachen und grölen", berichtet der Freie-Wähler-Politiker. "Und wir Anwohner stehen im Bett."

Ordnung muss sein

Kurz nach dem Rauchverbot gingen bei der Münchner Stadtverwaltung mehr Beschwerden von Anwohnern ein, die sich von den lärmenden Rauchern gestört fühlten. Seit aber vor den meisten Kneipen Türsteher den Geräuschpegel zu drücken wissen und in fast jedem Kneipenfenster freundlich auf die Nachbarn hingewiesen wird, sei es wieder ruhiger geworden.

In Nürnberg gingen etwa zwei, drei Beschwerden pro Woche beim Ordnungsamt ein, sagt ein Sprecher. Im Sommer sind es tendenziell mehr, weil da die Raucher gerne draußen stehen bleiben. "Im Winter gehen sie nach einer Zigarettenlänge wieder rein." Man versuche, mit den Wirten eine einvernehmliche Lösung zu finden, sagt der Sprecher. Manchmal reiche es schon, den Aschenbecher ein bisschen weiter weg vom Fenster des Nachbarn zu stellen.

In Rosenheim geht die Zahl der Beschwerden konstant zurück, sowohl über lärmende Raucher als auch über Kneipen, in denen geraucht wird. "Es hat sich gut eingependelt", heißt es bei der Stadt. Die Studie der GfK bestätigt das: In Bayern sprechen sich insgesamt 80 Prozent - egal ob Raucher oder Nichtraucher - für das Rauchverbot aus, also über 20 Prozent mehr als beim Volksentscheid 2010.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2015
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