Die Dinge könnten für Okoje Godspower eigentlich nicht besser laufen: Der 29-Jährige überstand die Flucht aus Nigeria, lebt seit Sommer 2014 im sicheren Babenhausen, hat eine Arbeit gefunden. Auf dem Bau verdient er, was er zum Leben braucht. Helfer beschreiben ihn und seine Familie als bestens integriert.
Und doch ist da eine Kleinigkeit, die Godspower fehlt, um sich richtig angekommen zu fühlen: der deutsche Führerschein. Er würde ihn gern machen, aber er darf nicht, er hat seinen Pass verloren. "Ich kann nirgendwo hinfahren", sagt er, "ich nicht, meine Familie nicht."
Für Godspower wäre der Führerschein eine Erleichterung. So wie ihm geht es vielen Flüchtlingen im Freistaat. Sie sollen sich in Deutschland integrieren. Nur ist das ohne Führerschein oft schwierig. In vielen Gegenden Bayerns ist man ohne fahrbaren Untersatz aufgeschmissen, erreicht weder Arzt noch Arbeitsplatz. Eine typische Geschichte, die Unternehmensvertreter immer wieder erzählen, geht so: Handwerker will Flüchtling einstellen, kümmert sich um Behörden und Papierkram - und stellt am Ende fest, dass der neue Azubi keine Möglichkeit hat, zum Betrieb zu kommen.
Selbst wer in seiner alten Heimat einen Führerschein hatte, fängt in Deutschland oft von vorn an: Eine Fahrerlaubnis, die nicht aus einem EU- oder EWR-Mitgliedsstaat stammt, muss nach einem halben Jahr umgeschrieben werden. Heißt: Fahrstunden sind nicht nötig, aber die theoretische und praktische Führerscheinprüfung muss bestanden werden.
Das große Geschäft für Bayerns Fahrschulen hat gerade erst begonnen. Viele berichten, in den vergangenen Monaten immer häufiger Flüchtlinge als Schüler angenommen zu haben. Wie viele den Führerschein machen oder schon haben, weiß niemand genau, das Fahrerlaubnisrecht wird in der Statistik nicht mit der Staatsangehörigkeit ausgewiesen.
Der Führerschein kann gefördert werden
Nach Schätzungen sollen sich allein zwischen Oktober und Dezember vergangenen Jahres deutschlandweit etwa 10 000 Flüchtlinge für einen Fahrschulunterricht angemeldet haben. Was auch daran liegt, dass die Arbeitsagenturen und Jobcenter unter bestimmten Voraussetzungen den Führerschein finanziell fördern können.
Erwin und Dirk Dlugosch haben Erfahrung mit dem Thema. Seit 50 Jahren gibt es ihre Fahrschule in Freising, erst fuhr Vater Erwin, später auch Sohn Dirk. Die beiden haben nach eigener Auskunft so ziemlich alle Nationalitäten per Führerschein im Freistaat integriert: erst Gastarbeiter aus der Türkei und Griechenland, später Aussiedler und Osteuropäer, dann Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Und heute? "Wir haben zwölf, 13 Nationalitäten", schätzt Dirk Dlugosch, etwa aus Afghanistan, Syrien, Gambia. Nicht nur Flüchtlinge. Auch chinesische Austauschstudenten lernen bei den Dlugoschs, wie es auf bayerischen Straßen zugeht.
Für die meisten Fahrlehrer sind die neuen Schüler eine kulturelle Herausforderung. Erwin Dlugosch führte seine ersten Führerschein-Integrationen in den 1960er-Jahren durch. Der Zypern-Konflikt war gerade auf seinem Höhepunkt. Wer sich auf der Insel bekriegte, saß abends bei Dlugosch im Theorieunterricht: Türken und Griechen. "Ich wusste das mit dem Konflikt gar nicht, für mich waren das halt Fahrschüler, die kein Deutsch konnten." Passiert sei zwar nie was. Trotzdem baten ihn einmal die Griechen, sie mit dem Auto zurück in die Unterkunft zu fahren. "Die hatten Angst, dass die anderen sie auf dem Heimweg mit dem Messer überfallen."
Die Gefahr von Missverständnissen ist groß, selbst für diejenigen, die lange im Geschäft sind. Was die einen als Selbstverständlichkeiten wahrnehmen, ist für die anderen neu. Etwa die Straßenverkehrsordnung. In manchen Ländern gilt an Kreuzungen nicht die Regel "rechts vor links", sondern es fährt, wer zuerst da war. Auch rote Ampeln dürfen anderswo überfahren werden, weil sonst die Gefahr zu groß ist, überfallen zu werden - brettern statt bremsen.
"So etwas muss ich als Fahrlehrer erst einmal wissen, um darauf reagieren zu können", sagt Dirk Dlugosch. Und dann ist da noch die Sache mit der Sprache. Begriffe wie Vorfahrtsstraße oder Bordsteinkante kennen viele nicht. "Wie soll ich das jemandem erklären, wenn er nicht wissen kann, was das ist?"
Zumindest im Theorietest soll das kein Problem mehr sein. Neben Deutsch kann die Prüfung in elf weiteren Sprachen abgelegt werden, zuletzt kam im Herbst Hocharabisch dazu. Einige Fahrschulen sehen die Entwicklung zur Mehrsprachigkeit kritisch: Sie fürchten, Regeln und Begriffskunde könnten aufgeweicht werden.
Walter Weißmann vom Bayerischen Fahrlehrerverband sagt: "Ich weiß, dass es da Vorbehalte gibt." Aber die Theorie bestehe aus komplizierten Fachbegriffen, "die lernt man nicht in drei oder sechs Monaten". Die praktische Fahrprüfung müsse natürlich weiter auf Deutsch stattfinden. Erstens sei es praktikabler, zweitens müsse man im Alltag auf Verkehrshinweise reagieren können. "Da vorn rechts, die nächste links - ich denke, das ist zu machen."
Die Fahrschüler müssen genügend Deutsch verstehen
Dirk Dlugosch sagt: "Die Kommunikation ist ein Problem. Wie soll die bei 50 Kilometer pro Stunde funktionieren, wenn wir uns nicht verstehen?" Er und sein Vater haben darum beschlossen, nur Schüler zu unterrichten, die einigermaßen Deutsch verstehen. Alles andere sei für sie persönlich nicht praktikabel.
In Babenhausen hofft Godspower, dass es doch noch klappt mit dem Führerschein. Wo genau das Problem liegt, dass er bislang keinen machen durfte, versteht er nicht, deutsche Bürokratie. Also fährt er mit dem Rad zur Arbeit. 15 Minuten hin, 15 Minuten zurück.