Mit behinderten Menschen in der Werkstatt arbeiten, im Klinikum Essen austeilen, mit Schülern auf Klassenfahrt gehen – ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bietet jungen Leuten die Chance, Berufe kennenzulernen und eigene Interessen zu entdecken. Etwa 4000 junge Menschen zwischen 16 und 27 Jahren absolvieren jährlich in Bayern ein FSJ. Am 1. September startet der neue Jahrgang, für die FSJler von 2023 endet eine lehrreiche Zeit. Fünf von ihnen berichten von ihren Erfahrungen.
Nina Rausch, 19 Jahre alt, aus Ochsenfurt, absolvierte ihr FSJ bei der kirchlichen Jugendarbeit (kja) der Diözese Würzburg
„Nach dem Abi letztes Jahr wusste ich nicht so richtig, was ich mit mir anfangen oder in welche Richtung ich gehen soll und hab mich deshalb für das FSJ entschieden. Ich war in der Fachstelle für Jugendarbeit und Schule und bin dort mit Schulklassen auf Klassenfahrt und Tutorenschulungen gefahren. Ich hab die Fahrten mitorganisiert und Materialien für Spiele oder neue Methoden vorbereitet.
Am Anfang war es komisch für mich, nicht in der Rolle der Schülerin, sondern als Verantwortliche dabei zu sein. Die Schüler waren ja häufig auch nicht viel jünger als ich. Und der Arbeitsalltag und eine 40-Stunden-Woche waren auch komplett neu für mich. Aber das Team hat mich super aufgefangen und mir Zeit gelassen bei der Einarbeitung. Jetzt zum Schluss habe ich immer mehr Verantwortung übernommen und Schulungen fast allein organisiert.
Ohne mein FSJ hätte ich wahrscheinlich irgendwas angefangen zu studieren, allein um zu studieren und wäre damit nicht glücklich geworden. Ab Oktober werde ich jetzt Grundschullehramt für Sonderpädagogik studieren. Da bin ich erst durch das FSJ drauf gekommen und würde deshalb jedem empfehlen, auch eins zu machen. Ich hab im FSJ gelernt, was ich möchte und auch, was ich nicht möchte.“
Clemens Morich, 22 Jahre alt, aus Wettstetten, hat sein FSJ im Klinikum Ingolstadt gemacht
„Ich habe nach meinem Abi zwei Semester Wirtschaftsingenieurwesen studiert und ziemlich schnell gemerkt, dass das eigentlich gar nichts für mich ist. Medizin hat mich schon immer interessiert, aber ich dachte, da habe ich gar keine Chance. Mit dem FSJ wollte ich schauen, ob mir der Krankenhausalltag gefällt und ob ich mir das auch beruflich vorstellen könnte. Und bei manchen Unis bekommt man das FSJ bei der Studienplatzvergabe für Medizin gutgeschrieben.
Im Klinikum war ich auf den Stationen Nephrologie und Gefäßchirurgie und habe da das Pflegepersonal unterstützt. Also Blutdruck gemessen, Essen ausgeteilt oder bei der Körperpflege der Patienten geholfen. Bei der Körperpflege hatte ich am Anfang etwas Hemmungen, aber auch das war irgendwann ganz normal für mich. Mein Highlight war definitiv, dass ich bei OPs dabei sein durfte. Wie präzise und schnell die Ärzte da arbeiten, das hat mich sehr beeindruckt.
Durch das FSJ bin ich disziplinierter und strukturierter geworden. Ich kannte davor ja keinen richtigen Arbeitsalltag. Ich hatte eine richtig gute Zeit im FSJ und würde es jedem weiterempfehlen. Das Jahr hat mir noch mal gezeigt, dass das ein cooler Job ist, den die Ärzte da machen und dass ich das auch machen will. Und ich habe einen Studienplatz bekommen. Ab Oktober studiere ich Medizin in Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern.“
Rebecca Jantzin, 20 Jahre alt, aus Berlin, war für ihr FSJ in der Kinder- und Jugendrheumaklinik in Garmisch-Partenkirchen
„Ich wollte mir letztes Jahr nach dem Abi eine kleine Auszeit nehmen, vielleicht ein Auslandsjahr machen. Und weil ich eventuell Lehramt studieren wollte, dachte ich, wäre es eine gute Idee, was mit Kindern zu machen und schon mal in den Bereich reinzuschnuppern. In der Klinik bin ich im Sozialdienst untergebracht, also bei der Kinder- und Jugendbetreuung mit dabei. Ich und die andere FSJlerin wurden aber auch im medizinischen Lager oder der Haustechnik eingesetzt. So hatten wir auch die Möglichkeit, noch ganz andere Bereiche kennenzulernen, was sehr cool und sehr abwechslungsreich war.
Im Kindergarten und im Freizeittreff der Klinik haben wir T-Shirts mit den Kindern bemalt, gemeinsam gebacken oder Spielenachmittage organisiert. Zu einer Freundesgruppe im Freizeittreff hatte ich einen besonders guten Draht. Das war ein tolles Gefühl, zu merken, dass ich da eine Vertrauensperson für sie sein konnte und eine wertvolle Erfahrung für mich. Ich bin durch das FSJ viel selbständiger und selbstbewusster geworden.
Jugendliche in Bayern:"Viele denken: Boah, meine Zukunft wird beschissen"
Über die Jugendlichen wird viel geredet in diesem Land, aber vielleicht sollte man mal mit ihnen reden. Die SZ hat fünf junge Frauen und Männer an einen Tisch geholt. Ein Gespräch über Ängste, Mitschüler, die AfD wählen, und die Frage: Was bewegt junge Menschen wirklich?
Eine Woche lang konnte ich auch auf Station in der Pflege hospitieren. Das war mein absolutes Highlight. Ich werde jetzt an der Charité in Berlin ein Pflegestudium anfangen. Vor dem FSJ hätte ich das auf keinen Fall gemacht, weil ich dachte, das wäre nichts für mich. Das FSJ ist nicht einfach nur ein Lückenfüller. Gerade, wenn man schon weiß, dass man was Soziales machen will, lohnt es sich, schon ein bisschen Berufserfahrung zu sammeln.“
Iven Alheidt, 21 Jahre alt, aus Pfaffenhofen an der Ilm, hat sein FSJ in der Werkstatt für behinderte Menschen von Regens Wagner Hohenwart in Pfaffenhofen gemacht
„Ich habe mich für das FSJ entschieden, weil ich den Arbeitsalltag kennenlernen wollte. Ich wollte wissen, was auf mich zukommt. Und weil ich schon immer gerne mit Menschen zusammengearbeitet habe, wollte ich etwas Soziales ausprobieren. Das ist einfach mein Ding.
Ich war Gruppenleiter-Assistent im FSJ. Wir arbeiten mit der Firma Wirth zusammen und ich habe mitgeholfen, Schrauben einzusortieren oder Etiketten auf die Schachteln zu kleben. Und ich habe kontrolliert, ob das immer richtig gemacht wurde. Am liebsten habe ich mich um die arbeitsbegleitenden Maßnahmen gekümmert. Also ich hab mir überlegt, was man noch neben der Arbeit hier in der Werkstatt machen könnte. Da habe ich ein Kickerturnier organisiert oder passend zur EM ein Torwandschießen.
Beim FSJ habe ich gelernt, dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen und ganz normal. Das hat mich geprägt und motiviert, auch Neues auszuprobieren. Ich weiß noch nicht genau, was ich nach dem FSJ machen werde. Vielleicht eine medizinische Ausbildung. Aber ich will auf jeden Fall im sozialen Bereich bleiben.“
Marie Ritter, 20 Jahre alt, aus Feldkahl bei Aschaffenburg, absolvierte ihr FSJ bei der diözesanen Fachstelle für Ministrantenarbeit des Bistums Würzburg
„Letztes Jahr nach dem Abi wollte ich nicht gleich mit dem Studium anfangen. Im FSJ habe ich die Chance gesehen, schon mal in einen Bereich reinschnuppern zu können. In der Fachstelle für Ministrantenarbeit war ich jetzt Ansprechpartnerin für Veranstaltungen rund um die Ministranten. Dieses Jahr war besonders, weil wir Anfang August auf Romwallfahrt waren. Die gibt es nur alle vier Jahre und seit Dezember waren wir eigentlich nur noch mit der Planung der Wallfahrt beschäftigt.
Ich bin sehr froh, dass ich das Jahr der Romwallfahrt erwischt habe. Ich wollte schon immer mal sehen, wie viel Aufwand da hinten dran hängt. Immerhin waren wir mit 1600 Teilnehmenden und 21 Bussen unterwegs. Bei der Vorbereitung war ich vor allem im Anmeldeprozess und in den Social-Media-Auftritt involviert. Da hat mir das Kreative besonders viel Spaß gemacht – brainstormen und sich Spiele oder Methoden für die Wallfahrt überlegen.
Im FSJ habe ich gelernt, dass es wichtig ist, im Arbeitsalltag Prioritäten zu setzen und Aufgaben zu gewichten. Dass es auch mal völlig in Ordnung ist, Arbeit liegenzulassen. Jetzt im Herbst fange ich ein Studium für Grundschullehramt hier in Würzburg an. Das hatte ich vorher schon im Auge, aber durch das FSJ hat es sich noch mal bestätigt. Wer die Chance und die Gelegenheit hat, ein FSJ zu machen, sollte es auf jeden Fall ausprobieren. Man lernt so viel für sein weiteres Leben und ganz nebenbei macht man nicht nur was für sich selbst, sondern auch noch was für die Gesellschaft.“