Frühkindliche Bildung:Das ist Bayerns beste Kita

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In der Karg-Kita in Nürnberg St. Leonhard werden Kinder mit Hochbegabung mit Kindern aus dem Viertel, auch sozial benachteiligte Familien, zusammen betreut. Fotos: Karg-Stiftung (oh) (Foto: Karg-Stiftung)
  • Das Thema Hochbegabung ist in Mode, in der Hans-Georg-Karg-Kita in Nürnberg werden hochbegabte Kinder zusammen mit anderen betreut.
  • Da dieses Konzept gut funktioniert, gilt die Tagesstätte als beste in Bayern.

Von Johann Osel, Nürnberg

"Opa" und "Oma" gehen den Kindern schnell über die Lippen - kaum hat Johanna Nohl die roten Platten mit den Buchstaben aufgelegt, ruft ihre Kita-Gruppe die Worte im Chor. Anders bei der Hose. "H-h-h-ooo-se," sagt die Erzieherin und fragt ein Mädchen im Minnie-Maus-Oberteil: "Kennst du den Buchstaben schon?" Die Kleine schaut unsicher, tastet dann das H ab, es ist in Raufaserpapier aufgedruckt. Nächstes Mal klappt das. Es kommt die R-r-r-ooo-se dran, dann die N-n-n-aaa-se.

Überwiegend Mädchen haben sich um das Sprachlernspiel versammelt. Dass Jungen auch hier sind, in der Hans-Georg-Karg-Kita Nürnberg, hört man: Auf dem Autoteppich werden Brummgeräusche gemacht, es wird getobt, mal gerangelt. Klischees treffen halt doch zuweilen zu. Nohl macht es schwieriger: "Kobold" soll gelegt werden - fast eine Minute wird "Dkobol" liegen bleiben, bevor die Drei- bis Fünfjährigen den Fehler entdecken. Einer der wenigen Buben am Tisch, ein schmaler Blondschopf, rückt das D an den richtigen Platz; und die anderen freuen sich mit ihm.

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Spielend lernen und gleichzeitig die Schlucht zwischen hochbegabten und normalbegabten Kindern überbrücken, das schafft diese Kindertagesstätte. Davon profitieren alle Seiten.

Eigene Fähigkeiten und die anderer Kinder wahrzunehmen, verläuft in dem Alter normalerweise wertfrei, sagt Kita-Leiterin Beatrix Hirschbolz-Tèr, die dem Treiben zuschaut. Die Kinder seien selten neidisch. Das heißt: Das eine Kind kann eben mehr Buchstaben, das andere schöne Purzelbäume. Entwicklungsunterschiede sind in dieser Kita allerdings Prinzip. Die Hälfte der Kinder gilt als hochbegabt. Oder, wie es Fachleute für dieses Alter nennen: "entwicklungsschnell".

Die andere Hälfte, "Normalbegabte", kommt aus dem Stadtviertel St. Leonhard - keine Problemgegend, aber das einstige Arbeiterquartier ist auch nicht gerade die beste Adresse Nürnbergs, mit hohem Migrantenanteil und mitunter sozial schwierigem Umfeld.

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Alle sollen hier voneinander lernen, "Chancengeberin" steht auf der Visitenkarte der Leiterin. Ihre Einrichtung ist laut Expertenansicht die beste Kita Bayerns. Beim Deutschen Kita-Preis steht sie unter den bundesweit zehn Finalisten - als einziger im Wettbewerb verbliebener Bewerber im Freistaat. Gut 1400 Kitas und lokale Bildungsbündnisse hatten sich vergangenes Jahr beworben.

In einer normalen Kita können "Hochbegabte" zu Außenseitern werden, als Klugscheißer gelten

Im Büro von Hirschbolz-Tèr döst am Boden Bruno, drei Jahre alt, und erhofft sich ein Leckerli. Kein Kind, sondern ein Schul- und Therapiehund. Die Kinder sollen lernen, wie man mit Tieren umgeht. Mehr noch: Schüchterne öffnen sich in seiner Anwesenheit, Lebhafte nehmen sich zurück. So ungefähr lautet das Jobprofil von Bruno. Ohnehin Verschiedenheit: Die Entwicklungsschnellen sollen die anderen mitziehen mit ihrem Wissensdurst und trotzdem Spitzenförderung bekommen.

Schul- und Therapiehund Bruno, hier an der Seite von Kita-Leiterin Beatrix Hirschbolz-Tèr, spielt eine wichtige Rolle in der Einrichtung. (Foto: Johann Osel)

In einer normalen Kita könnten sie - müssen es nicht - zu Außenseitern werden, als Klugscheißer gelten. Unterm Strich bietet sich für alle eine üppige Ausstattung und die pädagogische Begleitung. Bei "Normalbegabten" kämen später sehr oft positive Rückmeldungen aus der Grundschule.

Hinter der Idee steht die in Frankfurt sitzende Karg-Stiftung, die sich dem Thema Hochbegabung verschrieben hat. Träger der Modell-Kita in Nürnberg ist das Christliche Jugenddorfwerk Deutschland. "Die individuelle Förderung jedes Kindes ist eine grundsätzliche Anforderung. Die Förderung von Kindern mit besonderen Begabungen stellt eine Facette dieses Anspruchs dar", sagt Christine Koop, bei der Stiftung Ressortleiterin für frühe Förderung.

Auch in Kitas verliere "der Begriff der Normalität immer mehr seine Bedeutung für das pädagogische Handeln"; stattdessen habe man jeweilige physische, kognitive, soziale und kulturelle Voraussetzungen im Blick. Das Ziel sei es, sagt Koop, "Lernarrangements" so zu gestalten, dass sie eine passende Förderung für jedes Kind je nach Entwicklung gewährleisten. Über den Ansatz Begabung möchte die Stiftung "Motor" für Qualitätsentwicklung von Einrichtungen generell sein. So will man Begabungsförderung also verstanden wissen, nicht als das Heranzüchten von Eliten.

Das Thema Hochbegabung ist in Mode, es tendiert zwischen Trend und Vorurteil. Manche Wissenschaftler sagen, derartige Förderung passe zur "Beschleunigungsgesellschaft"; dann ist häufig auch von elterlichem Ehrgeiz und Bildungsvorsprung als Statussymbol die Rede. Andere Fachleute betonen, dass bei individueller Förderung lange nur an Kinder gedacht worden sei, die mit ihren Leistungen hinterherhinken. Angebote für die Spitze seien rar. "Es war ja geradezu verpönt, das in den Mund zu nehmen", hieß es vor einigen Jahren in der Kultusministerkonferenz, als diese eine Hochbegabtenstrategie für Schulen auflegte.

"Begabtenförderung ist sozial gerecht", meint auch Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU). Sie sei ebenso "wesentliches Element von Bildungsgerechtigkeit", wie die Förderung von Kindern mit schwierigeren Startbedingungen. Spaenle hat im Freistaat die Strukturen weiterentwickelt, etwa in Kompetenzzentren an Gymnasien. Ob Hochbegabte separate Angebote brauchen oder in der Regelschule klarkommen, lässt sich aber nicht pauschal sagen. Auch Beratung und Diagnostik wurden in Bayern ausgebaut - quasi, damit nicht jeder gleich sein Kind für einen Einstein hält.

Ungewöhnlich ist der Fokus bereits auf frühkindlicher Bildung. Die Nürnberger Kita profitiert auch von Stiftungsmitteln, dazu wird sie von den regulären staatlichen Zuschüssen und Gebühren finanziert. Die liegen höher als an städtischen Kitas, aber im Bereich anderer freier Träger, heißt es. Das Angebot freilich ist exquisit, eine Werkstatt, musikalische Früherziehung, Foto-Projekte, Schach, nur ein paar Beispiele. Die Kinder wählen in der Regel selbst, was sie machen.

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Im Flur haben sie ein Sandmuseum gebaut; die Kinder sollen es bestücken, ob mit Körnern aus dem Urlaub oder vom heimischen Fluss. In Gläsern stapeln sich Nordsee und Pegnitz, auch Sand aus der Türkei oder Ägypten. Die Weltkarte dazu ist spielerischer Erdkundeunterricht. Gegenüber steht ein Turm aus Gummistiefeln, in den Garten gehen sie täglich. Rosa, blau, grün, nochmals rosa. Viel rosa.

In der Turnhalle wartet ein Mathe-Parcours mit Lernstationen - Bälle zum Abzählen und Zahlen kennenlernen. Im ersten Stock, in der Dino-Gruppe, läuft noch der Morgenkreis. Ein Kind steht immer in der Mitte, soll etwas erzählen, vorführen oder andere anleiten.

Heute: Basteln. Das Mädchen in der Mitte ist klar die Chefin. "Hexentreppe oder Girlande?" fragt sie reihum, verteilt Papier und Kleber. Wenn ein Kind zögert, daumenlutschend grübelt, sagt sie auch mal forsch: "Du machst eine Hexentreppe! Und nimm doch lila, das ist so toll."

Einige Eltern merken selbst, dass ihr Kind anders ist

Man ahnt, wer entwicklungsschnell ist, liegt aber zuweilen falsch. Persönliche Reife und kognitive Kompetenz können voneinander abweichen. Tests für Hochbegabung finden frühestens zum Schuleintritt statt. Entwicklungsschnelle Mädchen und Jungen kommen häufig auf Empfehlung des Kinderarztes, dem etwa Kombinationsgabe oder sprachlicher Fortschritt auffallen, auch über die Erzieher aus der Krippe. Einige Eltern merken selbst, dass ihr Kind anders ist, sind teils verunsichert. Andere treiben Ambitionen an. Bei Probetagen in der Kita sehen die Erzieher dann, ob die Begabung eher Wunschdenken ist. Das komme aber selten vor, sagt Hirschbolz-Tèr.

Vielleicht hat die Idee und nicht nur das konkrete Angebot die Gutachter des Kita-Preises überzeugt. Begleitend zur Endauswahl wird es auf www.eltern.de im März eine Online-Abstimmung geben. Veranstaltet wird der Wettbewerb vom Bundesfamilienministerium, von Verbänden und Stiftungen.

Auch die Karg-Stiftung ist dabei, das Jurymitglied enthält sich in dem Fall aber der Stimme, teilt man vorsorglich mit. Für Hirschbolz-Tèr ist der Top-Ten-Platz "schon eine super Anerkennung für das Team und unsere Arbeit". Diese spricht sich herum: Aus Nürnberg und Umland kommen Hochbegabte, bei der anderen Hälfte ist es eine Mischung: Manche Eltern lassen ihre Kinder hier betreuen, weil sie ums Eck wohnen; bildungsbewusste Mütter und Väter suchen sich zunehmend konkret die Kita aus, trotz Warteliste. So völlig abwegig ist das mit dem Ehrgeiz und Bildungsvorsprung wohl auch nicht.

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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