An Fronleichnam wird der Glaube auf die Straße getragen, heißt es. Katholiken feiern an dem Tag die Gegenwart von Jesus in Wein und Brot, die für seinen „Leib“ und sein Blut stehen. In Bayern wird das ernst genommen – aber unterschiedlich gefeiert. Fronleichnam ist keineswegs nur ein kirchlicher Feiertag, sondern tief verwoben mit bayerischer – und fränkischer – Kultur.
Seehausen am Staffelsee

In Seehausen am Staffelsee wird die Prozession nicht nur im Dorf, sondern auch auf einem See vollzogen – als einzige in ganz Bayern. Fünf „schneidige Mannsbilder“, sagt Mesnerin Martina Guglhör, rudern die geschmückte Hauptfähre vorneweg mitsamt Priester, Monstranz und Chor. Die Blaskapelle fährt auf einem Motorboot hinterher. Bis zu 150 Boote seien insgesamt auf dem Staffelsee unterwegs, sagt der Seehausener Kirchenpfleger Michael Guglhör.
Die Prozession startet an der Pfarrkirche von Seehausen im oberbayerischen Landkreis Garmisch-Partenkirchen. So weit, so üblich. Doch im Anschluss zieht sie mit Ruderbooten über den See bis zur Insel Wörth. Jeder kann sich mit seinem eigenen Boot anschließen. Insgesamt stoppt die Prozession an vier Altären, um zu beten und Fürbitte zu halten. Der dritte Altar befindet sich auf einer Kapelle auf der Insel. Danach rudert die Prozession unter Gesang und Blaskapellenklang zurück zum „Festland“, wo am vierten Altar der im See Ertrunkenen gedacht wird.
Im Jahr 1935 zog die Prozession erstmals aufs Wasser, um die Geschichte der Insel Wörth zu würdigen. In der dortigen Kapelle lebten schon im 8. Jahrhundert die ersten Mönche, sagt Kirchenpfleger Guglhör. Hier liege die Quelle des christlichen Ursprungs der Gegend. Bis 1773 war die Insel-Kirche die einzige Pfarrkirche der Gemeinden am Staffelsee und ausschließlich erreichbar über einen 250 Meter langen Steg.
Mehrere Tage vor der Prozession binden Freiwillige eine zweimal 20 Meter lange Girlande für die Fähre, sagt Mesnerin Guglhör. Es sei immer schwieriger, Leute dafür zu finden. „Früher waren die Bäuerinnen immer zu Hause mit ihren Kindern“, heute würden viele arbeiten. Die Zeiten seien „zum Grausen“, sagt sie auch mit Blick auf die schwindende Bedeutung der Kirche. Für sie sei Fronleichnam ein ganz besonderer Tag „an dem sich für mich persönlich der Himmel öffnet und die Leute zum Glauben finden“.
Wackersberg

Vor einer der schönsten Kulissen findet die Fronleichnamsprozession in Wackersberg (Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen) statt. Etwa 200 Männer der Gebirgsschützenkompanie marschieren in Tracht und mit Fahnen über die Felder, dahinter Frauen im Schalk, wie die Tracht für verheiratete Frauen heißt. Im Hintergrund erheben sich die Alpenvorläufer. Hier sei „die Welt noch sehr in Ordnung“ und das Brauchtum werde gelebt, sagt Johann Baumgartner, der Vorsitzende der Gebirgsschützen.
Doch was die Prozession so besonders macht, sind nicht nur Gebirgspanorama und -schützen. Sondern auch ein Wirtshaus, in dem seit Generationen an Fronleichnam praktisch der ganze Prozessionszug einkehrt. Seit 1766 bedient der Gasthof Altwirt in dem 3500-Seelen-Ort südlich von Bad Tölz seine Gäste.
Am Donnerstag erwarten sie wieder bis zu 500 Gäste, sagt die Wirtin des Gasthofes, Katharina Goldner. Sie führt zusammen mit ihrem Mann den Altwirt. Warum das halbe Dorf genau bei ihr einkehrt? „Wir haben einfach einen brutal schönen Biergarten und den Platz“, lacht Goldner am Telefon.
Der Ablauf in Wackersberg: Um halb neun beginnt der Gottesdienst, dann zieht die Prozession über die Felder und um halb elf trudeln die ersten Gäste im Altwirt ein. Für die Familie Goldner ist Fronleichnam damit einer der umsatzstärksten Tage des Jahres, zwölf Bedienungen sind im Einsatz. Im Biergarten wird dann gefeiert – manchmal bis nach Mitternacht. „Das mag schon vorgekommen sein“, sagt Goldner.
Bamberg

In Bamberg wird Fronleichnam gleich doppelt gefeiert. Am Feiertag selbst mit einer großen Prozession durch die Altstadt, bei der große Marienfiguren und das schwere Domkreuz durch die Straßen getragen werden. Und am Sonntag danach, bei einer kleineren Prozession vor allem der Bamberger Gärtner. Seit 1440 führen die Zünfte ihre eigene Prozession durch. Heute gibt es freilich keine Zünfte mehr, aber die Familien bestehen bis heute und sind weiterhin mit ihrem Handwerk verwurzelt. Sie tragen eine große Figur, ein Meisterbild mit Jesus als Gärtner und der heiligen Maria bei ihrer Prozession durch die Straßen. Denn, so steht es im Johannesevangelium, Maria sieht den auferstandenen Jesus als Erstes, hält ihn aber für einen Gärtner.
Sebastian Niedermaier ist Teil einer dieser Gärtnerfamilien, die in der oberfränkischen Stadt seit Jahrhunderten wohnen. Der 37-Jährige hat den Gärtnereibetrieb vor einigen Jahren von seinem Vater übernommen. Er wird am Donnerstag und noch einmal am Sonntag das 300 Kilogramm schwere Meisterbild zusammen mit fünf anderen Männern durch die Straßen tragen. „Jeder trägt 50 Kilo verteilt auf sechs Schultern. Vorn tragen die Kleineren, dann die Mittleren und hinten die Größten, anders geht’s nicht“, sagt Niedermaier.
Für ihn und seine Familie ist Fronleichnam das wichtigste Fest des Jahres, „wie für andere Karneval“, sagt er. Ein alter, fränkischer Gärtnerspruch lautet: „Für uns Gärdner is Frohnleichnam das Höchsda, weil do kummt der Herrgott jo nei di Strass“, also etwa: Für uns Gärtner ist Fronleichnam das Höchste, weil da kommt Gott in die Straßen hinein. Um den „Herrgott“ zu ehren, werden die Figuren aufwendig mit Blumen geschmückt, Niedermaiers Vater legt frisches Gras auf den Straßenrand.
Der Feiertag am Donnerstag beginnt mit einem Gottesdienst im Dom um acht Uhr, danach startet die Prozession. Dabei laufen nicht nur viele Gläubige mit, die Ritterorden, allerhand Honoratioren, Vereine und Verbände, es säumen auch Tausende Touristen die Straßen. Zu sehen gibt es eben die reich geschmückten Heiligenfiguren, historische Prozessionsstangen und natürlich die örtliche Prominenz.