Volksmusik:Von wegen Musikantenstadl

Brass Wiesn in Eching, 2017

Gruppen wie die "Waginger-See-Musi" spielen längst auch bei Festivals wie der Brass Wiesn Eching.

(Foto: Marco Einfeldt)

In Freyung entsteht die erste Volksmusikakademie Deutschlands. Dort sollen Kapellen und Bands Raum finden, die Tradition zu bewahren und fortzuentwickeln. Am Bedarf zweifeln die Initiatoren nicht.

Von Andreas Glas, Freyung

Wer Philipp Ortmeier ärgern möchte, muss ihn auf Andreas Gabalier ansprechen. Oder auf Karl Moik. Er schnauft dann tief durch, grinst, rollt die Augen, alles gleichzeitig. Nein, sagt Ortmeier, "wir haben nicht vor, Gabaliers zu züchten". Und nein, man werde Freyung nicht zum Musikantenstadl umbauen. Gabalier, Moik, das sind natürlich blöde Stichworte. Aber man will halt verstehen, was da gerade passiert im Bayerischen Wald.

Sieben Monate noch, dann soll in Freyung die Volksmusikakademie öffnen, die erste der Republik. Da stellen sich eben Fragen, schon wegen dieses Begriffs: Akademie. Passt das zur Volksmusik, die ihre Identität daraus zieht, dass sie nicht akademisch ist, nicht abgehoben, nicht elitär? Überhaupt, Volksmusik, ist das kein Imagerisiko für eine Region, die das Klischee des grauhaarigen, überalterten, faltigen Bayerwalds loswerden möchte?

Philipp Ortmeier, 40, künstlerischer Leiter der Akademie, hat mit diesen Fragen gerechnet. Mit Bürgermeister Olaf Heinrich (CSU), 39, steht er neben Stahlgerüsten, es klopft und hämmert auf der Baustelle mitten in Freyung. Das Musikantenstadl-Gedudel habe man vielleicht "in den Achtzigern und Neunzigern als Volksmusik wahrgenommen", sagt Ortmeier, "da war das eher die verstaubte Ecke". Heute sei das anders, "man braucht sich nur die Festivalkultur anschauen". Auch Bürgermeister Heinrich sagt: "Volksmusik ist in."

Sie haben ja recht. Überall schießen diese Festivals aus dem Boden. "Love, Peace und Blasmusik" (Regensburg), "Heimatsound-Festival" (Oberammergau), in Österreich gibt es das "Woodstock der Blasmusik" mit 50 000 großteils jugendlichen Besuchern. Tuba statt Tamburin, Lederhose statt Schlaghose. Die Bands heißen La Brass Banda oder Kofelgschroa, bringen Volksmusik mit Elementen der Popmusik zusammen.

"Schon in den Siebzigern haben Wolfgang Ambros oder Hubert von Goisern sehr progressiv gearbeitet. Daraus hat sich eine Bewegung entwickelt, die momentan ihren Höhepunkt erreicht. Wir wollen keine museale Volksmusikpflege betreiben. Diese frische, junge Szene wollen wir auch in der Akademie abbilden."

Auch, sagt Ortmeier, diese Betonung ist ihm wichtig. "Wir wollen, dass sich die neuen Einflüsse wiederfinden, aber das Traditionelle bleibt", sagt Bürgermeister Heinrich, der mit Trachtenjanker und gescheiteltem Kurzhaar eher nach Stadtkapelle aussieht, nicht nach La Brass Banda.

Volksmusik: Für Volksmusik-Bands wird der ehemalige Langstadl umgebaut.

Für Volksmusik-Bands wird der ehemalige Langstadl umgebaut.

(Foto: Stadt Freyung)

Mit der Freyunger Stadtkapelle hat alles auch angefangen. Jedes Jahr fuhr die Kapelle "ins Trainingslager", wie Heinrich es nennt. Und jedes Jahr tat sie sich schwer, passende Räume zu finden. Viele Kapellen und Bands fahren einmal im Jahr fort, um ihr Programm in Ruhe einzustudieren.

"Da kam mir der Gedanke: Müsste man nicht versuchen, das irgendwo mit idealen Bedingungen anzubieten?", sagt Heinrich. Also warb er bei den Stadträten mit der Idee, Freyung zur Volksmusikstadt zu machen. Es gab Skeptiker, aber am Ende haben alle zugestimmt. "Sie haben die Chance gesehen, dass es ein Alleinstellungsmerkmal für Freyung werden kann und Leute herzieht, die sonst nicht unbedingt in die Region kommen", sagt Heinrich.

"Alles ist erlaubt, die Kunst ist frei"

Dass die Idee nun "Akademie" heißt, ist streng genommen eine Lüge. Es wird ja keine Hochschule sein, an der Studenten mehrere Semester Volksmusik studieren. Aber in Gesprächen mit Musikern, Heimat- und Volksmusikpflegern habe sich herausgestellt, dass Kapellen und Bands nicht nur proben wollen. "Man muss sich das nicht wie Vorlesungen vorstellen", sagt Ortmeier. Es gehe drum, "ein Bewusstsein für die Materie zu schaffen und in die Geschichte hineinzuschauen, bevor man ans Material geht und das praktisch umsetzt". Dafür werde man Dozenten nach Freyung holen, ausgesucht nach den Bedürfnissen der Musiker. Freie Dozenten allerdings, fest angestellt wird nur Ortmeier sein, dazu mindestens sechs Mitarbeiter, die sich um die Organisation kümmern, etwa um den Übernachtungsbetrieb.

Zwölf Zimmer mit 48 Betten wird es geben. Kein Hotel, eher eine Herberge. Ein Restaurant gibt es ebenfalls nicht, höchstens Catering. Der Bürgermeister will den Freyunger Gastronomen keine Konkurrenz machen, im Gegenteil. "Ich wünsche mir, dass - wenn das Seminar vorbei ist - die Kapellen am Stadtplatz auftreten oder am Freitagabend im Wirtshaus und die Leute singen mit." Für die Musiker wäre das die Chance, ihr Programm auch live zu proben. Die Wirtsleute könnten damit um Gäste werben. Und die Stadt sich als Touristenziel profilieren, das Bayerwald-Urlaubern überall im Ort Livemusik bietet.

Volksmusik: Der Entwurf zeigt den Eingangsbereich.

Der Entwurf zeigt den Eingangsbereich.

(Foto: Stadt Freyung)

Nicht nur Instrumentalmusiker will die Akademie locken, auch Sänger und Tänzer. Nicht nur Gruppen, auch Einzelmusiker und Anfänger. Es wird einen großen Probesaal geben plus zehn kleinere, schallisolierte Räume. Zwölf Millionen Euro kostet der Bau, etwa zwei Drittel davon stammen aus Fördermitteln. Heinrich rechnet mit maximal 400 000 Euro Defizit im Jahr. Schultern wird die Stadt diese Summe nicht allein, der Bezirk Niederbayern beteiligt sich. Praktischerweise ist Heinrich ja auch Bezirkstagspräsident.

Zurzeit ist er noch eingerüstet, der alte Langstadl, in dem die Akademie entsteht. Früher lebten darin Rösser, und Fässer lagerten drin. Über einen gläsernen Gang ist der Stadl verbunden mit einem Neubau, in dem die Übernachtungszimmer untergebracht sind. Optisch ergebe sich "fast die Situation eines Vierseithofs", sagt Heinrich. Das passt zur Volksmusik, die früher oft in Bauernstuben gemacht wurde. Aber passt die Akademie auch nach Freyung?

Natürlich gehöre die Volksmusik nicht nur den Niederbayern, theoretisch könnte die Akademie überall in Bayern stehen, sagt Heinrich. "Aber was ich hier als Standortvorteil sehe, ist die Grenzlage" zu Österreich und Tschechien, deren Musiker man ebenfalls locken will. "Dass unterschiedliche Einflüsse zusammentreffen, hat es in der Volksmusik schon immer gegeben. Deswegen passt das schon gut hierher."

Im März 2019 soll es also losgehen. Dass er mal Leiter einer Volksmusikakademie ist, daran hätte Philipp Ortmeier früher sicher nicht gedacht. Er kommt aus der klassischen Musik, hat Klavier und Violoncello gelernt, hat in Musikwissenschaft studiert und promoviert. Zuletzt war er Kulturreferent des Bezirks Niederbayern und hat in dieser Funktion bereits zur Volksmusik geforscht. Das Akademieprogramm für das erste Jahr hat Ortmeier schon fertig. Einen Einsteigerkurs soll es geben, ein Landlerseminar, einen Meisterkurs für die Steirische Harmonika. "Alles ist erlaubt, die Kunst ist frei", sagt Ortmeier. Ein bisschen schränkt er das Kursangebot dann aber doch ein. "Gabalier für Anfänger werden wir sicher nicht machen."

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