Freyung-Grafenau:Wie ein abgelegener Landkreis um Zuzug kämpft

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Das Städtchen Freyung will sich und seine Vorzüge künftig besser präsentieren. Damit sie auch in München wissen, wie schön Bayerns Osten ist. (Foto: Volker Preußer/imago)
  • Freyung-Grafenau liegt zwischen Passau, Deggendorf, Tschechien und Österreich.
  • Der niederbayerische Landkreis kämpft mit dem demografischen Wandel - langfristig ist eher mit Schwund als mit Zuzug zu rechnen.
  • Darum soll eine Image-Kampagne den Menschen die Region näher bringen.

Von Maximilian Gerl, Freyung

Stefan Schuster fällt einiges ein, wenn er über die Vorzüge des Bayerischen Waldes spricht. Natur, bezahlbarer Wohnraum, Sicherheit, Kita-Plätze. "Das müssen wir den Menschen zeigen", sagt der Regionalmanager von Freyung-Grafenau und genau dafür hat man sich im Landkreis etwas Besonderes ausgedacht: eine Image-Kampagne. Groß angelegt, im Internet und den sozialen Netzwerken, dazu eine eigene Broschüre.

Von September an sollen Promoter durch Bayern reisen und für den östlichsten Landkreis Bayerns werben. "Mehr als du erwartest", lautet ein Slogan der Kampagne, ein anderer: "Mehr Raum und Zeit". Was die Sache ein bisschen nach Größenwahn klingen lässt. Zur Erinnerung: Freyung-Grafenau ist dieser scheinbar menschenleere Landstrich zwischen Passau, Deggendorf, Tschechien und Österreich. Hügel, Felder, Bayerwald.

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Tatsächlich hat die Kampagne mit Größenwahn wenig zu tun. Sie ist dringend notwendig - und richtig gut gemacht. In Freyung-Grafenau hören sie vor allem Letzteres gern. "Das freut uns sehr", sagt Schuster. Als Regionalmanager ist er quasi oberster Marketing-Chef des Landkreises und mitverantwortlich für die Kampagne. Das Projekt ist langfristig angelegt, bis 2021 steht die Finanzierung.

Insgesamt investiert der Landkreis mehrere Hunderttausend Euro in seine Außendarstellung. Das Geld stammt aus Fördertöpfen des Heimatministeriums und von örtlichen Unternehmern. Die zahlen gern: Stefan Schuster und seine Kollegen rennen bei ihnen offenen Türen ein.

Der niederbayerische Landkreis kämpft mit dem demografischen Wandel. Noch wohnen dort mehr als 78 000 Menschen. Die Zuwanderungsrate hat sich zuletzt stabilisiert, auf 0,25 Prozent. Langfristig ist aber eher mit Schwund als mit Zuzug zu rechnen. Dabei suchen Unternehmen aus der Region schon heute dringend nach neuen Mitarbeitern. Jobs gäbe es also, doch die meisten Menschen ziehen lieber in Boom-Regionen wie Augsburg, Nürnberg und München. Sie und ihre Familien fehlen den Firmen und allen anderen in der Gegend, den Einzelhändlern, Lokalen, Vereinen, Schulen.

Schuster sagt, die Image-Kampagne richte sich an alle. Dennoch stechen zwei Zielgruppen heraus: diejenigen, die überlegen, von der Großstadt in den ländlichen Raum zu ziehen - und die jungen Einheimischen im Landkreis. "Wir haben keine Hochschule", sagt Schuster. Wer studieren wolle, müsse zwangsläufig wegziehen. "Die Gefahr ist dann groß, dass die Menschen gleich ganz wegbleiben. Da müssen wir möglichst früh ansetzen." Auch deshalb werben in der Kampagne viele regionale Unternehmen mit Jobs und Karrieremöglichkeiten. Auf der Kampagnen-Website gibt es zudem ein Stellenportal mit mehr als 100 Einträgen.

Das Außenbild aufzupolieren, auf die Idee kamen schon einige Gemeinden in Bayern - nicht zu vergessen der Freistaat selbst, der unter anderem ein eigenes Touristikportal fördert. Aber die Kampagne von Freyung-Grafenau ist anders. Eine derartige Bewerbungsmappe hat bislang kein bayerischer Landkreis geschnürt. Die Aufmachung der mehr als 80 Seiten dicken Werbebroschüre ist hell und modern, die Sprache emotional. Gleichzeitig offenbart die Broschüre das Dilemma von Freyung-Grafenau. Hier hat sich nicht nur jemand überlegt, was er wie warum wann sagt. Hier weiß jemand offenbar auch, dass es dafür so schnell keine zweite Chance geben wird.

Wenn man einmal die Gelegenheit hat, mit Klischees aufzuräumen, muss man sie bestmöglich nutzen, bevor es sich das Gegenüber anders überlegt. Und Klischees gäbe es ja genug: etwa, dass alle Ostbayern Hinterwäldler sind. Dass es bei ihnen weder Arbeit noch Perspektiven gibt, das einzige Wirtshaus im Dorf schon vor langer Zeit zugemacht hat, der Bus nur einmal am Tag fährt, wenn überhaupt, und dann meistens ohne anzuhalten durch.

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Klischees werden am besten persönlich widerlegt. Darum haben sich Schuster, seine Kollegen vom Landratsamt und eine örtliche Agentur einen besonderen Kampagnentrick ausgedacht. Sie verlosen kostenlose Kennenlern-Wochenenden. Zu gewinnen gibt es "ein individuelles Programm", sagt Schuster. "Das wird kein Wellness-Wochenende." Freyung-Grafenau-Scouts - also Einheimische - sollen jedem Gewinner zwei Tage lang den Landkreis zeigen. Neben "der schönen Natur und touristischen Hotspots" würden dabei auch potenzielle Arbeitgeber vorgestellt oder Kitas.

Auch abseits der Kampagne versuchen die Niederbayern verstärkt, sich bestmöglich zu präsentieren. So empfängt die Stadt Waldkirchen im Internet mit angenehm unaufdringlichen Panoramaaufnahmen statt mit Meldungen über die nächste Mülltonnenleerung. Und die Stadt Freyung bietet gar einen virtuellen Rundgang an. Am Computer kann der Nutzer über die ganze Stadt fliegen, sich umschauen und in alle Richtungen drehen. Möglich machen es 360-Grad-Aufnahmen aus einer Drohne. Manch einer wird das für völlig verrückt halten. Oder für revolutionär, verglichen mit dem biederen Webauftritt vieler anderer Gemeinden in Bayern.

Im Landkreis gibt es auch Kritik an der Image-Kampagne. Zweifel, ob sie Erfolg haben wird - und was überhaupt als Erfolg zu werten ist. Nur mal hypothetisch: Wenn 300 Exil-Münchner in Grafenau einfallen und die Hauptstraße mit hippen Kaffeeläden, Yogastudios und Bio-Supermärkten gentrifizieren, wäre das ein Erfolg? Schuster sagt, natürlich habe man Erfolgskriterien, "die Zahl unserer Follower bei Social Media hat sich zum Beispiel verdreifacht".

Die Presse sei sehr interessiert. "Das zeigt, dass wir den Nagel ein bisschen auf den Kopf getroffen haben." Und es habe einige Anrufe und Anfragen gegeben, ob das Kampagnen-Team Kontakte zu örtlichen Firmen wegen eines Jobs herstellen könne. Was noch daraus wird, wollen sie erst mal abwarten in Freyung-Grafenau. Vielleicht ja mehr als mancher erwartet.

© SZ vom 02.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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