Freie Wähler:Ihr Ziel ist der Bundestag

Das ist eine satte Vier-Fünftel-Mehrheit: 80 Prozent der Delegierten wollen, dass die Freien Wähler bei der nächsten Bundestagswahl antreten. In Bayern haben sie den Grünen und der SPD zwei Dinge voraus.

Christian Sebald

Nein, mit einem so spektakulären Votum hat nicht einmal Hubert Aiwanger gerechnet. Knapp 80 Prozent der 732 Delegierten - das ist eine satte Vier-Fünftel-Mehrheit - sind dafür, dass die Freien Wähler bei der Bundestagswahl 2013 antreten. Kaum hat der Abstimmungsleiter das Ergebnis verkündet, reißt es in der Betonhalle im unterfränkischen Geiselwind die Delegierten von den Stühlen.

41.Korbmarkt Lichtenfels _ Aiwanger

Der Höhenflug für Huber Aiwanger bei den Freien Wählern dauert an.

(Foto: SEYBOLDT4MEDIA)

Minutenlang spendet die Landesversammlung ihrem Chef Aiwanger stehend Applaus. Aiwanger selbst sitzt wie versteinert an seinem Pult. Dann steht er auf und tritt nach vorne. Nur langsam weicht die Anspannung von ihm. "Das ist ein historischer Moment", wird er wenig später pathetisch sagen. "Mit diesem Abstimmungsergebnis haben wir den Riesen Freien Wähler erweckt. Der Weg ist frei, dass wir Politik auf allen Ebenen machen - in den Kommunen, in den Ländern, im Bund und in Europa."

Aiwangers Höhenflug dauert an. So unabhängig und kritisch sich die Basis der Freien Wähler stets gibt, wenn es um die Person Aiwanger geht, letztlich fährt der 40-jährige Landwirt aus Niederbayern doch immer wieder fulminante Abstimmungsergebnisse für seine Politik ein. Auch die Bundestagskandidatur der Freien Wähler, so hat man bis zuletzt von prominenten Freien gehört, sei in den Orts- und in den Kreisgruppen sehr umstritten. Die Abstimmung werde womöglich sehr knapp ausgehen. Dass es nicht so gekommen ist, hat gewiss mit Aiwangers bodenständigem, mitunter hemdsärmeligem und in jedem Fall sehr machtbewusstem Stil zu tun, mit dem er seine Freien stets mitreißt.

Es hat aber auch damit zu tun, dass sich die Freien inzwischen in der Landespolitik etabliert haben. In sämtlichen Umfragen nehmen Aiwanger und die Seinen inzwischen locker die Fünf-Prozent-Hürde, die für den Landtag nötig ist. Die Ergebnisse liegen sogar, wie neue Umfragen zeigen, wieder eher bei zehn Prozent als bei fünf. Auch in der Landtagsfraktion läuft es derzeit gut und zwar nicht nur, weil die 20 Abgeordneten so harmonisch arbeiten wie selten. Sondern weil die Themen der Freien ankommen im Land - ob das die dezentrale Energiewende ist oder ihre Schulpolitik, die den Kommunen sehr viel mehr Spielräume lassen will, als die CSU sich das vorstellen kann. Oder die Förderung der ländlichen Regionen, die Aiwanger schon forderte, als der Zukunftsrat der Staatsregierung noch für die Stärkung der Ballungsräume plädierte.

Wir Freien Wähler haben doch längst die Themen besetzt, die den Leuten auf den Nägeln brennen", lautet Aiwangers Credo. Auch auf dieser Landesversammlung ruft er es ein ums andere Mal den Delegierten zu. "Hier in Bayern sind wir längst Ideengeber für die Staatsregierung. Jetzt wollen wir das auch im Bund werden." Schließlich ist hier wie dort, so Aiwangers laut vorgetragene Analyse, die "bürgerliche Mitte in heilloser Auflösung. Und dieses Vakuum wollen wir nicht anderen überlassen".

Tatsächlich haben die Freien der bayerischen SPD und den Grünen zwei Dinge voraus. Das eine ist ihre Basis. Um die 40.000 Mitglieder zählen die Freien im Freistaat - und zwar stabil und flächendeckend. Die SPD dagegen, die derzeit noch auf 65 800 Genossen kommt, hat bisher kein Mittel gegen ihren Mitgliederschwund gefunden. Und bei den Grünen fühlt sich mancher schon als Volkspartei, nur weil sie inzwischen fast 8000 Mitglieder haben.

Das andere, was die Freien auszeichnet, ist ihre tiefe, jahrzehntelange Verankerung in der Kommunalpolitik. Aufs Ganze gesehen stellen Freie-Wähler-Gruppen bayernweit ein gutes Viertel der Mandatsträger in Gemeinderäten, Kreistagen und Stadträten, dazu 600 Bürgermeister und 14 Landräte. Und diese Tausenden Mandatsträger sind wertkonservative Leute - Mittelständler oder Lehrer, Zahnärzte oder Bauern.

Die kommunale Stärke ist freilich auch die Schwäche der Freien - wenn es um die Landes- und jetzt die Bundespolitik geht. Denn die Anhänger und Mandatsträger sehen überwiegend die Kommunalpolitik als das eigentliche Feld der Freien. Selbst Aiwanger beschwört dies immer wieder. So tun sich nach wie vor etliche Freie schwer damit, dass Aiwanger und die Seinen seit knapp drei Jahren Landespolitik machen. Und jetzt auch noch die Bundespolitik machen wollen. "Bei uns daheim verstehen sie überhaupt nicht, warum Aiwanger so in den Bund drängt", sagt Joachim Wilhelm, der aus dem schwäbischen Neusäß nach Unterfranken gefahren ist. "Uns fehlt's doch schon am Programm. Was sollen wir Freien den Leuten zur Euro-Krise sagen?" Wilhelm und andere Freie befürchten, dass sich nun ganze FW-Orts- und Kreisgruppen abwenden werden.

Aiwanger lässt solche Zweifel nicht gelten. Gerade die Lokalpolitiker erlebten doch täglich, wie sehr die Kommunen von Land, Bund und von Europa abhängen. "Wenn wir es ernst meinen mit unserem Grundsatz, dass wir starke Kommunen wollen", sagt er, "dann führt kein Weg vorbei am Bundestag." Aiwanger hält es deshalb nach wie vor für richtig, dass die Freien bei der Europawahl 2009 angetreten sind. Dass sie damals mit 1,7 Prozent nicht über den Status einer Splittergruppe hinauskamen, ficht ihn nicht an. Er betont lieber, dass es in Bayern immerhin 6,7 Prozent waren. Und überhaupt, sagt Aiwanger dann, "auch für den Landtag haben wir Freie drei Anläufe gebraucht. Wenn es jetzt drei Anläufe für den Bundestag braucht, macht das nichts. Entscheidend ist, dass wir hineinwollen". Er werde sich nicht aus dem Fenster stürzen, wenn es nicht gleich klappe.

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