Die Freien Wähler betonen gerne, dass es bei ihnen nicht zugeht wie bei den anderen etablierten Parteien - daher ja auch der Name. Eine Nicht-Partei quasi. Man hat es hier angeblich mit freien Menschen zu tun, die Politik für die kleinen Leute machen und dabei nicht von Parteisatzungen unterjocht und parteiinternen Machtkämpfen getrieben sind - zumindest auf kommunaler Ebene. Man kann den meisten Freien Wählern quasi eine Partei-Allergie unterstellen. Nur so ist folgende Besonderheit zu erklären: Man kann Mitglied in einem Orts- oder Kreisverband sein, muss dafür aber kein Parteimitglied werden.
In Cham in der Oberpfalz gab es sogar eine Bürgermeisterin der Freien Wähler, die zwar im Kreisverband tätig war, aber eine Parteimitgliedschaft ablehnte. Für höhere Weihen ist das Parteibuch dann aber schon notwendig. Wenn man zum Beispiel für den Landtag kandidieren will - oder aber, wenn man den FW-Landtagskandidaten mitküren möchte.

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Umso erstaunlicher - oder naheliegend - ist es nun, dass kurz vor Weihnachten im Kreisverband Cham etwa 40 Menschen waschechte Parteimitglieder wurden. 40 neue Mitglieder ist insofern eine hohe Zahl, als der ganze Kreisverband 800 Mitglieder zählt und nur etwa 150 davon auch ein FW-Parteibuch haben.
In Cham fand jüngst eine Kampfabstimmung der Freien Wähler zur Kür des Direktkandidaten für die Landtagswahl statt. Glaubt man den Worten des stellvertretenden Kreisvorsitzenden Hans Kraus, dann waren einige brandneue Parteibücher entscheidend dafür verantwortlich, dass nicht wie üblich und von ihm vorgeschlagen der 29-jährige Kreisvorsitzende Christian Schindler das Rennen um die Kandidatur machte, sondern ein gewisser Julian Preidl aus Bad Kötzting.


Zufälligerweise kommen die Neu-Mitglieder aus dessen Gegend, sie sind alle erst wenige Wochen vor der Abstimmung eingetreten. "Man kann davon ausgehen, dass diese Stimmen entscheidend für den Wahlausgang waren", sagt Kraus. Es war eine knappe Kiste: Preidl, 27 Jahre jung, machte mit 62 zu 54 Stimmen das Rennen.
"Es ist ein Geben und Nehmen", sagt der Sieger
Zuvor hatte er um Unterstützer geworben. "Ich bin jetzt nicht mit dem Parteibuch durch die Gegend gelaufen", sagt Preidl. Aber hier kenne eben jeder jeden, und er sei seit sieben Jahren politisch aktiv. "Es ist ein Geben und Nehmen, und dann haben sich eben einige überwunden, in die Partei zu gehen." Seine Unterstützer seien Freunde und "ihm nahestehende Menschen", die ihn und seine Arbeit gut kennen, sagt Preidl.
"Das ist ein legitimes Vorgehen, aber die feine englische Art ist es nicht", sagt sein Gegenkandidat Schindler. "Das ist nicht meine Art, Politik zu machen." Und tatsächlich kennt man so ein Vorgehen der gezielten Wähler-Akquise eher von der CSU. Das sagt sogar der erfolgreiche Mitglieder-Anwerber Preidl selbst: "Ich denke da an so manche Regierungspartei, die im Bierzelt die Biermarken an die Leute verteilt." Damit habe sein Vorgehen aber nichts zu tun. "Ich habe mir hier ja nichts ergaunert." Er habe sich den Zuspruch der Menschen hart erarbeitet.
Das hat der unterlegene Schindler auch. Bei der vergangenen Bundestagswahl holte er das beste Ergebnis eines Freien Wählers in Deutschland. Aber er konnte seine Unterstützer offensichtlich nicht derart mobilisieren. Hans Kraus bezeichnet Preidls Vorgehensweise als "höchst grenzwertig". Der Landeswahlleiter habe aber nun mal bestätigt, dass auch neue Mitglieder keine Frist abwarten müssen, bis sie Kandidaten nominieren dürfen. Sie müssen nur bestätigte Mitglieder am Tag der Abstimmung sein.
Preidl habe aber die Mehrheitsverhältnisse verschoben, sagt Kraus. Möglicherweise so, dass sie sich nicht mehr mit dem tatsächlichen Wählerwillen decken. "Viele im Verband sind geschockt und fühlen sich vorgeführt." Und wie fühlt sich Schindler? Er müsse das erst mal sacken lassen, sagt er. "Das hat schon Spuren hinterlassen." Ein Gutes habe das Ganze aber: "Ein Mitgliederzuwachs ist generell trotzdem toll." Und vor allem etwas Besonderes in einer janusköpfigen Institution, deren Anhänger Vize-Kreischef Kraus so beschreibt: "Der Freie Wähler an sich bekennt sich nicht gern zur Partei und will lieber unabhängig bleiben."