Landesversammlung der Freien Wähler:Aiwangers apokalyptische Attacke

Lesezeit: 4 Min.

Hubert Aiwanger ist in Nürnberg von rund 300 Delegierten der Freien Wähler erneut zum Landeschef gewählt worden. (Foto: dpa)

Der FW-Chef spricht von "durchgeknallter Bundesregierung", "Schnitzel ohne CO₂-Abgabe" und "raus aus diesen Lobbyistenkreisen". Damit will er sich den Weg nach Berlin ebnen. Bei der CSU löst das teils Sorge aus.

Von Andreas Glas, Nürnberg

Wer frech ist, der könnte jetzt sagen: Eine Partei, die das Stadion des 1. FC Nürnberg wählt, um ihre hochfliegenden Ambitionen zu beschwören und das auch noch als "Signal" verkauft, hat entweder Humor oder keine Ahnung von Fußball. Aber man muss ja nicht gleich frech werden. Zumal die Parole, die Hubert Aiwanger zu Beginn seiner Rede ausruft, ja schon irgendwie in ein Fußballstadion passt. Er steht auf der Bühne, eingerahmt von schwarz-rot-goldenen Flaggen, und ruft: "Deutschland braucht uns, wir stehen bereit, wir kommen nach Berlin!" Aiwanger winkt jetzt, der Beifall der rund 300 Delegierten ist warm.

"Wir kommen nach Berlin!" Das ist also die Aiwanger-Interpretation des Fußball-Fanchor-Klassikers "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!" Spätestens seit März, seit dem Einzug der Freien Wähler ins Landesparlament in Rheinland-Pfalz, wirkt der FW-Chef ja wie angefixt von der Idee, dass seine Partei auch bei der Bundestagswahl im Herbst triumphieren könnte. So angefixt, dass er das "könnte" am Samstag direkt weglässt - als sei das Ziel bereits erreicht. Willkommen bei der FW-Landesversammlung "wenige Monate vor dem Bundestagseinzug", sagt Aiwanger zu Beginn seiner Rede. In Richtung Tribüne schickt er einen Gruß an "unsere Vertreter der neuen Bundestagsfraktion".

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Den Anspruch, auch in Berlin mitzureden, hat FW-Chef Aiwanger schon länger, manche sagen: den Größenwahn. Aber das haben die selben Leute ja auch gesagt, bevor die Freien Wähler 2008 in den Landtag einzogen und 2018 in die Landesregierung. Die Chancen, dass es wirklich bald eine FW-Fraktion in Berlin gibt, sind nicht gerade gewaltig, das weiß auch Aiwanger. Etwa drei Prozent waren es zuletzt in Umfragen, mal etwas mehr, mal etwas weniger. Aber drei Prozent reichen für einen eigenen Balken in den Umfragediagrammen. So sichtbar waren die FW noch nie, das will Aiwanger nutzen. Also kämpft er auch so entschlossen wie nie.

Er wolle "die Bundespolitik wieder auf gesunde Beine stellen, raus aus diesen Lobbyistenkreisen", sagt Aiwanger in seiner Rede in Nürnberg. Man darf das als Gruß verstehen, vor allem an die CSU, die mit den Folgen ihrer Masken- und Lobbyaffären kämpft. Deren Generalsekretär Markus Blume hat sich vor der FW-Landesversammlung betont amüsiert geäußert über die bundespolitischen Ambitionen des Koalitionspartners in Bayern. "Hubert Aiwanger träumt ja seit einigen Wochen davon, dass er Deutschlands Außenminister wird. Ich fürchte für ihn, es wird ein Traum bleiben", sagte Blume dem Straubinger Tagblatt.

"Die CSU biedert sich den Grünen an", findet Aiwanger

Natürlich spricht einiges dafür, dass der CSU-Generalsekretär mit seiner Prognose recht behält. So furchtlos, wie das bei Blume klingt, blicken derzeit aber längst nicht alle Christsozialen auf die Freien Wähler. Erst neulich, in der Sitzung des CSU-Vorstands, hat Parteivize Manfred Weber eine Sorge ausgesprochen, die derzeit viele in der Partei umtreibt: dass die CSU unter dem Chef Markus Söder zu wenig um ihre konservativen Stammwähler werbe, und zu sehr um die Wähler der Grünen. Dass sich da womöglich eine Marktlücke auftut, haben die FW natürlich erkannt. "Die CSU biedert sich den Grünen an", sagt Aiwanger auf Nachfrage. Seine Freien Wähler, das ist sicher, übernehmen auch diesmal gerne die Betreuung für enttäuschte CSU-Anhänger, die sich von ihrer Partei vernachlässigt fühlen - was die Besorgten in der CSU eher noch mehr besorgen dürfte als beruhigen.

Zumindest zwischen den Zeilen blitzt diese Sorge auch bei CSU-Generalsekretär Blume durch. Denn auch wenn die FW es nicht in den Bundestag schaffen, könnten sie CDU und CSU wertvolle Stimmen klauen. "Jede Stimme für die Freien Wähler bringt die Grünen näher ans Kanzleramt, denn die Freien Wähler schwächen und spalten das bürgerliche Lager", so Markus Blume. Was Hubert Aiwanger logischerweise nicht davon abhält, auch in seiner Stadionrede weiterhin um die "bürgerliche Mitte" zu werben. Wobei die Mitte bei Aiwanger traditionell doch relativ breit gefasst ist. "Vom armen Schlucker bis zum Großunternehmer", die Freien Wähler seien für alle da, sagt er.

Als Ausweis bundespolitischer Regierungsfähigkeit sieht Aiwanger, dass es in der Regierung in Bayern "im Zusammenhang mit Corona pragmatischer, menschenfreundlicher, wirtschaftskompatibler" gelaufen sei, "als es gelaufen wäre, wenn wir nicht dabei gewesen wären". Fast stolz sagt er: "Wir haben zu den Zeiten, zu denen andere noch von Zusperren geredet haben, gesagt: Wir müssen jetzt schrittweise lockern." Dass nicht wenige das für unseriös hielten und darin den Beleg sahen, dass die FW eben gerade nicht regierungsreif seien? Damit hält sich Aiwanger in seiner Nürnberger Rede nicht lange auf. Für ihn haben die FW einfach "vorausschauend Politik" gemacht.

"Wir müssen jetzt für den Herbst und für den Winter vorsorgen, so wie es jeder gute Landwirt tut"

Weitsicht fordert Aiwanger am Samstag auch für den weiteren Verlauf der Pandemie. "Wir müssen uns jetzt im Sommer schon darauf vorbereiten, sollten die Zahlen wieder steigen, dass wir dann eben nicht wieder alles zusperren müssen." Dafür müsse man nun "Pläne erarbeiten". Wie diese Pläne aussehen könnten, konkretisiert er nicht. Dafür hat er ein hübsches Bildnis parat: "Wir müssen jetzt für den Herbst und für den Winter vorsorgen, so wie es jeder gute Landwirt tut, der im Sommer Heu macht und im Winter damit die Tiere füttert."

Die Landwirte, auch so eine Gruppe, die früher mal zu den Stammwählern der CSU gehörte. "Wir dürfen unsere Bauern nicht vergessen", sagt Aiwanger, der bekanntlich selbst einer ist. "Wenn irgendwann die Eier und die Schnitzel und die Kartoffeln nicht mehr kommen, dann Gnade uns Gott", sagt Aiwanger, dessen Rede an manchen Stellen doch arg apokalyptisch daherkommt. Auch als er sagt, die FW müssten deshalb in den Bundestag einziehen, "um zu retten, was zu retten ist in diesem Land". Ohne zu erläutern, wer so was eigentlich fordert, will Aiwanger verhindern, dass diejenigen "enteignet" werden, "die zwei Häuser haben". Und dass "unsere Kinder und Enkel" ins Ausland flüchten, weil sie hierzulande "kein Schnitzel mehr essen dürfen ohne CO₂-Abgabe". Die Freien Wähler seien in jedem Fall "die bessere Garantie als eine durchgeknallte Bundesregierung", findet Aiwanger.

Möglich, dass es mit solchen Aussagen zu tun hat, dass "vielen heute noch die Fantasie" dafür fehlt, sich die FW in Berlin vorzustellen, wie Aiwanger in Nürnberg selbst einräumt. Dass die FW stark kommunalpolitisch geprägt sind, sieht er jedoch nicht als Makel, sondern als Qualifikation für die Bundespolitik, die für Aiwanger "zu weit weg" ist von den wahren Problemen der Menschen. Falls es am Ende wirklich irgendwie klappen sollte mit dem Einzug in den Bundestag, will Aiwanger seine Ämter als Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident in Bayern aufgeben und nach Berlin wechseln, das hat er inzwischen fest zugesagt. Die nötige Rückendeckung hat er am Samstag in Nürnberg bekommen. Mit 95 Prozent der Stimmen wurde Hubert Aiwanger als Landesvorsitzender der Freien Wähler bestätigt.

© SZ vom 14.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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