Politische Ambitionen:Aiwanger will in den Bundestag

Lesezeit: 4 Min.

"Wir sind keine Protestpartei und keine Eintagsfliege": Hubert Aiwanger will nach Berlin. (Foto: imago images/Sven Simon)

Nach dem Erfolg in Rheinland-Pfalz kündigt der Wirtschaftsminister seine Kandidatur als Listenführer an, die Partei sei reif. Doch immer noch gibt es Freie Wähler, die lieber eine kommunale Kraft bleiben würden.

Von Matthias Köpf, Olaf Przybilla und Christian Sebald, München

Es ist ein Freudentag wie lange nicht mehr für Hubert Aiwanger. Der Bundesvorsitzende der Freien Wähler verströmt auf der Video-Pressekonferenz aus jeder Pore Aufbruchstimmung und Zuversicht. "Mit Rheinland-Pfalz sind wir Freien Wähler nach Bayern und Brandenburg im dritten Landesparlament vertreten", sagt Aiwanger. "Jetzt sind wir reif für den Bundestag." 5,4 Prozent haben seine rheinland-pfälzischen Parteifreunde um FW-Landeschef Stephan Wefelscheid und den FW-Spitzenkandidaten Joachim Streit bei der Landtagswahl am Sonntag geholt, die neue FW-Fraktion im Mainzer Landesparlament zählt sechs Abgeordnete. "Ich bin stolz auf euch", ruft Aiwanger den beiden zu, "es ist sehr gut, dass es euch gibt."

Nach dem Erfolg in Rheinland-Pfalz kündigt Aiwanger am Montag an, dass er der FW-Spitzenkandidat in Bayern werden wird für die Bundestagswahl am 26. September. Aiwanger, der bisher eine klare Ansage vermieden hat, dürfte Wunschkandidat der allermeisten Freien Wähler sein. Zwar findet die Delegiertenversammlung, bei der die FW-Liste aufgestellt werden soll, erst am 24. April statt. Aber dass Aiwanger ihr Anführer werden wird, wenn er das will, dürfte Formsache sein. Rückenwind dafür geben Aiwanger nicht nur die 5,4 Prozent seiner Parteifreunde in Rheinland-Pfalz. Sondern auch die drei Prozent der Freien Wähler in Baden-Württemberg. "Hätten wir mehr Zeit für die Vorbereitung dieser Landtagswahl gehabt, hätten wir auch dort den Einzug schaffen können", sagt er und will nun im Juni bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt die Fünf-Prozent-Hürde nehmen. Im September soll der Bundestag folgen.

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Das klingt zwar einigermaßen utopisch, waren doch die Freien Wähler bei der Bundestagswahl vor vier Jahren mit einem Splitterparteien-Ergebnis von einem Prozent abgeschmiert. Aber selbst vorsichtige Gefolgsleute wie der Fraktionschef Florian Streibl halten einen Erfolg auf Bundesebene nicht mehr für völlig ausgeschlossen. "Die Erfahrungen zeigen, wie schnell sich inzwischen Stimmungen ändern und einen in ein Parlament tragen können", sagt er. Aus Aiwangers Sicht können die FW nun den Lohn für ihre jahrelange Aufbauarbeit einfahren. "Wir sind keine Protestpartei und keine Eintagsfliege", sagt Aiwanger. "Wir sind die bürgerlich-konservative Alternative für Wähler, die gegen Schwarz-Grün, gegen eine Ampelkoalition und erst recht gegen Grün-Rot-Rot sind."

Beleg sind ihm an diesem Tag einmal mehr die vielen Parteimitglieder, die sich wie in Bayern auch in Rheinland-Pfalz und anderen Bundesländern in Gemeinde- und Stadträten engagieren und dort als Handwerker, Landwirte und Ladenbetreiber, aber auch als Beamte und Lehrer "für die Mitte der Gesellschaft stehen". Außerdem mache sich "unsere Unabhängigkeit" bezahlt, das gelte für den Masken-Skandal der Union ebenso wie für die kritische Haltung seine Partei gegenüber den Anti-Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern. Den Masken-Skandal will er an diesem Tag nicht näher kommentieren. Und zur Pandemie-Politik sagt er nur: "Wir sind keine Corona-Leugner. Aber wir sagen ganz genau, wo die Probleme sind."

Im Osten Deutschlands tun sich die FW schwer

Für Armin Grein, den Ehrenvorsitzenden der FW in Bayern und des Bundesverbandes, war der Sonntag ein historischer Tag. Mit einem Ergebnis, das der 81-jährige Unterfranke, der die Freien Wähler einst mitgegründet hat, exakt so vorausgesagt hatte: In Baden-Württemberg klappt es wohl nicht, in Rheinland-Pfalz schon. Letzteres hat Grein enorm gefreut und er verheimliche auch nicht, dass es "ihn ein bisschen stolz" mache. Immerhin hätten er und seine Mitstreiter seit Jahrzehnten gekämpft um mehr politische Mitbestimmung. Und nun also: Einzug in den dritten Landtag. Schon ein ganz großer Schritt.

Mit Aiwanger hat Grein am Montagvormittag noch nicht gesprochen. Natürlich aber hat er es noch vor. Schließlich wolle er den Nachfolger bestärken, dass der nun antreten muss als Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl. Als Realist hält Grein die Chancen auf einen Einzug in den Bundestag indes für übersichtlich - auch nach dem Triumph in Mainz. Im Osten Deutschlands tun sich die FW anders als in Bayern schwer. Aber mit Aiwanger an der Spitze wäre der Weg nach Berlin nicht komplett ausgeschlossen, glaubt Grein. Aiwanger habe auch bundesweit längst einen Namen, nicht zuletzt die Rivalität mit Markus Söder mache ihn zur Marke.

Coronavirus-Newsblog für Bayern
:Newsblog vom 15. bis zum 21. März 2021

Alle Corona-Meldungen aus Bayern vom 15. bis zum 21. März 2021.

Die Hürden werden bundespolitisch natürlich hoch sein, fürchtet Landrätin Tamara Bischof. Andererseits hätten die FW auch in Kitzingen mal als Kleingruppe angefangen - und stellen dort längst die Landrätin. "Solide, zukunftsfähig, bodenständig", das könnte in instabilen politischen Zeiten durchaus ziehen bei bürgerlichen Wählern, sagt Bischof, zumal das Ende des "Impfdebakels" noch lange nicht abzusehen sei. Als Landrätin im unterfränkischen Weinlandkreis Kitzingen beobachte sie das jeden Tag: Der Fortschritt sei diesbezüglich "eine Weinbergschnecke".

Doch Aiwangers Ambitionen teilen längst nicht alle Freien Wähler. "Schuster bleib bei deinen Leisten", warnt etwa der Traunsteiner Kreisvorsitzende Andreas Danzer. Er hat zwar 2008 selbst für den Landtag kandidiert, damals aber noch für die FW als Wählervereinigung und nicht als Partei, wie er betont. Aiwangers schlafender Riese, wie der seine Partei nennt, wird aus Danzers Sicht nur aufwachen, wenn alle ihre Kräfte bündeln. Doch die Masse wolle bei der Kommunalpolitik bleiben - genau wie in Baden-Württemberg, wo die FW in den Kommunen sogar stärker seien als in Bayern. Ähnlich sieht das Konrad Heuwieser, der für die FW im Stadtrat und Kreistag von Altötting sitzt.

Im Landtag werde wenigstens Geld für die Kommunen verteilt, sagt er und räumt ein, dass sich das einst intern ebenfalls hoch umstrittene landespolitische Engagement gelohnt habe. Wenn es dagegen nach der Miesbacher Kreisvorsitzenden Gisela Hölscher geht, müssten die Freien Wähler auch im Bund vertreten sein, um das Beste herausholen zu können. Hölscher tut sich mit so einem Bekenntnis leicht: In Miesbach hat die Doppelstruktur der FW als Zusammenschluss kommunaler Wählergruppen einerseits und als Partei andererseits zur Trennung beider Lager geführt.

© SZ vom 16.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Corona in Bayern
:Söder schüttelt schon keine Hände mehr, Aiwanger besucht ein Starkbierfest

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Stellvertreter Hubert Aiwanger (FW) - ein Jahr mit zwei Krisenmanagern, die sich gerne mal nicht einig waren.

SZ PlusVon Roman Deininger und Andreas Glas

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: