Süddeutsche Zeitung

Kriminalität:Die ignorierte Wut gegen Frauen

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Von Lisa Schnell, München

Nur ein paar Tage nach der blutigen Tat tauchte die Frage zum ersten Mal in einer Zeitung auf: "Woher kommt sein Hass auf Frauen?" Im Dezember 2018 stach der mutmaßliche Täter Daniel G. in Nürnberg scheinbar grundlos mit einem Küchenmesser auf drei Frauen ein. Er wählte sie willkürlich. Das einzige, was seine Opfer zu verbinden schien, war ihr Geschlecht. Dazu kamen frauenfeindliche Beiträge auf seiner Facebook-Seite: Ein Comic, das eine Vergewaltigungsszene zeigt, eine Fotomontage auf der ein Mann zwischen den gespreizten Beinen einer Frau mit einer Wurst wedelt. Wollte Daniel G. töten, weil er Frauen hasste?

Katharina Schulze, Fraktionschefin der Grünen im Landtag, will das nicht behaupten, aber sie findet es doch "bezeichnend", dass Frauenhass bei den Ermittlungen bis jetzt offenbar kaum eine Rolle spielte. Diesen Schluss zieht sie aus einer Antwort der Staatsregierung auf eine Anfrage von ihr. Über das Motiv des Messerstechers von Nürnberg heißt es dort: "In den polizeilichen Vernehmungen machte der Beschuldigte bislang keinerlei Angaben zum Tatmotiv." Bei einem Mann, der drei Frauen angegriffen haben soll, kein Wort über sein abwertendes Frauenbild zu verlieren, findet Schulze "schwach".

Was feststeht: Die Biografie des mutmaßlichen Täters ist alles andere als arm an Gewalt, nicht nur gegen Frauen. Er war obdachlos und mehrfach vorbestraft, etwa wegen drei Körperverletzungsdelikten und einer "Vergewaltigung zum Nachteil eines männlichen Mitgefangenen in einer Justizvollzugsanstalt". Also nicht wegen eines "frauenverachtenden" Verbrechens, wie kurz nach der Tat zu lesen war. Auch das geht aus der Antwort des Innenministeriums hervor.

Ob der Fall in Nürnberg nun dazu gehört oder nicht, es gibt sie: Morde und Körperverletzungen, die vor allem deshalb verübt werden, weil die Täter ein generelles Problem mit Frauen haben. Anfang 2019 zertrümmerte ein Mann in Wien den Schädel einer Frau mit einem Maurerhammer. Bei der Polizei sprach er von seiner Sehnsucht nach Liebe und Sex und seiner Wut auf Frauen, die ihn zurückgewiesen haben. 2014 begründete ein 14-Jähriger in Kalifornien seinen Amoklauf mit seinem Hass auf Mädchen.

2018 überfuhr ein Mann in Toronto zehn Menschen mit einem Van und rief zuvor die "Incel"-Revolution aus. "Incel" ist eine frauenfeindliche Bewegung im Internet, bei der sich sexuell frustrierte Männer in ihrem Hass auf Frauen bestärken. Sie nennen sich "involuntary celibate", also unfreiwillig enthaltsam, und sie kreieren im Netz eine befremdliche Welt. Frauen, die sie abweisen, heißen "Stacys", muskulöse, attraktive Männer, die all die "Stacys" bekommen "Chads". Gegen sie richtet sich ihr Hass - und gegen eine oberflächliche Gesellschaft, in der nur "Chads" Chancen haben. "Incels" glauben zu einem Leben in Einsamkeit verdammt zu sein. Vergewaltigungen gelten als legitimes Mittel, auch mal zum Zug zu kommen. Oft richtet sich ihr Hass gegen sie selbst, manchmal aber auch nach außen.

"Incels" fühlen sich von Frauen zurückgewiesen

Ob es auch bayerische "Incels" gebe und wie sich die Incel-Bewegung im Internet vernetze? Das wollte Schulze vom Innenministerium wissen. Die Antwort: "Es liegen keine Erkenntnisse vor." Man könnte jetzt erleichtert reagieren - oder aber so wie Schulze. Empört. Es sei "allerhöchste Zeit, sich mit toxischer Männlichkeit stärker zu beschäftigen", sagt sie. Einige Journalisten tun das seit längerem. Die "Incels" nennt Karolin Schwarz ein eher loses Netzwerk, ein Phänomen, das in Deutschland nicht in großem Maß verbreitet sei. Das heiße aber nicht, dass dieses Gedankengut in Deutschland nicht existiere. "Auch im Mainstream gibt es viele Anknüpfungspunkte für frauenverachtende Ideologien", sagt Andrej Reisin, dem auf Anhieb ein paar Songs einfallen, in denen die Ex-Freundin totgeschlagen werden soll.

Vor allem im Gangster-Rap, der "extrem konsumiert" werde, kämen Frauen "nur als ein Stück Fleisch" vor. Reisin sagt nicht, dass jeder Jugendliche, der Gangster-Rap hört, ein gewalttätiger Frauenhasser wird. Genau wie die meisten Jugendlichen Gewaltspiele zocken können, ohne einen Amoklauf zu planen. Nur: "Zu sagen, das sei alles wirkungslos, stimmt auch nicht." Er fände es sinnvoll, schon früh auf junge Männer zuzugehen und präventiv über ihr Frauenbild zu sprechen.

Was die Staatsregierung denn gegen Frauenfeindlichkeit tue? Auch das wollte Schulze wissen. Das Ministerium verwies auf frauenpolitische Projekte, die das Selbstbewusstsein von Frauen stärken sollen. "Warum bringt man einer Frau bei, sich zu behaupten und nicht einem Mann bei, Frauen nicht anzugreifen?", fragt die Journalistin Veronika Kracher und auch Schulze fordert, "endlich mal die potenziellen Täter zu adressieren". Zudem will sie Frauenfeindlichkeit als Kategorie in die polizeiliche Kriminalstatistik aufnehmen.

Robert Andreasch von der antifaschistischen Archivstelle Aida weist auf einen anderen Aspekt hin: "Frauenhass ist eine zentrale Eigenschaft von der extremen Rechten." Allein deshalb müssten frauenfeindliche Gruppen beobachtet werden, sagt er. So seien die Beiträge des mutmaßlichen Messerstechers von Nürnberg auf Facebook nicht nur frauenfeindlich, sondern verwiesen auch auf die extreme Rechte. Die Sicherheitsbehörden reagierten darauf noch nicht sensibel genug. Andreasch prognostiziert, es brauche bestimmt noch zehn Jahre, bis auch das bayerische Innenministerium über Frauenhass rede. Er hoffe aber, dass er damit nicht Recht behalte.

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SZ vom 06.05.2019
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