Frauen-WM in Augsburg:Flirt-Tipps aus Schweden

Lesezeit: 3 min

Die Frauen-WM macht's möglich: Augsburg blüht auf. Eine schwedische Künstlerin testet Flirt-Tipps, ein japanischer Künstler verziert die Stadt mit Graffiti und eine Kunststickerin aus London pflanzt Wolleblumen in der Fußgängerzone. Ein Rundgang.

Stefan Mayr

Das hat es in dieser Stadt noch nie gegeben: Auf dem Rathausplatz steht ein knallrotes Stadion. Aus dem Boden der Fußgängerzone wachsen Stoffblumen, und eine Profi-Flirterin lädt Männer zum Cappuccino ein. Augsburg ist seit einer Woche stolze WM-Stadt. Hier finden nicht nur vier Spiele der Frauenfußball-Weltmeisterschaft statt, sondern unter dem Motto "City of Peace" auch ein Programm, das Künstler aus den Ländern der Fußballmannschaften nach Augsburg holt. Das tut der Stadt gut. Augsburg blüht auf.

Ein Tor mitten in der stolzen WM-Stadt: Auf dem Rathausplatz üben sich selbst Nonnen im Kulturstadion. (Foto: dpa)

Fuggerplatz, 5.30 Uhr: Lauren O'Farrell pflanzt mitten in der Fußgängerzone selbstgestrickte, bunte, kniehohe Wolle-Blumen. Die Kunst-Strickerin aus London ist mit fünf anderen jungen Gästen aus WM-Teilnehmerländern eine Woche auf Kosten der Stadt in Augsburg. Sie gehören zum Projekt "Defined by", bei dem sie täglich durch die Stadt stromern, Leute treffen und Party machen. Und jeden Abend verarbeiten sie ihre Eindrücke auf einem weißen Blatt Papier. So soll Augsburg täglich neu interpretiert werden. Die Arbeiten werden vervielfältigt und verteilt und auch im Internet veröffentlicht. Früher hätte man sie Stadtschreiber genannt, heute heißen sie Stadtblogger. Ebenfalls neu: Sie beschreiben nicht nur die Stadt, sie wollen sie auch verändern.

Königsplatz, 10 Uhr: Die Zentrale des Projekts "Defined by" sitzt in einem Glaskasten. Hier sind neben der englischen Strickerin die norwegische Autorin Kaja Marie Lereng Kvernbakken und die japanische Soundkünstlerin Keiko Uenishi beim Frühstück mit Vollkornsemmeln, Käse und Wurst. "Ich liebe den Augsburger Stadtmarkt", ruft Keiko Uenishi, die seit 20 Jahren in New York lebt. "Das ganze Jahr lang jeden Tag von früh bis abends frische Sachen", sagt sie, "in New York gibt es so etwas nicht." Wie bitte? Ein Mensch aus New York beneidet Augsburg? Gibt es etwas Schöneres für das angekratzte Selbstbewusstsein des Städtchens im Schatten Münchens? Allein hierfür hat sich das Projekt "Defined by" für Augsburg gelohnt.

In der ersten WM-Woche waren bereits andere Künstler zu Gast. Die schwedische Bloggerin Sara Starkström verstärkte die Erotik der Stadt, indem sie Flirt-Tipps unters Volk brachte und auch gleich testete. Der äquatorial-guineanische Zeichner Ramón Esono Ebalé (Foto links) zeigte kleinen und großen Gästen im Glaskasten, wie man Comics malt. Der japanische Straßenkünstler Takahiro Yamaguchi sprühte im Park am Kö mit Augsburger Jugendlichen Graffiti.

Das Bild wird wohl bald verschwinden, aber die deutsch-japanische Freundschaft wird länger halten. "Die Einladung zum Besuch in Tokio steht", sagt der Augsburger Sprayer Vedat Hopoglu und grinst. Ein nordkoreanischer Künstler war übrigens nicht in der Stadt. Die Botschaft hat auf die Einladung aus Augsburg nicht einmal reagiert.

Rathausplatz, 12 Uhr: Direkt vor dem Renaissance-Rathaus hat die Stadt für die Zeit der WM ein knallrotes "Kulturstadion" für 2000 Menschen hingestellt. Hier geben Bands wie Nouvelle Vague, The Notwist oder Anajo Konzerte, dabei erstrahlt die Rathaus-Fassade in Neon-Grün: gewöhnungsbedürftig, aber schön. Heute tobt hier eine Mini-WM: Diverse Schulmannschaften spielen - mit Buben und Mädchen - die Weltmeisterschaft nach. Die Mitschüler auf den Tribünen tragen die jeweiligen Landesfarben nicht nur im Gesicht. Drei Türkinnen sind vom Schleier auf dem Kopf bis zum Fuß in Schwarz-Rot-Gold gekleidet und eine blonde Deutsche ruft "Nigeria, Nigeria". Völkerverbindender Unterricht mitten in der Stadt.

Rathaus, 15.57 Uhr: Per Pressemitteilung ziehen die Stadtoberen zufrieden Zwischenbilanz. "Die WM-Stadt Augsburg pulsiert!", stellen sie mit Ausrufezeichen fest. Ohne Kunst und Action wäre die Frauen-WM im Stadion an der Stadtgrenze wohl sehr weit an den nicht so fußballbegeisterten Augsburgern vorbeigegangen. So aber wurde das Happening in die City geholt - auch an spielfreien Tagen. Da vergisst sich selbst Oberbürgermeister Kurt Gribl, der sonst die trockene Sprache der Verwaltungsjuristen pflegt, und sagt: "Diese Stimmung in der Stadt ist total geil."

WM-Stad ion, 17 Uhr: Die Stadt Augsburg verteilt unter den 80 internationalen Journalisten jede Menge nützliche und weniger nützliche Dinge - mit dem City of Peace-Logo versehen: Kugelschreiber, Anstecknadel, Gummibärchen, Spieluhr. Und ein Buch mit den schönsten Fotos der Stadt in fünf Sprachen. Es soll die Journalisten in die Mozart-, Fugger-, Brecht- und Friedensstadt locken. Ob die Medienleute zwischen Training und Pressekonferenz, Spiel und Redaktionsschluss noch Zeit für Rundgänge finden?

Stadtmarkt, 20.45 Uhr: Neben Obst und Gemüse, Fleisch und Käse stehen hier neuerdings dicke Werbe-Autos und eine Video-Leinwand. Public Viewing. Bei den ersten Spielen war der Andrang noch übersichtlich. Doch jetzt, beim 4:2-Sieg der Deutschen gegen Frankreich, kommt Stimmung auf - und macht Lust auf mehr.

Doch schon am Sonntag ist die WM in Augsburg wieder zu Ende. Danach wird das Kulturstadion abgebaut, und die gewohnte Ruhe kann in die Stadt zurückkehren. Ein paar Dinge werden bleiben: Die bunten Zettel der Gastkünstler, die Erinnerungen, die Kontakte. Und vor allem: Das Bewusstsein der Augsburger, dass ihre Stadt manchmal sogar lebenswerter ist als München, Berlin oder Tokio.

© SZ vom 07.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: