Wenn ein Mensch aus Bayern am Pariser Gare du Nord aus dem Zug steigt, könnte es ihm widerfahren, dass er mit den Wörtern "Bagasch, Bagasch" empfangen wird. In diesem Fall sollte er aber nicht gleich eingeschnappt sein. Denn der Bahnhofsbedienstete meint sicher nicht ihn, sondern sein Gepäck (bagage).
Mögen die Bayern im Laufe ihrer Geschichte eine Menge Wörter aus dem Französischen übernommen haben, so änderten diese Begriffe doch häufig ihren Sinn. Im bayerischen Sprachgebrauch steht Bagasch selten für das Gepäck, sondern meistens für eine Gruppe von zwielichtigen Gestalten, also für ein Pack.
Das Bairische hat sich im Laufe seiner mehr als tausendjährigen Geschichte Wörter, Begriffe und Wendungen aus allen möglichen Sprachen einverleibt. Im frühen Mittelalter bestand sogar noch ein starker Kontakt zu den Sprachen der Antike, weshalb das Lateinische und Altgriechische in den hiesigen Mundarten nach wie vor durchschimmern. Der Kontakt zur französischen Sprache, die ja ebenfalls aus dem Lateinischen erwachsen ist, kam erst viel später zustande.
"Eine große Welle französischer Fremdwörter erfasste das Deutsche in der Zeit des Absolutismus", sagt der in Leipzig lehrende Sprachwissenschaftler Hans Ulrich Schmid. Der Glanz des Sonnenkönigs Ludwig XIV. (1638-1715) habe bis nach Berlin, München und Wien gestrahlt. In gebildeten Kreisen gehörte das Französische damals zum guten Ton, auch wenn diese sprachliche Überfremdung schon seinerzeit nicht jedem gefiel. In ihrem Widerstand gegen das Französische hervorgetan haben sich damals vor allem die Autoren der von 1722 bis 1740 erschienenen Münchner Wissenschaftszeitschrift Parnassus Boicus, "doch letztlich vergeblich", wie Schmid resümiert.
Do legst di nieda: Skurriles aus Bayern:Es steht eine Brücke im Nirgendwo
Ein Passfälscher, der glaubt, der April hätte mindestens 55 Tage, eine Brücke, die zu keiner Straße führt, und eine Kirche, die in der Frühlingssonne weggeschmolzen ist: In Bayern ist viel Skurriles passiert. Ungewöhnliche Meldungen aus dem Freistaat.
Ein weiterer Schub für das Französische in Bayern folgte in der Ära des Kaisers Napoleon (1769-1821). Nicht nur die großbürgerlichen Herrschaften in den Städten unterhielten sich nun mit Vorliebe auf Französisch. Die Sprache drang durch Händler und Soldaten sogar in den Alltag der Städte und Dörfer ein und färbte die jeweiligen Dialekte. In München ist diese Entwicklung sogar schon seit der Zeit der Kurfürstin Adelaide zu beobachten, die 1652 von Savoyen nach Bayern übersiedelte.
Mit ihr kam in das strenge, ein wenig fade Leben am Münchner Hof ein südlicher und hell klingender Ton. Adelaide, die Gemahlin des Kurfürsten Ferdinand Maria, brachte nicht nur Maler, Baumeister und Musiker mit, sondern auch Hofdamen, Lakaien, Köche und Kammerkätzchen. Es dauerte nicht lange, und schon zwitscherte und schnatterte in den Straßen Münchens alles italienisch und französisch.
Vermutlich übernahmen die Münchner damals Begriffe wie Parapluie und Parasol (Regenschirm), Visasch (von visage, Gesicht), Spektakel (spectacle, Schauspiel, Lärm) und lescher (legère, locker, ungezwungen, leicht). Das Dienstpersonal hatte es sicherlich schon pressant (eilig), und die Buben schickte man vermutlich zur Schenke vis à vis (gegenüber). Noch 1782 klagte der Chronist Lorenz von Westenrieder, dass die höheren Münchner Stände das Französische und Italienische besser beherrschten als ihre heimische Muttersprache.
Der bairische Dialekt und vor allem die Münchner Stadtmundart beziehen bis heute einen Teil ihres Charmes aus den französischen Einsprengseln, die als solche oft nicht mehr zu erkennen sind. Das Böfflamott, auch Bifflamott genannt, ist eine Art Sauerbraten und gilt als urbayerisches Gericht, geht aber auf das französische bœuf à la mode (Rindfleisch nach der Mode) zurück.
Die Schäsn kommt von chaise (Kutsche) und war eine beliebte Bezeichnung für den Kinderwagen, bis sie später zum Synonym für die alte Schachtel wurde (oide Schäsn, weibliches Kosewort). Aus dem Französischen entlehnt sind auch allgemein bekannte Begriffe wie Gendarm (Landpolizist), Allee (mit Baumreihen gesäumte Straße), Charivari (Trachtenschmuck), Plafond (Zimmerdecke) und Chauffeur (Fahrer).
Selbst das bairische Flücherl sakradi ist französischer Natur (sacre dieu, Fluch den Göttern), ähnlich wie das heute noch sehr populäre Dankeswort mersse (merci). Als gängige Verben französischen Ursprungs seien exemplarisch schikanieren (chicaner, ärgern), blamieren (blamer, tadeln, bloßstellen) und tratzen (tracasser, necken, quälen) erwähnt.
Zum Schmunzeln verleitet wie eh und je das herzerfrischende Dialektwort Potschamperl, das den Nachttopf benennt, wie er in toilettenlosen Zeiten als Notgerät unter fast jedem Bett stand. Das französische Grundwort lautet pot de chambre. Im Valentin-Musäum in München wird ein Winter-Potschamperl gezeigt, das schön mit Pelz verbrämt ist (im Sinne von Karl Valentin natürlich innen).
Auch beim Schimpfwort Lackl ist die französische Herkunft nicht sogleich offenkundig. Urheber ist der französische General Ezéchiel de Mélac (1630-1704), dessen Truppen 1688/89 die Pfalz verwüsteten. In der Öffentlichkeit soll er sich oft mit einem Rudel scharfer Hunde gezeigt haben, die er angeblich auch auf Menschen hetzte. Der Name dieses groben und unverschämten Kerls wurde im Bairischen zum Schimpfwort Lackl .
In der napoleonischen Zeit mit ihren vielen bayerisch-französischen Bündnissen und Kriegen drangen naturgemäß zahlreiche Militärwörter in die hiesigen Dialekte ein. Allen voran der Cheveauleger (leichter Reiter), aus dem die Bayern die Wallischer und die Schwalanscher machten. "Nix schönres nicht auf Erden als was ein Wallischer!", heißt es in einem alten Soldatenlied. Als dann Mitte des 19. Jahrhunderts die Eisenbahnen das Land eroberten, brachten sie Wörter wie Kondukteur (Schaffner), Billett (Fahrkarte), Waggon und Coupé mit sich.
Der Schriftsteller Ludwig Thoma (1867-1921) hatte als Bub im Zug einmal aufs Trittbrett gespuckt und wurde dabei ertappt. Wie Thoma überliefert, riefen die Fahrgäste empört nach dem Kondukteur. In das Reich der Eisenbahn gehört auch das Wort Perron. Bis vor einigen Jahrzehnten sagten die Bayern in Anlehnung an die Franzosen zum Bahnsteig Perron und zum Gehsteig Trottoir. In Frankreich selber aber haben sich die Bedeutungen geändert. Dort gilt die Freitreppe als Perron und der Bahnsteig heißt Trottoir.
Wie sehr ein Sprecher bei der Wortbedeutung aufpassen muss, zeigt das Wort Kuvert (Briefumschlag). Wer in Frankreich ein Kuvert verlangt, bekommt stattdessen ein Essbesteck, ein schattiges Plätzchen oder ein Obdach angeboten. In die gleiche Richtung zielt die folgende Geschichte, die einst der SZ-Journalist Max Lachner erlebt hatte. Nachdem dieser als Soldat im Januar 1918 im Haus einer Witwe in Nordfrankreich einquartiert worden war, folgte eine bitterkalte Nacht. Lachner und seine Kriegskameraden froren entsetzlich und baten ihre Hauswirtin deshalb am Morgen um ein Plümo, wie das Federbett in Bayern genannt wurde.
Diese aber lachte und brachte ihnen einen Stab mit einem Büschel Gockelfedern am oberen Ende, also einen Staubwedel. "Voilà un plumeau. Is nix gut pur se chauffer", sagte sie (übersetzt: dieses Plümo taugt nicht, um sich zu wärmen). "Da hatte sie recht!", resümierte Lachner.