Franken:Verlassene Orte für die Nachwelt konserviert

Franken: Christian Jakob und Marcel Hempfling stoßen auf wunderschöne, geplünderte und zerstörte Orte.

Christian Jakob und Marcel Hempfling stoßen auf wunderschöne, geplünderte und zerstörte Orte.

(Foto: Christian Jakob)

Zwei junge Männer dokumentieren mit der Kamera systematisch verlassene Orte in Nordbayern und zeigen dabei: Der Niedergang hat Charme.

Von Olaf Przybilla, Kronach

Angefangen hat alles im Oertelsbruch, im Süden Thüringens. Christian Jakob war 14, als er sich das verlassene Dorf jenseits der bayerischen Grenze zum ersten Mal angeschaut hat: den Schiefersteinbruch, die finsteren, wie von Schuppen bedeckten Häuser, die früheren Wirtschaftsgebäude im Wald mit Bäckerei, Brauerei, Bibliothek.

Von Kronach sind es kaum 40 Kilometer zum Steinbruch und doch glaubt man sich in einer anderen Welt. Das 19. Jahrhundert hat dem Ort seinen Stempel aufgedrückt, später die Nazis, danach die Alliierten. Wie ein Archäologe fühlte sich der 14-Jährige mit seinem Fotoapparat. Und er fing an, nach solchen Orten in Franken zu suchen. Orten, die eine Ästhetik des Niedergangs dokumentieren.

Nach welchen Orten sie suchen

Einen "Urbexer" nennt sich Jakob, 19, das steht für Urban Explorer. Wie sein Kollege Marcel Hempfling, 25, geht er im Kreis Kronach einem ordentlichen Beruf nach. Aber wenn es irgendwie geht, brechen die beiden auf und suchen nach "Lost Places", nach verlassenen Orten in Franken: nach aufgelassenen Fabrikgebäuden, früheren Sanatorien, Hotelruinen, ehemaligen Schlachthäusern, leeren Landschulheimen und abgetakelten Hallenbädern. Wie eine Sucht sei es, sagt Hempfling, den man am Dreikönigstag auf der Fahrt durchs Fichtelgebirge erreicht.

Mehrere Orte will er an diesem Tag abklappern, eine Erkundungsfahrt. Wenn es geschneit hat, gehe das besonders gut. "Dann verraten sich die Immobilien, die man im Verdacht hat, wie von selbst", sagt er.

Die beiden recherchieren in Lokalzeitungen und im Internet, immer öfter bekommen sie auch Hinweise einer wachsenden Fangemeinde auf Facebook, wo den beiden Hobbyfotografen etwa 10 000 Menschen folgen. Sind sie trotzdem nicht sicher, ob die Gebäude tatsächlich lange schon leerstehen, dann helfen Tricks. "Im Schnee sieht man eben, ob es Spuren zu einem alten Hotel gibt", sagt Hempfling.

Wie sie vor Ort vorgehen

Natürlich versuche man Kontakt aufzunehmen zu etwaigen Besitzern. Nicht immer aber ist das möglich. Und so hat man sich, wie die Urbexer in anderen Regionen der Republik, eherne Regeln auferlegt: Beim Einstieg ins Objekt darf nichts zu Bruch gehen, kommt man nicht ohne Gewalt rein, bleibt man besser draußen.

Verändern darf man im Anwesen nichts, fotografisch inszenieren möglichst wenig. Mitnehmen darf man schon gar nichts. In den meisten Anwesen gibt es Dinge, für die mancher Großstadt-Hipster wohl einen Wochenlohn hinblättern würde. Ein Retro-Spiegelschrank mit Wandlampe aus einem morbiden Veranstaltungszentrum in Oberfranken - wunderbar. "Aber das bleibt alles, wo es ist", sagt Hempfling.

Dass sie sich in einer juristischen Grauzone bewegen, ist ihnen bewusst. Mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist Hempfing in zehn Jahren aber nicht ein einziges Mal. "Mich hat kürzlich zum ersten Mal die Polizei angehalten", erzählt sein Kollege Jakob. Nachdem aber geklärt war, dass er nichts kaputt gemacht und nichts mitgenommen hat und es auch niemanden gibt, der Interesse an einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch haben könnte, blieb das folgenlos.

In welchem Zustand sich manche Objekte befinden

Franken: Beim Einstieg ins Objekt darf nichts zu Bruch gehen; kommt man ohne Gewalt nicht rein, bleibt man besser draußen.

Beim Einstieg ins Objekt darf nichts zu Bruch gehen; kommt man ohne Gewalt nicht rein, bleibt man besser draußen.

(Foto: Christian Jakob)

Zumal die beiden auf ihren Facebook-Seiten - "Lost Places Pic. Riot" und "Lost Places Franken" - hinreichend klar bekunden, dass es ihnen gerade nicht darum geht, den Charme der Agonie zu zerstören. Sondern für die Nachwelt zu konservieren. Keines der Anwesen wird beim Namen genannt, "wir wollen unbedingt verhindern, dass irgendwelche Idioten da Unfug treiben", sagt Jakob. Zumal in den Objekten offenkundig sei, wie viele Idioten sich ohnehin schon herumtrieben. "Vandalen leben sich da aus", sagt Jakob.

Auf juristische Grauzonen treffen sie auch in den Objekten. In einem früheren Sanatorium einer fränkischen Kurstadt fanden sie im Mobiliar diverse Patientenakten und Notarztprotokolle. "Das dürfte so wohl nicht sein", sagt Hempfling. In einer Privatklinik, ebenfalls im nördlichen Teil Frankens gelegen, traf man auf eine verstörte Frau, die Besitzerin des Objekts.

Sie hatte nicht nur den Niedergang ihres einst renommierten Sanatoriums zu verkraften, in der Klinik konnten in den Siebzigerjahren bis zu 120 Patienten versorgt werden. Auch ihr Plan, die zum Teil kaum sechs Jahre alten Gerätschaften, Röntgenapparate etwa, an bedürftige Häuser in Osteuropa zu spenden, zerschlug sich. Auch das verhinderten Vandalen.

Was besondere Funstücke sind

Es gibt aber auch Orte des Verfalls von surrealer Schönheit. Ein aufgelassener Schlachthof etwa, der an eine Kathedrale erinnert. Oft sind es denkmalgeschützte Bauten, die nicht abgerissen werden können, die nach dem Verlust ihrer Bestimmung aber auch keiner mehr wachküssen will. Was auch auffällt: Die wenigsten ihrer Lost Places finden die beiden in Mittelfranken. Da, sagt Hempfling, "gibt es vor allem Nazi-Zeug und frühere Bunker". Industriebrachen an den Stadtperipherien schon auch, aber die sind selten fotogen.

Am nördlichen Rand Ober- und Unterfrankens dagegen scheinen sich ihnen die Motive geradezu aufzudrängen. Auffällig oft stammen sie aus Kur-Städtchen, die erst am Zonenrand lagen und danach noch eine Gesundheitsreform zu überstehen hatten.

Es gibt Aufnahmen von Hotels, die so wirken, als würde da gleich Adenauer ein ordentliches Frühstück einnehmen wollen, an einem Tisch mit akkurat gefalteter Tischdecke, einer Trockenpflanze und bestickter Stoffhängelampe. Das Haus schloss allerdings nicht schon in den Sechzigerjahren, sondern erst kürzlich.

Nun könnte man Widerspruch erwarten, wenigstens von den örtlichen Industrie- und Handelskammern: Ob man den Reiz der Ruinen dermaßen zur Schau stellen muss? Ob das nicht einen Landstrich in Verruf bringt und dümmste Klischees bedient, mit dem der Nordrand von Nordbayern ehedem zu kämpfen hat? Hempfling und Jakob aber, die beiden Dokumentaristen aus dem Kreis Kronach, werden im Netz regelrecht gefeiert für ihre Arbeit. "Schon ein schönes Gefühl", sagt Jakob.

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