Angefangen hat alles im Oertelsbruch, im Süden Thüringens. Christian Jakob war 14, als er sich das verlassene Dorf jenseits der bayerischen Grenze zum ersten Mal angeschaut hat: den Schiefersteinbruch, die finsteren, wie von Schuppen bedeckten Häuser, die früheren Wirtschaftsgebäude im Wald mit Bäckerei, Brauerei, Bibliothek.
Von Kronach sind es kaum 40 Kilometer zum Steinbruch und doch glaubt man sich in einer anderen Welt. Das 19. Jahrhundert hat dem Ort seinen Stempel aufgedrückt, später die Nazis, danach die Alliierten. Wie ein Archäologe fühlte sich der 14-Jährige mit seinem Fotoapparat. Und er fing an, nach solchen Orten in Franken zu suchen. Orten, die eine Ästhetik des Niedergangs dokumentieren.
Nach welchen Orten sie suchen
Einen "Urbexer" nennt sich Jakob, 19, das steht für Urban Explorer. Wie sein Kollege Marcel Hempfling, 25, geht er im Kreis Kronach einem ordentlichen Beruf nach. Aber wenn es irgendwie geht, brechen die beiden auf und suchen nach "Lost Places", nach verlassenen Orten in Franken: nach aufgelassenen Fabrikgebäuden, früheren Sanatorien, Hotelruinen, ehemaligen Schlachthäusern, leeren Landschulheimen und abgetakelten Hallenbädern. Wie eine Sucht sei es, sagt Hempfling, den man am Dreikönigstag auf der Fahrt durchs Fichtelgebirge erreicht.
Mehrere Orte will er an diesem Tag abklappern, eine Erkundungsfahrt. Wenn es geschneit hat, gehe das besonders gut. "Dann verraten sich die Immobilien, die man im Verdacht hat, wie von selbst", sagt er.
Die beiden recherchieren in Lokalzeitungen und im Internet, immer öfter bekommen sie auch Hinweise einer wachsenden Fangemeinde auf Facebook, wo den beiden Hobbyfotografen etwa 10 000 Menschen folgen. Sind sie trotzdem nicht sicher, ob die Gebäude tatsächlich lange schon leerstehen, dann helfen Tricks. "Im Schnee sieht man eben, ob es Spuren zu einem alten Hotel gibt", sagt Hempfling.
Wie sie vor Ort vorgehen
Natürlich versuche man Kontakt aufzunehmen zu etwaigen Besitzern. Nicht immer aber ist das möglich. Und so hat man sich, wie die Urbexer in anderen Regionen der Republik, eherne Regeln auferlegt: Beim Einstieg ins Objekt darf nichts zu Bruch gehen, kommt man nicht ohne Gewalt rein, bleibt man besser draußen.
Verändern darf man im Anwesen nichts, fotografisch inszenieren möglichst wenig. Mitnehmen darf man schon gar nichts. In den meisten Anwesen gibt es Dinge, für die mancher Großstadt-Hipster wohl einen Wochenlohn hinblättern würde. Ein Retro-Spiegelschrank mit Wandlampe aus einem morbiden Veranstaltungszentrum in Oberfranken - wunderbar. "Aber das bleibt alles, wo es ist", sagt Hempfling.
Dass sie sich in einer juristischen Grauzone bewegen, ist ihnen bewusst. Mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist Hempfing in zehn Jahren aber nicht ein einziges Mal. "Mich hat kürzlich zum ersten Mal die Polizei angehalten", erzählt sein Kollege Jakob. Nachdem aber geklärt war, dass er nichts kaputt gemacht und nichts mitgenommen hat und es auch niemanden gibt, der Interesse an einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch haben könnte, blieb das folgenlos.