Süddeutsche Zeitung

Fraktionsklausur:Auf Augenhöhe

Die Freien Wähler beschwören ihre Rolle als Förderer ländlicher Regionen

Von Christian Sebald, Garmisch-Partenkirchen

Fragt man den Fraktionschef der Freien Wähler im Landtag, Florian Streibl, welches politische Thema in diesem Herbst das mit Abstand wichtigste sein wird, antwortet er ohne Zögern: "der Klimaschutz." Umso erstaunlicher ist daher, dass der Klimaschutz kein Tagesordnungspunkt auf der Herbstklausur der FW-Fraktion in Garmisch-Partenkirchen ist. Allenfalls zum Schluss des Treffens sollte es darum gehen, wenn die Abgeordneten mit den Ministern und Staatssekretären ihrer Partei über deren Arbeit debattieren. Schließlich bereitet Umweltminister Thorsten Glauber (FW) gerade das neue Klimaschutzgesetz des Freistaats vor.

Die FW haben sich etwas abseits von Garmisch-Partenkirchen am Riessersee einquartiert. Zwar ist das Wetter zumindest am Auftakttag verhangen, die Felswände von Waxenstein, Zugspitze und anderen Wettersteingipfeln sind hinter dicken grauen Wolken verborgen. Der Riessersee, auf dem früher viele Eissport-Wettbewerbe ausgetragen wurden, liegt dennoch so idyllisch da, dass einige Abgeordnete spontan kundtun, ihn am nächsten Morgen zu Fuß umrunden zu wollen. Wie überhaupt alle von den FW sehr entspannt wirken. Und Fraktionschef Streibl, dessen Stimmkreis der Landkreis Garmisch-Partenkirchen ist, ist sichtlich stolz, seine Fraktion gleichsam bei sich daheim zu Gast zu haben. Zentrales Thema ist ein "Aktionsbündnis ländlicher Raum", das die Freien Wähler schmieden wollen. "Auch Bayern erlebt eine massive Verstädterung", sagt Streibl. "Sie macht die Verständigung zwischen der urbanen und der ländlichen Bevölkerung zunehmend schwieriger." Gezeigt habe sich dies zuletzt an den scharfen Debatten über das "Volksbegehren Artenvielfalt - Rettet die Bienen". Vor allem die Bauern fühlten sich in eine Sündenbock-Rolle gedrängt, die ihnen nicht gerecht werde, heißt es auch am Mittwochabend, als die Abgeordneten mit Kommunalpolitikern debattieren. Und viele Städter betrachteten die ländlichen Regionen nur noch als "Fun-Park" oder "Naturkulisse". Die Freien Wähler sind auf dem Land stark verwurzelt. Deshalb, das betont Streibl mehrfach, wollten sie eine Spaltung Bayerns in Ballungsräume und ländliche Regionen nicht hinnehmen. Im Gegenteil. "Wir sind ein Bayern", sagt Streibl. "Die ländlichen Regionen müssen mit den urbanen Zentren auf Augenhöhe bleiben." Man müsse "für mehr Verständnis zwischen den Menschen am Land und in den Großstädten werben".

Ansonsten gleicht das Klausurprogramm einer politischen Bildungsveranstaltung. Die Abgeordneten sprechen mit Politikern aus Nordmazedonien und Albanien über die Verhandlungen über den EU-Beitritt der Balkanstaaten. Im George-C.-Marshall-Zentrum für Sicherheitsforschung informieren sie sich über die globale Sicherheitslage und die "Perspektiven des deutsch-amerikanischen Verhältnisses". Außerdem geht es um den Tourismus. Dazu fahren die Parlamentarier mit der Alpspitz-Seilbahn zum Fuß des gleichnamigen Bergs hinauf. Dort ragt die Aussichtsplattform Alpspix weit über den Abgrund hinaus. Sie verspricht einen sensationellen Tiefblick in das 1000 Meter tiefer gelegene Höllental. Zurück am Riessersee beschäftigt sich die Fraktion mit der Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Dazu empfängt sie den Gründer der Hilfsorganisation Sea Eye, Michael Buschheuer.

Sogar der Klimaschutz wird dann noch ein prominentes Thema auf der Klausur. Und zwar gleich zu Beginn. Da fragt ein Journalist Streibl so hartnäckig danach, was dieser vom neuen Klimaschutz-Konzept der CSU hält, bis der FW-Fraktionschef sich zu einer heftigen Bemerkung hinreißen lässt. "Vor einem Jahr hat sich die CSU noch rechts außen positioniert", sagt Streibl in Anspielung auf die damalige Asylpolitik des heutigen Koalitionspartners seiner Partei. "Jetzt ein Jahr später, erfindet sie sich neu im links-grünen Lager." Die Freien Wähler dagegen seien "die bürgerliche Mitte" und der "Stabilitätsanker in Bayern, der hier eine vernünftige Politik garantieren kann". Außerdem betont Streibl, dass die Freien Wähler auch in der Klimapolitik nichts von Verboten und Restriktionen hielten. Stattdessen müsse man auf Innovationen und neue Technologien setzen. Vor allem aber müsse der Freistaat Vorreiter im Klimaschutz sein - indem er zum Beispiel endlich das Versprechen einlöse, die staatlichen Gebäude energetisch zu sanieren.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4597890
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.