Fragen und Antworten:Was Sie über Asyl in Bayern wissen sollten

Fragen und Antworten: In den sieben Erstaufnahmeeinrichtungen Bayerns können insgesamt 16 000 Menschen unter.

In den sieben Erstaufnahmeeinrichtungen Bayerns können insgesamt 16 000 Menschen unter.

Transitzonen und Verteilungsschlüssel: Der Flüchtlingsandrang wirft eine Reihe von Fragen auf, über die auch Juristen streiten. Ein Überblick über Fakten und Meinungen.

Von Daniela Kuhr und Lisa Schnell

Der Flüchtlingsstrom an den bayerischen Grenzen hält auch an diesem Wochenende unvermindert hat. In Niederbayern sind zwar zunächst weniger Menschen über die Grenzübergänge gekommen. Auch die Notquatiere hätten wieder Kapazitäten. Bis zum Abend erwarten die Einsatzkräfte im Raum Passau wieder 4500 Menschen - also ähnlich viele Flüchtlinge wie am Samstag.

An den oberbayerischen Übergängen Freilassing und Laufen kamen am Samstag etwa 2700 Flüchtlinge an - die überwiegende Mehrheit davon in Freilassing. Der Grenzübergang in Laufen werde derzeit noch eingerichtet, sagte ein Sprecher der Bundespolizei in München. Für Sonntag erwarte man ähnliche Zahlen, könne aber keine genauen Prognosen treffen.

Inzwischen kommen auch wieder mehr Flüchtlinge über Kufstein nach Bayern. Der Zugverkehr nach Rosenheim musste in der Nacht auf Sonntag für mehrere Stunden unterbrochen werden. Und auch am Sonntagmorgen ging auf der Bahnstrecke erst einmal nichts mehr, nachdem weitere 260 Menschen in Rosenheim angekommen waren. Am Bahnhof in Kufstein warteten derzeit noch bis zu 400 Migranten, weitere 500 waren offenbar in Zelten in Bahnhofsnähe untergebracht.

Deutschland und Österreich hatten den Zustrom der Flüchtlinge an der Grenze neu geregelt. Sie hatten sich darauf geeinigt, ausschließlich an den genannten fünf Grenzübergängen in Bayern sogenannte Übergabe- und Kontrollstellen einzurichten.

Aber wie ist die Lage für Flüchtlinge in Bayern derzeit überhaupt? Wie geht es nach ihrer Ankunft weiter? Wie viele werden noch kommen? Ein Überblick.

Wie viele Flüchtlinge gibt es in Bayern?

Nach Angaben des Sozialministeriums befinden sich derzeit rund 117 000 Flüchtlinge im Freistaat. Darunter sind sowohl Migranten, deren Asylverfahren bereits laufen, als auch welche, die bislang nur registriert sind - was in Bayern in der Regel innerhalb weniger Tage nach Einreise passiert. In anderen Bundesländern dauert es teilweise Wochen, bis Flüchtlinge registriert sind.

Welche Stationen durchlaufen die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft?

Wenn sie über die Grenze kommen, werden sie in der Regel zunächst von der Bundespolizei in Empfang genommen und im Idealfall sofort in Busse oder Züge gesetzt, die die Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel bundesweit verteilen. Das heißt: Etwa 15 Prozent der Migranten bleiben in Bayern, alle anderen werden in die anderen Bundesländer verteilt. So sollte es im Idealfall laufen.

lrich Becker, Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik

"Es muss aber dringend ein gerechtes und funktionierendes Verteilungssystem geschaffen werden."

Kommen jedoch zu viele gleichzeitig an, wie es in den vergangenen Tagen an der österreichisch-bayerischen Grenze oft der Fall war, dann bringt die Bundespolizei sie zunächst in einen der beiden "Wartebereiche", die der Bund vor kurzem in Feldkirchen und Erding eingerichtet hat. Die Kapazitäten dort werden gerade schrittweise auf je 5000 Plätze ausgeweitet. Von dort aus werden die Flüchtlinge bundesweit verteilt.

Wie läuft das Verfahren danach weiter?

Die 15 Prozent, die in Bayern bleiben, kommen zunächst in eine der sieben Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE). Dort stehen derzeit insgesamt 16 000 Plätze zur Verfügung. Bis Dezember sollen weitere 9000 Plätze entstehen und bis März noch einmal 8000. In diesen EAE werden die Flüchtlinge erstmals im sogenannten Easy-System registriert. Easy steht für: Erstverteilung von Asylbegehrenden.

Dabei handelt es sich um eine Datenbank, in der genau gespeichert ist, in welchem Bundesland sich bereits wie viele registrierte Flüchtlinge befinden. An diesem Punkt kommt der Königsteiner Schlüssel ein zweites Mal zur Anwendung. Das System überprüft nämlich bei jeder neuen Registrierung eines Flüchtlings, welches Bundesland bei der Aufnahme von Flüchtlingen bereits sein Soll erfüllt hat und welches noch nicht - und spuckt daraufhin aus, wo dieser Flüchtling hinzubringen ist, sprich: in welchem Bundesland das Asylverfahren letztlich stattfinden muss.

Bei Flüchtlingen, für die Bayern zuständig ist, kann das bedeuten, dass sie entweder in einer der sieben EAE bleiben, oder aber - wenn es sich um Balkanflüchtlinge handelt - in eines der beiden Balkan-Zentren gebracht werden, die Bayern seit Spätsommer in Manching und Bamberg eingerichtet hat. Ziel war, die Verfahren für Balkanflüchtlinge zu beschleunigen, da die Balkanländer als sichere Herkunftsländer gelten und Asylanträge daher nahezu aussichtslos sind.

Doch egal, ob Flüchtlinge in EAE oder Balkanzentren untergebracht sind: In jedem Fall können sie dort maximal sechs Monate bleiben. Bei den Balkanzentren sollten die Verfahren nach dem Willen der Staatsregierung bis dahin abgeschlossen sein. Bei den EAE dagegen ist das selten, sodass die Flüchtlinge nach sechs Monaten entweder in Gemeinschaftsunterkünfte oder in dezentrale Unterkünfte gebracht werden.

Ist das Asylverfahren irgendwann erfolgreich abgeschlossen und der Antrag bewilligt, sollte der Flüchtling möglichst sofort ausziehen und sich eine Wohnung suchen. Dabei wird er unterstützt, doch die Wohnungssuche ist gar nicht so einfach. Weil man aber niemanden auf die Straße setzen will, sind etwa neun Prozent der Bewohner in den Gemeinschaftsunterkünften "Fehlbeleger". Wessen Asylantrag rechtskräftig abgelehnt ist und wer auch nicht aus bestimmten Schutzgründen trotzdem geduldet wird, muss Deutschland verlassen.

Wie die Rechtslage aussieht

Warum dürfen überhaupt alle kommen?

Diese Frage ist auch unter Juristen sehr umstritten. Denn eigentlich steht in Artikel 16a des Grundgesetzes klipp und klar: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Darauf kann sich aber "nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft (. . .)." einreist. Und in Paragraf 18 Asylgesetz heißt es: "Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn er aus einem sicheren Drittstaat einreist" - wobei unter sicheren Drittstaaten explizit auch die Mitgliedstaaten der EU zu verstehen sind. Sowohl das Grundgesetz als auch das Asylgesetz klingen also ganz so, als könnte niemand, der aus Österreich kommt, in Deutschland Asyl beantragen.

Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Denn: Außerdem steht im Grundgesetz und im Asylgesetz, dass diese Vorschriften jeweils durch höherrangiges Recht überlagert werden. Im konkreten Fall ist das die sogenannte Dublin-III-Verordnung, die EU-weit regelt, welches Land für ein Asylverfahren zuständig ist: Im Normalfall ist es das Land, in dem der Flüchtling erstmals europäischen Boden betreten hat.

Wenn er dort aber keinen Antrag stellt, sondern erst in einem anderen Land, also etwa in Deutschland, "dann kann Deutschland diese Flüchtlinge nicht einfach an der Grenze ablehnen", erklärt Ulrich Becker, Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München. "Denn die Dublin-III-Verordnung sieht vor, dass sobald ein Flüchtling irgendwo einen Asylantrag stellt, das jeweilige Land prüfen muss, welches Land für das Asylverfahren zuständig ist."

Dublin wird momentan nicht konsequent angewandt

Deutschland müsse im Fall der über Österreich einreisenden Flüchtlinge also zumindest prüfen, in welchem Land der Flüchtling erstmals europäischen Boden betreten habe. Dieses Land sei dann für das Verfahren zuständig. "Lässt sich das nicht feststellen, etwa weil der Flüchtling es nicht weiß oder es nicht sagt, muss Deutschland das Asylverfahren selbst durchführen." So jedenfalls sei der Ablauf vorgesehen, wenn alles nach Recht und Gesetz abliefe. Doch auch Becker räumt ein, dass das mittlerweile nicht mehr wirklich der Fall ist. "Weder die Dublin-Verordnung noch der Schengen-Grenzkodex werden momentan von den Mitgliedstaaten konsequent angewandt."

Andere Juristen, etwa der Verfassungsrechtler und frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz oder auch der streitbare CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler argumentieren deshalb, dass die Dublin-Verordnung die Regeln aus dem Grundgesetz und dem deutschen Asylgesetz nicht länger verdränge. Wenn das höherrangige Recht nur noch theoretisch gelte, faktisch aber nicht mehr angewandt werde, müsse Deutschland das Recht haben, seine Grenzen zu schützen, sagen die beiden.

Grundsätzlich habe jeder Staat das Recht, selbst zu entscheiden, welche Menschen er auf sein Gebiet lassen wolle, argumentiert Gauweiler. Mit der Dublin-Verordnung habe Deutschland dieses Recht an die EU abgetreten. Wenn nun aber die EU "nicht in der Lage ist, dieses ihr übertragene Recht effektiv auszuüben, fällt dieses Recht und die damit verbundenen Handlungspflichten zur Ausübung an die Mitgliedstaaten zurück." Sprich: Wer aus Tschechien oder Österreich nach Deutschland einreist, kann sich nach Ansicht von Gauweiler nicht auf das Asylrecht berufen.

Becker bezweifelt allerdings, dass "die damit behauptete Widerstandssituation" derzeit wirklich vorliegt. "Es muss aber dringend ein gerechtes und funktionierendes Verteilungssystem geschaffen werden", sagt er, "wobei alle EU-Mitgliedstaaten an dem jetzigen Chaos schuld sind, weil sie Grenzkontrollen und Flüchtlingsaufnahme immer noch nicht als gemeinsame Aufgabe begriffen haben."

Wie es weitergehen könnte

„Ich bin nicht die Frau Merkel, ich bin die Claudia“

In echt schauen die Leute ja immer ganz anders aus als im Fernsehen, da kann das schon mal passieren. Und bestimmt hat es auch an den Kameras und den Mikros gelegen, dass die Leute sich gedacht haben: Wenn die Presse dabei ist, dann kann das nur die Kanzlerin sein. Sie war es aber nicht. Es war Claudia Roth, die am Donnerstagabend am Grenzübergang Passau-Achleiten vorbeischaute, um sich ein Bild von jenem Ort zu machen, an dem seit vergangenem Wochenende Hunderte Flüchtlinge die Nächte in der Kälte verbringen müssen. Und prompt wurde Roth von einer Gruppe Syrern als Frau Merkel begrüßt. "Ich bin nicht die Frau Merkel, ich bin die Claudia", antwortete die Grünen-Politikerin.

Beleidigt war sie aber nicht wegen der Verwechslung, zurzeit findet Claudia Roth die Kanzlerin gar nicht so übel. In Passau lobte sie Angela Merkel für ihre Entscheidung, die Flüchtlinge nach Deutschland kommen zu lassen, appellierte aber an die anderen EU-Staaten, sich stärker zu engagieren. "Es wird Zeit, dass ganz Europa Verantwortung übernimmt für die vielen Flüchtlinge und nicht nur einige wenige Länder", sagte Roth.

Derweil ist die Zahl der im Landkreis Passau ankommenden Flüchtlinge leicht zurückgegangen. Am Donnerstag zählte die Bundespolizei am Hauptbahnhof sowie an den Grenzübergängen in Wegscheid und Passau-Achleiten insgesamt etwa 4450 Menschen, in den Tagen zuvor waren es jeweils rund 6500. GLA

Wie viele werden noch kommen?

Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen, da sind sich alle Experten einig. Trotzdem wagt es Panu Poutvaara, Leiter des ifo Zentrums für Migrationsforschung in München, eine Zahl zu nennen. Etwa eine halbe Million Flüchtlinge würde dieses Jahr noch nach Deutschland kommen. Schätzungen zufolge wären es 2015 dann 1,3 Millionen, Bayern müsste also noch etwa 78 000 mehr aufnehmen.

Alexander Thal vom bayerischen Flüchtlingsrat bezweifelt so hohe Prognosen. "Viele werden drei oder viermal registriert", sagt er. Etliche würden nach Skandinavien weiterreisen. Wie viele es wirklich werden, hängt von mehreren Faktoren ab. Etwa vom Wetter, sagt Stefan Telöken vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR. Im Winter sinkt die Zahl derer, die über das Mittelmeer kommen, üblicherweise. Allerdings seien "immer mehr bereit, alles zu riskieren", sagt Telöken.

Viele der vier Millionen, die jetzt noch in den Nachbarländern von Syrien ausharren, könnten nach vier Jahren Krieg in Syrien die Hoffnung verlieren, jemals wieder zurückkehren zu können. Dass sie alle nach Europa kommen, glaubt Telöken aber nicht. Die meisten Syrienflüchtlinge kämen oft aus Syrien selbst, außerdem fehle es vielen schlicht am Geld. Der Druck zu fliehen, sei aber weiterhin da.

Um die Flüchtlingsströme nach Europa zu reduzieren müssten die Lebensbedingungen vor Ort verbessert werden. Das kostet Geld: Etwa acht Milliarden Euro umfasst ein Hilfsplan allein für Syrien und seine Nachbarländer, der bis jetzt erst zur Hälfte finanziert ist. Wie viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, hänge auch davon ab, ob die Europäische Union sich auf ein stabiles Verteilungssystem einigt, sagt Telöken. Wenn wie jetzt nur Deutschland, Österreich und Skandinavien die Hauptlast tragen, könne das "auf Dauer nicht gut gehen".

Könnte Bayern die Grenze sperren?

Auch wenn hinter den Grenzen zu Österreich, wo die meisten Flüchtlinge ankommen, Bayern anfängt, so sind es doch deutsche Grenzen. Für Grenzangelegenheiten ist deshalb immer der Bund zuständig. Außer Klagen und Mahnungen nach Berlin zu schicken, kann Horst Seehofer deshalb wenig tun. Auch die verstärkten Grenzkontrollen, die seit Mitte September wieder eingeführt wurden, gehen zwar auf eine Initiative Bayerns zurück, beschlossen wurden sie aber von Berlin aus. Das gleiche gilt für die Transitzonen, auf die Bayern seit einiger Zeit drängt: Sie können nur durch den Bund beschlossen werden.

Könnten Transitzonen helfen?

Solche Zonen sind in Artikel 43 der EU-Richtlinie 2013/32/EU ausdrücklich vorgesehen. Die CSU möchte sie am liebsten grenznah einrichten, wäre aber auch im Landesinneren dazu bereit. Ihrer Ansicht nach sollten Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten künftig gar nicht erst nach Deutschland einreisen, sondern direkt von der Grenze aus in solche Transit-Einrichtungen gebracht werden. Dort sollen ihre Anträge innerhalb kürzester Zeit geprüft und im Regelfall abgelehnt werden.

Aus Sicht der CSU läge der Hauptvorteil darin, dass man die Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern dann gar nicht erst auf die ganzen Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland verteilen müsste. Die SPD hatte allerdings zunächst die große Sorge, dass man die Flüchtlinge dafür formell in Haft nehmen müsste.

In einem Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) war das tatsächlich so vorgesehen, allerdings ging das auch der CSU zu weit. Seehofer argumentiert, von Haft könne man schon deshalb nicht sprechen, weil die Menschen sich ja während der Prüfung ihres Antrags frei bewegen und jederzeit die Rückreise antreten dürften - nur nach Deutschland einreisen dürften sie nicht.

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