Süddeutsche Zeitung

Pläne für Center Parc:Stress am See

Vor 50 Jahren beschloss der Landtag, das Fränkische Seenland anzulegen. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr wird nun über zu viel Tourismus diskutiert.

Von Uwe Ritzer

Franz Josef Strauß schwebte im Hubschrauber ein, Edmund Stoiber setzte im Motorboot über, Horst Seehofer posierte für Fotos am Steuerrad eines Ausflugsschiffes. Wie seine Vorgänger, hätte zweifellos auch Ministerpräsident Markus Söder im April einen markanten Auftritt im Fränkischen Seenland hingelegt, hätte Corona das nicht verhindert. Falls das Virus es zulässt, soll sein Besuch im Oktober nachgeholt werden. Schließlich will es angemessen zelebriert werden, dass der Landtag vor 50 Jahren beschloss, einen ganzen Landstrich umzugraben, Stauseen anzulegen und eine Tourismusregion zu erschaffen, wo bis dahin Kleinbauern versuchten, kargen Äckern und Wiesen Ernten abzuringen. Gut möglich, dass Söder im Herbst weit weniger freundlich empfangen wird als seine Vorgänger bei ihren umjubelten Besuchen 1986, 2000 und 2011.

Was allerdings nicht an ihm läge, als vielmehr an Entwicklungen vor Ort. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr braut sich Unmut zusammen im Fränkischen Seenland südlich von Nürnberg. Gezankt wird um das mutmaßlich größte geplante Tourismusprojekt in Süddeutschland, mit einem Kostenvolumen von 350 Millionen Euro, mindestens.

Vom Kleinen Brombachsee nur durch einen schmalen Uferweg getrennt, will der niederländische Ferienkonzern Center Parcs am Rande des Dorfes Langlau einen Ferienpark bauen. Von 800 Ferienwohnungen in kleinen Bungalows ist die Rede, von Restaurants, Freizeit- und Sporteinrichtungen. Das alles auf einem 150 Hektar großen, noch dicht bewaldeten Gelände, auf dem einst die Wehrmacht, später die US-Armee und bis vor wenigen Jahren die Bundeswehr Munition und Sprengstoff lagerten. Das Erdreich unter der "Muna", wie das einstige Kampfmitteldepot im Volksmund heißt, ist aus dieser Zeit zwar verseucht; doch der Umstand, dass das umzäunte und bewachte Areal seit Jahrzehnten für die Öffentlichkeit unzugänglich ist, ließ dort Pflanzen und Tiere weitgehend ungestört und daher prächtig gedeihen. Sagen zumindest Naturschützer.

Der Konflikt, der sich angesichts der Pläne gerade in Leserbriefspalten und auf Schildern an Straßenrändern ablesbar aufbaut, könnte den Frieden ruinieren, auf den sie im Seenland stets stolz waren. Vor 50 Jahren auf den Weg gebracht und vor 20 Jahren mit der Flutung des letzten, des Großen Brombachsees vollendet, erregte das Seenland nie Protest und Widerstand.

Bereits der Landtagsbeschluss fiel einstimmig. Vordergründig entschieden die Abgeordneten an jenem 16. Juli 1970, eine Kette an Seen zu errichten, um Altmühl- und Donauwasser aus dem nassen Süden des Freistaats über die europäische Wasserscheide hinweg in den trockenen Norden überzuleiten. Ein Wasserbauprojekt also; von einem Feriengebiet war im Beschluss mit keinem Wort die Rede.

Ernst Lechner allerdings hatte genau diesen Kollateralnutzen im Sinn. Der CSU-Landtagsabgeordnete aus Gunzenhausen hatte den Antrag eingebracht. "Vielen Kollegen im Landtag war damals die Dimension nicht klar", sagte Lechner oft. Er hingegen verfolgte den Hintergedanken, einer der strukturschwächsten, von einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft ohne Zukunft geprägten Gegend, Perspektiven im Tourismus zu verschaffen und sie aufzuwerten. Was auch gelang. Bauern gaben ihre Höfe auf und bauten Ställe zu Ferienwohnungen um. Mehr als 200 Millionen Euro spült der Tourismus jährlich in die Region. Und den 2013 gestorbenen Lechner verehren sie vor Ort als "Vater des Seenlands".

Besuch bei Georg Maier, 85. Fast sein ganzes Berufsleben baute er an diesem Seenland mit. Während das Talsperrenneubauamt, eine eigens gegründete (und inzwischen abgeschaffte), staatliche Behörde, den Wassertransfer von Süd nach Nord über den Altmühl-, den Kleinen und den Großen Brombachsee, den Igelsbach- und den Rothsee organisierte, kümmerte sich Maier um das Drumherum. Bis zur Pensionierung 1999 ließ der Geschäftsführer des Zweckverbands Brombachsee Häfen, Liegewiesen, Strände, Wege und Parkplätze anlegen, einen Campingplatz und Freizeitzentren, plus Abwassersystem.

"Im Nachhinein betrachtet, haben wir alles zwei Nummern zu klein gemacht", sagt Maier auch aus eigenem Anschein heraus. Er lebt in Ramsberg, einem Dorf, das prominent am Großen Brombachsee liegt, der so groß ist wie der Tegernsee. "Das Seenland ist dem Ansturm nicht mehr gewachsen, statt Ruhe und Erholung haben wir hier Remmidemmi." Braucht es da auch noch einen Center Parc? "Ganz sicher nicht", sagt Georg Maier.

Neben ihm sitzt sein Sohn Klaus, 54, einer der Initiatoren der Bürgerinitiative, die sich gerade formiert. "Straßen, Kanäle, die Infrastruktur ist nicht für ein solch riesiges Feriendorf ausgelegt", sagt er. Auch zusätzliche Wertschöpfung für die Region erwarten der IT-Unternehmer und seine Mitstreiter nicht. Ein Center Parc sei in sich geschlossen. Was bitteschön sollten etwa die Zimmervermieter ringsum davon haben? Auch Steuereinnahmen seien von einem internationalen Konzern erfahrungsgemäß nicht zu erwarten. "Ein Center Parc würde den Charakter des Seenlandes zerstören", sagt Klaus Maier. "Man sollte die Muna für die Öffentlichkeit erschließen und nicht Heuschrecken überlassen."

Vermutlich würde ein Center Parc die Zahl der Übernachtungen im Seenland auf zwei Millionen pro Jahr verdoppeln. Hinzu kommen (in Nicht-Corona-Jahren) bereits jetzt vier Millionen Tagesgäste. 50 Jahre nach dem Landtagsbeschluss sehen einige das Feriengebiet an der Kapazitätsgrenze angekommen. Touristiker widersprechen. "Nein, es ist nicht zu voll", sagt Hans-Dieter Niederprüm, Geschäftsführer des Tourismusverbands Fränkisches Seenland. "Auslastungsspitzen an wenigen, heißen Wochenenden sind normal." Aber außerhalb des Sommers tue sich zu wenig, was die Geschäfte für Gastronomen oder Zimmervermieter schwer und Investitionen in diesen Sektoren unattraktiv mache. "Wir brauchen unbedingt eine saisonverlängernde Einrichtung", sagt Niederprüm.

Es geht bei alledem nicht nur um wirtschaftliche Fragen. Der Konflikt offenbart wie durch ein Brennglas das seit 50 Jahren ungelöste Identitätsproblem des Fränkischen Seenlandes: Wofür steht es, welche Gästeklientel will es haben? Geht es angesichts zwar künstlicher, aber perfekt in die Landschaft eingefügter Seen samt Rad- und Wanderwegen, viel Natur und Kultur in Gestalt von Museen, Schlössern, Burgen, mittelalterlichen Städtchen und römischer Relikte im Umland um Wassersport und sanften Tourismus? Oder braucht es mehr Action, mehr Attraktionen, mehr Besucher? Von Natur und Kultur reden Politiker und Touristiker im Seenland beständig; doch kaum tauchen Ideen auf, wie vor einigen Jahren ein römischer Freizeitpark oder aktuell der Center Parc, wachsen die Hoffnungen scheinbar ins Unermessliche.

"Der Center Parc würde gut ins Fränkische Seenland passen, er ist eine Chance", sagt Manuel Westphal (CSU), seit Mai Landrat von Weißenburg-Gunzenhausen, dem Landkreis mit den meisten Seen. "Center Parcs steht für keinen Brachialtourismus, er passt zu dem, was wir bislang hier praktizieren." Er verspricht aber auch einen "offenen, transparenten und ergebnisoffenen Prozess", bei dem die Bevölkerung einbezogen werde.

Doch das Misstrauen ist groß. Schließlich wissen maßgebliche Kommunalpolitiker seit zwei Jahren von den Center-Parcs-Plänen und haben sie gegenüber der Bevölkerung verheimlicht. Nun sollen öffentliche Informationsversammlungen das Vertrauen wieder herstellen. Auch Center-Parcs-Vertreter müssten sich dort den Fragen stellen, sagt Landrat Westphal.

Während vor Ort das große Debattieren erst beginnt, treibt der Konzern seine Pläne zielstrebig voran. Er verhandelt mit dem Bund konkret über den Kauf des Muna-Geländes. Im Raum steht ein Preis von zwölf Millionen Euro.

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Quelle:
SZ vom 22.08.2020
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