Heiß und schwül ist es am 9. August 2015 - ein drückender Sommertag. Die Wolken ballen sich über den Bergen am Alpenrand zu turmhohen Gebilden auf. Gegen Abend schiebt sich eine dunkle Front vom Walchensee auf den Kochelsee zu, Vorbote des nahenden Gewitters.
Jeder andere würde jetzt wohl vor dem drohenden Unwetter Schutz suchen - nicht so Bernd Ritschel. Der 53-jährige Kochler sieht endlich seine Chance gekommen. Er spurtet aus dem Auto, baut sein Stativ auf und schaut an der Brücke über den Loisach-Auslauf am Nordende des Kochelsees durch den Sucher seiner Kamera. Vor Spannung hat er sogar eine Gänsehaut. Jetzt darf es bloß nicht zu hageln und zu regnen beginnen, sonst ist das Motiv zerstört. Doch in der Dämmerung entlädt sich die elektrische Spannung aus den Wolken nur in Form von Blitzen. Gleißende, zuckende Lichtstränge tauchen den Himmel in dunkel-violettes Licht. Ritschel drückt auf den Auslöser. Er hat sich in der Nähe des Autos postiert. Denn die Fotoausrüstung könnte die Blitze jederzeit auf ihn lenken.
Tagelang hatte der erfahrene Fotograf vergeblich auf einen solchen Moment gewartet. Die Aufnahme war für ihn ein echter Glückstreffer. "Das betrachte ich als Geschenk", sagt er rund eineinhalb Jahre danach im Arbeitszimmer seines Hauses am Kochelsee. Das Foto wird in seinem aktuellen National-Geographic-Bildband "Dark Mountains" im Bruckmann Verlag erscheinen. Darin nähert sich der Fotograf den Bergen von ihrer düsteren, drohenden und doch atmosphärisch-faszinierenden Seite an. Jahrelang ist er um die Welt gereist, um Gipfel und Natur bei Dunkelheit, Sturm oder Gewittern zu fotografieren. Kontrast zu gängigen Postkartenmotiven mit strahlendem Sonnenschein, wie er es selbst schon in vielen seiner bisher 35 Bücher ins Bild gerückt hatte. "Meine einzige Chance war viel zu reisen, etwa dorthin, wo es die meisten Regentage gibt", sagt Ritschel.
Unter widrigsten Wetterbedingungen musste er geduldig bleiben und ausharren: Neun Tage verbrachte er auf den Lofoten bei Regen im Leihauto, schlief und kochte sogar im Wagen, um den perfekten Moment nicht zu verpassen, einen felsigen Monolith vor aufgepeitschten Wellen und steil ins Meer abfallenden Küstengebirgen.
Ruhig, geduldig und vor allem äußerst strukturiert wirkt der Fotograf mit dem grau-schwarzen Lockenschopf. Im Keller seines Hauses hat er seine Ausrüstung für die Fotoreisen in Regalen säuberlich geordnet. Neben Schlafsäcken verschiedenster Couleur hängen Rucksäcke. In getrennten Kisten liegen Seile, Karabiner und was es sonst noch so alles am Berg braucht. Zwei große Taschen mit Fotoapparaten, Objektiven und Stativen hat er zwei Tage vor der Abreise für Werbeaufnahmen im Auftrag eines Outdoor-Schuherstellers in Portugal und Spanien schon gepackt.
Wilde, freie Zeiten
Zu Geduld und Ruhe musste Ritschel aber erst finden. Womöglich haben dazu auch seine Frau Ela und seine 14-jährige Tochter Clarissa beigetragen. Denn von Jugend an suchte der in Wolfratshausen geborene und aufgewachsene Ritschel Abenteuer und Risiko. Die Schule war für ihn nur Notwendigkeit. Nach dem Abschluss auf der Fachoberschule schloss er, auch um seinen Vater zu beruhigen, eine Ausbildung zum Maschinenbautechniker ab. Viel lieber kletterte er, zunächst an den abgegriffenen Felsen am Isarhochufer bei Buchenhain und im Karwendel, später auf großen Expeditionen weltweit. Die passende Clique lernte er in der Wolfratshauser Alpenvereinssektion kennen.
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Fotograf in der Brandung: Hier ist der Kochler bei Aufnahmen in Island.
Bild: Maximilian Schroedinger -
Und hier ragt der Jochberg durch die Wolken.
Bild: Bernd Ritschel -
Tagelang hat der Fotograf gewartet: Plötzlich türmen sich die Wolken über dem Kochelsee, Bernd Ritschel hat Gänsehaut - dann schlägt der Blitz ein.
Bild: Bernd Ritschel
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Mit 18 Jahren stand Ritschel bereits auf mehreren 6000 Meter hohen Bergen in Peru. Vor 26 Jahren schaffte er es mit seinen Mitstreitern über den Westgrat auf den 4442 Meter hohen Mount Hunter in Alaska in damaliger Rekordzeit: Sie brauchten nur dreieinhalb Tage statt der bis dahin üblichen sechs bis zehn. Zwei- bis dreimal im Jahr war Ritschel zu dieser Zeit auf großer Expedition. Zehn bis 15 Jahre ging das so "Das waren wilde, freie Zeiten", erinnert er sich. "Wir wollten Abenteuer erleben und unsere Grenzen ausloten."