Süddeutsche Zeitung

Fotografie:"All meinen Besitz trage ich bei mir"

Stefan Rosenboom aus Habach hat seinen Traum verwirklicht: Mit Frau, Kind und Kamera reist er durch die Welt - und hat dabei Erfolg.

Von Lisa Schnell, Habach

Stefan Rosenboom hat einen Ring am Finger, der bringt sein Leben auf einen Satz. Schwarz auf Silber steht da: "Omnia mea mecum porto" - "All meinen Besitz trage ich bei mir". Etwa sein Haus, das trägt er auf dem Rücken. Ein rotes Zelt, drei Quadratmeter groß. Seinen Reichtum hat er an der Hand: Tochter Silija und Frau Susanne. Nachts schmiegen sie sich in ihrem Zelt aneinander wie Löffel in einer Schublade.

Hinter dem Reißverschluss: unberührte Schneelandschaften, wilde Flüsse, Gras, das in der Sonne leuchtet wie Gold. Mit nicht mal zwei Jahren spielte Silija mit Geierfedern, länger als ihr Arm. Vom Wolf kennt sie nur die Spuren im Schnee, als er selbst auftauchte, schlief sie in der Kraxe. Vier Monate wanderten sie durch die Pyrenäen, da war Silija eins, sechs Monate durch Japan, da war sie sechs. Und immer fotografierte Rosenboom.

Es sind Bilder, die von der Schönheit der Natur erzählen, aber auch von einer anderen Art, zu leben. Davon, als Familie eins zu werden, dem Vertrauen zwischen Drein alleine in der Wildnis und der großen Nähe in einem kleinen Zelt. "Silijas Reisen", sein erster Bildband verkaufte sich überraschend gut. Vielleicht weil er die Tür öffnet zu einer Welt jenseits von Smartphone und Smalltalk. Rosenboom liebt diese Welt, doch wenn er aus der Stille zurückkehrt, kommt er sich zwischen vielen Menschen oft vor wie ein Kauz.

Das Glück kam auf Umwegen zu Rosenboom

Oben wärmt seinen Kopf eine enge Mütze - es muss Funktionskleidung sein - unten ein weißer Vollbart. Die Füße des 49-Jährigen stecken in Fellstiefeln, um den Hals ein Amulett aus Japan, in der Tasche ein ledernes Klappmesser. Ein Bergfex ist er, wohl auch ein Abenteurer, aber ein Kauz? Sein Händedruck ist fest, der Blick offen. Gut, sein Handy sieht noch aus wie ein Knochen, und in seinem Auto knistern gut zwei Meter Laub unter den Schuhen. Zivilisation mag er aber, auch weil es in ihr so was wie Espresso gibt.

Er flieht nicht in die Einsamkeit, sie zieht ihn an und gerne kehrt er aus ihr zurück. In ein Holzhaus in Habach bei Penzberg, so versteckt, dass es mit Zetteln tapeziert ist, damit der Postbote den Eingang findet. Es sind große, lichte Räume. Im ersten Stock baumelt eine lila Hängematte. In der Ecke zwei Matratzen, über ihnen ein weiß-durchsichtiges Zelt aus Moskitonetzen. An der Wand gegenüber seine letzten Arbeiten, der Computer, auf dem er Bilder und Musik zu Vorträgen über seine Reisen mischt. Nur zwei Meter zwischen Bett und Schreibtisch. Arbeit ist Freizeit ist Arbeit. Bei Rosenboom eine Formel, die aufgeht. Fotografieren, Reisen, viel Familie, so würde er eh leben wollen. Und jetzt kriegt er noch Geld dafür. Rosenboom schaut schuldbewusst. Er ahnt wohl, wie unverschämt sein Glück ist. Immerhin: Es kam auf Umwegen zu ihm.

Dabei wusste Rosenboom schon als kleiner Junge: Am liebsten blickt er durch ein Objektiv auf diese Welt. Damals zog er mit seinem Vater und einer Kamera durch Wald und Wiesen um Frankfurt. Als Teenager kaufte er sich neue Objektive, ein Technik-Freak war er aber nie, auch jetzt bearbeitet er seine Bilder kaum am Computer nach. Wie er mit eine paar Handbewegungen die richtige Schärfe findet, lernte er als Auszubildender in einem Fotogeschäft. Mehr aber auch nicht. Drei Jahre lang machte er Passbilder. Seinen besonderen Blick für Arrangements, Kontraste, Linien, dort hat er ihn wohl nicht gelernt. Er kann es einfach.

Wie Rosenboom sich auf Fotoreise machte

Nach dem Zivildienst fuhr er Taxi, reiste viel, fotografierte dabei. Arbeiten, reisen, arbeiten, dazwischen heiratete er. Seine erste Frau hatte eine kranke Lunge. Die Luft in Bayern sei besser, hieß es. Sie zogen um. Er wusste nun, was er wollte: fotografieren. Doch er musste sich um seine Frau kümmern. Sie bekam eine neue Lunge. Alles war gut, da trennten sie sich. Wie es eben so ist. Da war er 35. Er begegnete Susanne, zwölf Monate später kam Silija.

Noch neun Monate, und sie wanderten mit ihr als kleinem Wurm vorne an die Brust gebunden an der andalusischen Küste entlang. Es sind die ersten Fotos in "Silijas Reisen". Eigentlich ein Urlaubstagebuch mit außergewöhnlich guten Fotos.

Arbeit ist Freizeit ist Arbeit. Alles ist persönlich bei Rosenboom, die Bilder, die Texte. Darin erzählt er, wie sie selbst zweifelten: ein kleiner Zwack im Schnee, im Wald, auf 2500 Metern? Allein die Frage: Stoffwindeln oder Wegwerfwindeln? Am Schluss schleppte Rosenboom 45 supersaugfähige, spanische Plastikwindeln über die Pyrenäen. Silija wurde nicht von Geiern geholt, nicht vom Wolf gefressen. Sie liebt das Moos, die reißenden Bäche, das Prasseln des Regens nachts im Zelt.

Ihre kindliche Neugier weitete auch den Blick von Rosenboom, öffnete die Herzen von grimmigen Alm-Öhis oder japanischen Fischermännern. Menschen, die er ohne Silija nie kennen gelernt, nie fotografiert hätte. Aus dem Rucksack leben, Abenteuer erleben, das geht auch mit Kind. Das will Rosenboom zeigen und er tut es mit allen Zweifeln, die Eltern haben.

Manche fragten ihn nach Reisetipps, andere tadelten ihn als unverantwortlichen Vater. Rosenboom beobachtet seine Tochter aufmerksam, sie scheint ihm normal. Über dem Küchentisch hängt ein Bild von ihr: ein hübsches, blondes Mädchen im Norwegerpulli. Kein Waldgnom, eher eine Tochter, die auch mit zwölf noch gerne Zeit mit ihren Eltern verbringt.

Rosenboom hat gelernt, Kritik nicht zu nah an sich heranzulassen. Denn verbiegen kann er sich nicht. Das fängt damit an, dass er sein Auto nicht entlaubt, nur weil eine Journalistin einsteigt, und es hört auf mit seinem Schulterzucken, wenn manche schockiert aus seinen Vorträgen rumpeln. Etwa, weil seine Bilder auch mal unscharf sind, die Lichter verwackelt, die Farben verwischt. Oder weil bei ihm der Jakobsweg auch so aussieht: ein Maschendrahtzaun in Schwarz-Weiß, darin ein Kreuz aus grauen Steinen, eine Autobahnbrücke, Graffiti. Bilder, die nicht in den gewöhnlichen Pilgerkalender passen.

Überhaupt wendet er sich eher dem Ungewöhnlichen zu. Gerade bereist er das wilde Italien, verlassene Bergdörfer, Schneetouren in der Toskana. Oder sein letztes Projekt: die Jurte.

Leben in der Jurte

Im Laubauto geht es über grüne Hügel, mal links, mal rechts, wo genau, das darf hier nicht stehen. Der Ort ist ein Geheimnis - das Geheimnis von einem anderen Leben mitten in unserem. Zwei Menschen um ein Lagerfeuer, ein Mann, eine Frau. Ein junges, hübsches Paar, Nadja und David, beide Holzbildhauer. Sie trägt eine Pluderhose und eine Art Lendenschurz mit Blümchenmuster, er einen Wollpulli, die langen blonden Haare zum Zopf gebunden.

Rosenboom umarmt sie, lurt in die gusseiserne Pfanne: Reiberdatschi. Das Rapsöl um den Teigbatzen brutzelt. Auf einer großen Holzkiste Apfelmus, Teller und Tonda, ein Jahr alt. Er tunkt einen großen Löffel in das Glas, schmiert das Apfelmus um seinen Mund und auch ein wenig hinein. Hinter ihm jagen Kinder Enten und Hühner.

Drei Familien sind sie mittlerweile, acht Kinder, acht Erwachsene, ein richtig kleines Dorf. Sie leben in drei Jurten - kreisrunde, robuste Zelte aus Holz und Filz. Keine Dusche, keine Zentralheizung, kein Supermarkt. Sie kochen und heizen mit einem Holzofen, bauen ihr Gemüse selbst an, versuchen, möglichst autark zu leben. Weil sie schon als Kinder nichts so magisch fanden wie Wald, Wiesen und Wälder, weil sie sich nirgends so im Hier und Jetzt fühlen wie in der Natur.

Wenn sich das Leben auf Zelt, Familie und Kamera reduziert

Keine Überraschung, dass sie Freunde wurden, als Nadja und David eines Tages mit ihrer Jurte direkt neben die Rosenbooms zogen. Er fotografierte, drei Jahre lang. Darf der Fotograf Rosenboom all das knipsen, was der Freund sieht? Es war manchmal nicht einfach, die Grenze zu finden. Sehr persönlich ist es trotzdem geworden, ihr Buch "Die fliegende Jurte - vom Glück, einfach zu leben". Einfach, also. Aber leuchtet da nicht der Bildschirm eines Laptops in der Jurte, das künstliche Licht einer Schreibtischlampe?

Nadja und David sind nicht dogmatisch. Das Apfelmus heute ist nicht bio? Egal. Seit kurzem haben sie sogar eine Waschmaschine. Warum nicht das Beste aus zwei Welten nehmen? Rosenboom liebt ja auch seinen Espresso. Gerade zerteilt er dampfenden Reiberdatschi mit seinem Bergmesser.

Bald gibt es wieder nur Tütensuppe und eisiges Bergwasser. Bald ist auch seine Welt wieder einfach. Reduziert auf das, was ihm wichtig ist: Silija, Susanne, ein Zelt und eine Kamera.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2015/mmo
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