Forensische Klinik in Taufkirchen:Gefangen, krank und ausgeliefert

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Massive Vorwürfe gegen die Forensische Klinik in Taufkirchen an der Vils: Anlass sind bislang ungeklärte Fragen zum Tod zweier Patientinnen. (Foto: Peter Bauersachs)
  • In der Forensischen Klinik in Taufkirchen an der Vils sind zwei Frauen gestorben.
  • Angehörige der psychisch kranken Straftäterinnen glauben, dass den Frauen notwendige Arztbehandlungen nicht genehmigt wurden.
  • Die Klinik gibt nur äußerst spärlich Auskunft über die Fälle.

Von Eva Achinger und Lisa Schnell, Taufkirchen

Erna Heptner kann es bis heute nicht glauben. "Da sind doch Ärzte da", sagt sie. Und etwas leiser: "Ich versteh das nicht." Fast genau vier Jahre lang ist ihre Schwester jetzt tot. Sie starb während der Zeit ihrer Unterbringung in der Forensik in Taufkirchen an der Vils, einer Klinik für psychisch kranke Straftäter. Heptner hatte sich auf die Ärzte dort verlassen. Jetzt sagt sie: "Die haben sich nicht gekümmert. Ich bin der Meinung, sie ist daran gestorben." Es ist ein schwerer Vorwurf. Sind psychisch kranke Gefangene hinter hohen Mauern Bürger zweiter Klasse, denen ihr Recht auf medizinische Versorgung verwehrt wird? Heptner hat zumindest gute Gründe, sich diese Frage zu stellen.

Ihre Schwester, Irene Bergmeir, war fast sechs Jahre lang in der Forensik Taufkirchen - von Ende 2005 bis zu ihrem Tod am 17. Oktober 2011. Sie litt unter Schizophrenie. Auch körperlich ging es ihr offenbar nicht gut. Immer wieder berichtete sie ihrer Schwester und der Mutter über Magenprobleme. Wie schlimm es gewesen sein musste, erfuhr Heptner erst nach dem Tod der Schwester aus den Aufzeichnungen einer Mitpatientin.

Qualvoller Tod mit 47 Jahren

"Sie hatte ständig Durchfall, später chronische Verstopfung", heißt es da. Am Schluss so schlimm, dass sie zu schwach war, um "Geschirr in die Spülmaschine einzuräumen", "nachts vor Schmerzen nicht schlafen konnte". "Sie konnte in den letzten Tagen weder den Darm, noch die Blase entleeren", steht da. Sie habe fast täglich vom Personal Abführmittel erbeten. In der Nacht vom 16. Oktober 2011 wurde sie in ein Landshuter Krankenhaus gebracht, wo die 47-Jährige kurz darauf an den Folgen einer schweren Magenschleimhautentzündung starb. Sie atmete nach Ansicht eines Experten wohl Erbrochenes und Blut ein und erstickte daran.

Bei den Symptomen, die sie laut ihrer Mitpatientin über ein Jahr schilderte - starke Magenschmerzen und Verstopfung - sei eine Untersuchung "nötig und ein normaler Vorgang", sagt Christian Trautwein von der Deutschen Gesellschaft Gastroenterologie. Gerade Patienten, die Psychopharmaka nehmen, seien besonders gefährdet, da durch die Medikamente "die Bewegung des Magen-Darm-Trakts beeinflusst wird und als Folge die Magenschleimhaut beschädigt werden kann".

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Angebracht sei eine gründliche körperliche Untersuchung. Gegebenenfalls auch weitergehende Untersuchungen, wie eine Röntgenaufnahme des Bauches und eventuell eine Magenspiegelung. "So steigt die Wahrscheinlichkeit, schwere Komplikationen rechtzeitig zu erkennen und zu vermeiden", sagt er. Wurden Irene Bergmeir diese "nötigen" Untersuchungen in der Forensik verwehrt? Oder konnte die lernbehinderte Frau sich nicht verständlich machen?

Vorwürfe können nicht bewiesen werden

Die Klinik antwortet, man habe Irene Bergmeir immer wieder mal ein Mittel gegen Sodbrennen gegeben, sieben Mal bekam sie Kohletabletten gegen Durchfall, fünf Mal ein Abführmittel - in einem Zeitraum von mehr als drei Jahren. Regelmäßig habe man mit ihr über "die Notwendigkeit einer Gewichtsreduktion" gesprochen. Für eine Magenspiegelung oder einen Ultraschall sah die Klinik "keine Indikation". "Sie ist daran gestorben. Sie hätte eine Magenspiegelung gebraucht", sagt Erna Heptner.

Es ist ein Vorwurf, der nicht bewiesen werden kann. Klar ist aber, dass es Heptner schier unmöglich gemacht wurde, mehr über die medizinische Behandlung ihrer Schwester zu erfahren. Erst auf Drängen der SZ und des Funkstreifzugs des BR gab die forensische Klinik nach Monaten Auskunft. Als Heptner mehr über den Tod ihrer Schwester erfahren wollte, stellte die Klinikleitung in Taufkirchen sie vor eine unlösbare Aufgabe: Sie verlangte eine Einverständniserklärung zur Akteneinsicht - ausgerechnet von ihrer verstorbenen Schwester.

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Nicht nur in Taufkirchen scheint die medizinische Versorgung der Patienten problematisch zu sein. Das sagt zumindest ein katholischer Seelsorger, der seit Jahren in forensischen Kliniken die Sorgen der Patienten anhört. Er steht unter Schweigepflicht, will seinen Namen nicht nennen. Schweigen kann er aber auch nicht mehr. Dem Funkstreifzug des BR sagte er: "Die Patienten werden einfach nicht zum Arzt geschickt." Die Kliniken argumentierten oft: "Da müsste dann die Polizei mit - oder das bildet sich der Patient nur ein."

Beate Jenkner hat noch eine andere Begründung gehört. Sie ist gesetzliche Betreuerin und kennt auch die Forensik in Taufkirchen gut. Als sie einmal fragte, warum sie dort so zurückhaltend seien mit Arztbesuchen, bekam sie zur Antwort: Die Klinik sei angehalten, Kosten zu sparen und unnötige Arztbesuche zu vermeiden. "Um zum Arzt gehen zu dürfen, müssen Patienten wirklich kämpfen", sagt Jenkner.

Doch auch psychisch kranke Straftäter haben "das Recht, auf dem gleichen medizinischem Niveau behandelt zu werden wie ein Patient der gesetzlichen Krankenversicherung", sagt Rechtsanwalt Temba Hoch. Mit ihrer Einweisung verlieren Forensik-Patienten ihre gesetzliche Krankenversicherung. Für ihre medizinische Versorgung ist dann allein die Klinik zuständig. Ob sie behandelt werden oder nicht, entscheidet zunächst ein Psychiater dort.

Schwierig könne das werden, wenn der aufgrund seiner Befassung mit der psychischen Erkrankung des Patienten voreingenommen sei. "Wenn er denkt, einen Querulanten vor sich zu haben, wird es problematisch", sagt Hoch. Dann bleibe dem Patienten im Extremfall nur noch, sich "durchzuklagen". Wer sich keinen Anwalt leisten könne, sei "angeschmiert". Und selbst wenn es zu einem Verfahren kommt, seien die Gerichte geneigt, der Stellungnahme des Maßregelvollzugs zu folgen.

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So erlebte es auch Bernhard Müller. Seine Frau Mirjana war ebenfalls in der Forensik Taufkirchen untergebracht. Seine psychisch kranke Frau litt unter einer Leberzirrhose, ausgelöst durch eine chronische Hepatitis-C-Virus-Infektion. Ein Befundbericht des Klinikums Erding zeigt, dass ihre Leberzirrhose irreversibel war. Er stammt aus dem Jahr 2002. Auch zu diesem Zeitpunkt befand sich Müller in der Behandlung in Taufkirchen. Die Klinik kannte den Befund, auch 2009 muss den Ärzten in Taufkirchen also die schwere Lebererkrankung von Müller bekannt gewesen sein.

Als sie in diesem Jahr aber um eine Untersuchung bei einem Internisten bat, wurde diese "ohne Begründung abgelehnt". So heißt es in einem Schreiben ihres Anwalts. Mit seiner Hilfe kämpfte ihr Mann für die medizinische Versorgung seiner schwer kranken Frau - vergeblich. Denn die Oberärztin in Taufkirchen hatte eine andere Sicht der Dinge: "In Bezug auf die chronische Hepatitis-C-Virus-Infektion besteht aktuell kein akuter Therapiebedarf", schreibt sie in einer Stellungnahme. Die Leberzirrhose erwähnt sie nicht. Auf Anfrage erklärt die Klinik heute, ein bis zwei Mal wöchentlich seien die Leberwerte untersucht worden. "Laborchemisch" hätte sich "kein Anhalt für eine akute Verschlechterung" der Leberfunktion ergeben. Das Gericht folgte der Empfehlung der Klinik.

Eine Frage des Geldes und der Kraft

Mirjana Müller bekam keine ärztliche Untersuchung in einer Spezialklinik. Auch keinen Ultraschall, der nach Ansicht von Spezialisten in ihrer Verfassung alle sechs Monate hätte durchgeführt werden müssen. Ob ihr Zustand sich dadurch verschlechterte, wie ihr Ehemann vermutet, kann nicht geklärt werden. Sicher seien die Aussagen von psychisch Kranken mit Vorsicht zu genießen, meint Rechtsanwalt Hoch. Es wäre aber viel gewonnen, "wenn die Ärzte in der Forensik im Zweifelsfall eine Untersuchung genehmigen würden, auch wenn sie diese zuerst als nicht nötig einstufen", sagt er. Ansonsten bleibe Angehörigen wie Müller oft nur der Weg über die Gerichte, um einen Arztbesuch durchzusetzen.

Und mehr noch: Als Bernhard Müller nach dem Tod seiner Frau Fragen bezüglich ihrer Medikation in Taufkirchen hatte, antwortete ihm die Klinik, er solle doch vor Gericht ziehen. Dazu fehlte ihm aber das Geld und die Kraft.

© SZ vom 12.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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