Für Josef E. ist eine Welt zusammengebrochen. 26 Jahre lang war er Polizeibeamter, die letzten 20 Jahre bei der Polizeiinspektion Rosenheim, bis er 1988 nach einem schweren Verkehrsunfall vorzeitig pensioniert wurde. Auf die Polizei hat er nie etwas kommen lassen, und all die Jahre hatte er guten Kontakt mit den ehemaligen Kollegen. Erst letztes Jahr haben sie ihn eingeladen zur Besichtigung der neuen Einsatzzentrale in Rosenheim. Aber nach dem, was ihm und seiner Familie am 15. November 2010 zugestoßen ist, kann er den Anblick einer Polizeiuniform kaum noch ertragen. "Mir zieht's alles zusammen, wenn ich einen Polizisten sehe", sagt er.
Josef E., 66, und seine Frau Aloisia, 62, sind Eigentümer eines Mietshauses mit 14 Wohneinheiten in Pfaffenhofen, ein paar Kilometer nördlich von Rosenheim. Im Erdgeschoss lebt ihre Tochter Sandra B. mit ihrem Ehemann Toni, einem promovierten Biologen, und dem dreijährigen Sohn. Das Ehepaar E. wohnt im zweiten Stock. Dort sitzt die Familie jetzt um den großen Esstisch, und sie erzählen, was sie an jenem Tag erlebt haben.
Das ist nicht ganz leicht, denn seelisch haben sie das nicht verkraftet. Tochter Sandra kann kaum einen Satz sagen, ohne in Tränen auszubrechen, und auch ihr Vater muss immer wieder minutenlang um Fassung ringen. "So was", sagt er, "kannst du einfach nicht fassen. Wenn's nur einen Funken Gerechtigkeit gibt, dann müssen die beiden aus dem Dienst."
"Die beiden" sind der Polizeihauptmeister K. und der Polizeiobermeister T., beide von der Polizeiinspektion Rosenheim. Sie sollten an jenem 15. November im Auftrag des Amtsgerichts Rosenheim einen Mann, der im Anwesen von Josef E. wohnhaft gemeldet war, zu einer psychiatrischen Untersuchung vorführen. Aber der Name des Gesuchten stand nicht auf dem Klingelschild, deshalb läuteten die beiden Beamten bei anderen Mietern, um Erkundigungen einzuziehen. "Als es geklingelt hat, hab' ich durch den Türspion geschaut", sagt Sandra B.. "Ich hab' zwei Männer gesehen, die mit der Nachbarin reden."
Sie öffnete die Tür, und einer der Männer sprach sie an: "Kennen Sie den F.?" "Ja", sagte Sandra B., aber der wohne nicht mehr hier, der sei vor kurzem ausgezogen. "Natürlich erschrickt man", sagt Sandra B., "die trugen ja Zivil, das waren große Kerle, und die sind gleich ganz dicht aufgerückt. Ich hätte nie gedacht, dass die von der Polizei sind, so aggressiv wie die aufgetreten sind." Die beiden hätten sich auch nicht vorgestellt, sondern in barschem Ton immer weitergefragt: Wann der F. ausgezogen sei, und wo er gewohnt habe, "und dann sagte der eine, ich wüsste wohl mehr, als ich zugeben wolle, und das könne schlimm für mich ausgehen, und ich sollte mich ausweisen".
Da wollte Sandra B. aber erst die Ausweise der Männer sehen. Sie musste mehrmals nachhaken, bis ihr die Ausweise so entgegengehalten wurden, dass sie sie auch lesen konnte. Schließlich wollte Sandra B. dann ihren Ausweis aus der Wohnung holen, aber sie wollte die Tür nicht offen lassen. "Ich wollte nicht, dass die in die Wohnung kommen", sagt sie. "Da hat der eine einfach seinen Fuß in die Tür gestellt."
Gleichzeitig kamen drei uniformierte Polizisten in den dunklen, engen Hausflur gestürmt - die Besatzung eines Streifenwagens, den die Zivilbeamten offensichtlich schon vorher zur Unterstützung angefordert hatten. Das war der Augenblick, in dem Sandras Ehemann Toni dazukam. "Ich hatte die aggressiven Männerstimmen gehört, und wie ich dazukomme, steht der eine schräg in der Tür, und sie schreien meine Frau an", sagt Toni B. "Ich sage: ,Was ist hier los', und da schreit der eine mich an: ,In welchem Verhältnis steht Ihre Frau zu dem F., dass sie ihn deckt?'" - "Wie kommen Sie auf so was", erwiderte Anton B., und forderte den Mann auf, seinen Fuß aus der Tür zu nehmen. "Da packt mich der eine am Hals, und der andere gibt mir einen Schwinger in den Magen."