Folgen der neuen Honorarregelung:Der Landarzt

Mit Allrad und Blaulicht durch den Bayerischen Wald: Die Patienten setzen auf Michael Rosenberger, doch eigentlich kann er sich seinen Job aufgrund des neuen Honorarsystems nicht mehr leisten.

Max Hägler

Der Sanka ist schon da, als Notarzt Michael Rosenberger in seinem roten Allrad-Passat rutschend auf dem Hof zum Stehen kommt, ein paar Meter neben dem Mann, der regungslos zwischen Haus und Garage im Schnee liegt. Weinend steht eine Frau in der Auffahrt, es ist die Schwiegertochter. Der Schwiegervater sei gefallen und habe sich dann nicht mehr geregt, sagt sie schluchzend, während die Sanitäter über dem Patienten knien und ihm abwechselnd den Brustkorb massieren.

Folgen der neuen Honorarregelung: Im Privatwagen, mit einem kleinen Blaulicht, fährt Michael Rosenberger zu Notfall-Einsätzen - oder auch nur zum Hausbesuch bei Ilse Zachner. Nicht immer rechnen sich diese Fahrten, aber der Arzt will seine Patienten nicht allein lassen.

Im Privatwagen, mit einem kleinen Blaulicht, fährt Michael Rosenberger zu Notfall-Einsätzen - oder auch nur zum Hausbesuch bei Ilse Zachner. Nicht immer rechnen sich diese Fahrten, aber der Arzt will seine Patienten nicht allein lassen.

(Foto: Foto: Georg Gerleigner)

Die goldene Rettungsdecke knistert unter der Kraft der Männer, die das Herz wieder zum Schlagen bringen wollen. Der bewusstlose Rentner ist schon an das Beatmungsgerät angeschlossen, der Defibrillator lässt seinen Körper zucken.

Doch noch kommt das Leben nicht wieder - aber Rosenberger gibt nicht auf, schließlich signalisierte das EKG für einen Moment Leben. Ins Kreiskrankenhaus Freyung will Rosenberger den Mann schaffen, will versuchen, ihn zurückzuholen ins Leben, zu seiner Familie. Vorsichtig heben die Sanitäter den schlaffen Körper aus dem Schnee, Rosenberger hält den Kopf mit beiden Händen gerade. Dann ruft er ruhig, aber bestimmt: "Weiterdrücken!"

Die Türen werden zugeklappt, schlitternd macht sich der Rettungswagen auf den Weg. 16 Kilometer sind es von dem kleinen Weiler im Bayerischen Wald ins Krankenhaus. Ewig scheint die Fahrt zu dauern, über schneebedeckte Straßen und vorbei an Dreißigtonnern, die das Blaulicht im Rückspiegel zu ignorieren scheinen und nicht zur Seite fahren.

Doch der Kampf, der auch im Sanka weitergeht, ist vergeblich. Das Leben kehrt nicht wieder, auch nicht im Schockraum. "Eigentlich war der Mann bereits tot, er hatte keinen Aortapuls mehr, die Pupillen waren lichtstarr", sagt Rosenberger nach dem Einsatz. Aber er wollte es versuchen, gerade im Winter, wenn die Kälte den Stoffwechsel herunterfährt und dadurch manchmal noch ein Funke Leben in einem scheinbar toten Körper ist. Manchmal kommt das Leben wieder in der Wärme, das weiß Rosenberger auch aus seiner ehrenamtlichen Arbeit als Bergwacht-Arzt.

Rosenberger steht vor der Notaufnahme des Krankenhauses und notiert im Kofferraum seines Autos die Patientendaten: Jahrgang 1933, vorbelastet mit einer Herzinsuffizenz. "Er ist wohl gestorben durch die Anstrengung beim Schneeschaufeln", sagt Rosenberger noch und macht sich auf den Weg zu seinem nächsten Fall, zu Ilse Zachner.

Und jeden Tag eine Spritze

Sehr munter ist die 81 Jahre alte Dame noch. "Ich kann mich nicht beklagen, mir geht's gut", ruft sie strahlend. Vor ein paar Stunden war das allerdings noch anders. 38,5 Grad Celsius zeigte das Thermometer der Krankenschwester, die im Altenheim Reichenau Dienst tut, wo sich Frau Zachner eingerichtet hat. Zwei goldene Putten hängen über dem Bett und schauen auf Rosenberger herunter, der gerade ein Antibiotikum aufschreibt. Für den Fall, dass die Temperatur am Abend wieder steigt, sagt er zur Schwester. Und zu Frau Zachner sagt er: "Die Tabletten nehmen Sie aber auch und fangen nicht wieder mit dem Auspendeln an!"

Schelmisch grinst die Seniorin, die immer wieder die Energieströme ihrer Pillen auszumessen versucht und Rosenberger damit bereits mehrmals zur Verzweiflung getrieben hat. "Der Doktor Rosenberger ist immer frech", sagt sie jetzt lachend. "Aber er ist immer da, wenn man ihn braucht." Rosenberger wird natürlich wiederkommen.

Morgen früh bereits wird er Blut abnehmen, um die Entzündungsmarker zu bestimmen. Auch wenn sich der Aufwand eigentlich überhaupt nicht rechnet. "Frau Zachner ist eine Patientin, die mir finanziell gesehen die Haare vom Kopf frisst", sagt Rosenberger beim Hinausgehen. Diabetes habe die alte Dame und brauche jeden Tag eine Spritze.

Auf der nächsten Seite: Was Michael Rosenberger tut, um halbwegs leistungsgerecht entlohnt zu werden.

Der Landarzt

Gezahlt wird so eine intensive Betreuung vom Gesundheitssystem eigentlich nicht mehr. Pro Patient gibt es seit Jahresbeginn für Hausärzte eine Pauschale in Höhe von etwa 40 Euro pro Quartal - weitgehend unabhängig von der Einzelleistung. Auch die Medikamentenbudgets sind gedeckelt. Sollte es so bleiben, erwartet Rosenberger Honorareinbußen bis zu 40 Prozent. Und auch die Hausbesuche wären eigentlich nicht mehr drin: "Aus betriebswirtschaftlicher Sicht könnte ich gerade noch 66 Hausbesuche im Quartal machen", sagt Rosenberger. So haben ihm das die Bürokraten bei den Krankenkassen vorgerechnet. Viel zu wenig für sein Gebiet.

Denn hier in Breitenberg, wo Tschechien, Österreich und Bayern aufeinandertreffen, bleibt einem Hausarzt gar nichts anderes, als viel zu fahren, sich wirklich zu kümmern. Zersiedelt ist dieses Hochplateau, das sich hinter der Donau gen Osten erstreckt. "Täler, Wälder, Wiesen, Felder, unzählige Häuser, Ortschaften; man kann Jahre lang hier weilen und ersättigt sich nicht an den Mannigfaltigkeiten", schwärmte der Dichter Adalbert Stifter einst von dieser Landschaft.

Der 46 Jahre alte Rosenberger ist wie viele Hausärzte im bayerischen Hinterland beinahe rund um die Uhr ansprechbar. Die Notarzt-Einsätze mit Funk und Blaulicht auf dem Privatwagen müsste der gebürtige Passauer zwar nicht machen, aber es bringt einen Zusatzverdienst - rund 100 Euro bei einem Kassenpatienten, rund 200 Euro bei einem Privatpatienten. Und der unmittelbare Kampf ums Leben ist wohl auch Teil von Rosenbergers Berufsverständnis. Neben seinem Haus, das allein an einem Hang steht, knattert ein Windsack im Schneesturm. Hubschrauber-Notarzt, das wäre sein Traum, sagt Rosenberger lachend.

Kratzer am Kotflügel

Aber dann würde er fehlen, hier in Breitenberg, wo es sowieso wenig Infrastruktur und erst seit kurzem schnelle Internetanschlüsse gibt. "Wir sind auf die Arbeit von Doktor Rosenberger und von seinen Kollegen angewiesen", sagt Helmut Rührl, der Bürgermeister ist und zugleich Rektor der Volksschule. Busse fahren nur wenige nach Breitenberg.

Gymnasium und Realschule sind 20 Kilometer entfernt und ebenso die hauptamtlichen Notärzte. Zugleich sind viele der gut 2000 Menschen in der Gemeinde alt, haben keine Fahrmöglichkeiten. "Was sollen die Leute machen, wenn es niemanden mehr gibt, der Hausbesuche macht", fragt Rührl. Letztens war Rosenberger auf einer Fortbildung, bei der die jüngste Gesundheitsreform besprochen wurde. Den Ärzten wurde dabei auch ein Programm gezeigt, mit dem sie herausfinden, ab wann sich bestimmte Leistungen nicht mehr rechnen. Rosenberger ist damals aufgestanden und hat den Raum verlassen. "Was bringt es mir, wenn ich das weiß", fragt er. "Soll ich die Patienten allein lassen, sobald ich mein Budget überschritten habe?"

Weil er das nicht tun wird, aber trotzdem halbwegs leistungsgerecht entlohnt werden will, wird Rosenberger an diesem Abend - nach der Sprechstunde, zwei Notarzt-Einsätzen und einem halben Dutzend Hausbesuchen - von den Bergen des Bayerischen Waldes hinunter nach Passau fahren. Bis spät in die Nacht wird er mit drei Dutzend Kollegen über Auswege aus dem Honorarschlamassel diskutieren und schließlich die Teilnahme an einem Protest in der folgenden Woche durchsetzen.

Und falls es dann auf der Rückfahrt wieder einen Notfall gibt, liegen das Magnetblaulicht und die Notarzt-Jacke griffbereit im Auto. Wenn es sein muss, schrammt Rosenberger dann auch wie am Morgen auf dem Weg zum Bauernhof an den Schneehaufen vorbei. Die Kratzer am Kotflügel zählt er nicht mehr.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: