Süddeutsche Zeitung

Flutopfer in Bayern:Leben nach der Katastrophe

Das Hochwasser könnte die teuerste Naturkatastrophe in der deutschen Geschichte werden. Doch was bedeutet das für die Menschen? Flutopfer erzählen.

Von Sarah Ehrmann, Anna Fischhaber, Ingrid Fuchs und Sebastian Gierke

"Die endgültige Schadenhöhe steht noch nicht fest, aber es ist gut möglich, dass es die teuerste Naturkatastrophe in der deutschen Geschichte wird", sagte Peter Höppe von der Munich Re der SZ. Doch was bedeutet das eigentlich für die Menschen? Ein Wirt, eine Kindergärtnerin, eine Familie und ein Kirchenvertreter erzählen.

Das Landhotel von Siegfried Hutter, das Gut Altholz bei Plattling, ist der vom Hochwasser in der Gegend um Deggendorf am schlimmsten betroffene Betrieb, heißt es bei der Kreisstelle des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands. Nicht die Donau hat hier für die Zerstörung gesorgt, sondern die Isar. Ein Anruf bei Siegfried Hutter, Seniorchef des Landhotels.

"Wir sind nicht nur mit einem Gebäude, sondern mit allen betroffen. Das ist das Schmerzhafte. Fünf Häuser. Überall stand das Wasser bis zu 2,80 Meter hoch. Meinen Vater haben sie mitten in der Nacht, um 1 Uhr, weggeholt. Ich bin noch geblieben, wollte das Gut nicht alleine lassen. Die Helfer haben mich dann mit dem Boot abgeholt. Ich habe kein Telefon gehabt, meine Frau hat zwei Tage lang nicht gewusst, wo ich bin und was los ist.

14 Tage lang stand das Wasser bei uns in fast unveränderter Höhe. Es konnte einfach nicht abfließen. Wir haben einen Schaden von knapp drei Millionen Euro. Wobei die Bauschäden noch gar nicht bezifferbar sind. Unsere fünf Heizungsanlagen sind alle kaputt.

Verursacht hat diese Katastrophe letzten Endes der Staat, weil die Dämme einfach nicht fertig waren. Die Hilfsbereitschaft der Menschen und auch die der Hilfsmannschaften in dieser Situation war aber absolut in Ordnung. Dass es bei manchen Dingen drunter und drüber geht, ist klar, aber in der Regel war das wirklich toll. Man muss sich einmal vorstellen: Noch jetzt kommen Leute vorbei, die Hilfe anbieten.

Wie es jetzt weitergeht, wann wir wieder aufmachen können, das weiß ich noch nicht genau. Das weiß ich erst, wenn klar ist, wie die Hilfsgelder verteilt werden. Versichern konnten wir uns ja nicht, weil wir in der Risikozone vier sind und deshalb gar keine Möglichkeit dazu hatten. Deshalb müssen wir jetzt abwarten, bis klar ist, welche finanzielle Hilfe wir bekommen. Wie soll ich sonst den Betrieb wieder aufbauen? Wie soll das möglich sein? Das geht ohne staatliche Hilfe praktisch überhaupt nicht. Das soll aber in den nächsten 14 Tagen abgewickelt werden.

Wenn man sich die Situation insgesamt anschaut, muss man sagen, dass es bei den Leuten auch eine Zurückhaltung gibt, was die Buchungen bei uns in der Region angeht. Bei fast allen Hotels gibt es einen Umsatzeinbruch, weil die Leute sagen: Das ist Katastrophengebiet, da können wir im Moment nicht Urlaub machen. Bei uns ging fast vier Wochen lang das Telefon nicht. Da denken vielleicht manche: Den gibt's überhaupt nicht mehr. Dabei kann man fast überall wieder hingehen. Da müssen wir die Leute jetzt motivieren.

Und es geht aufwärts: Am Samstag haben wir wieder die erste Hochzeit bei uns ausgerichtet."

Protokoll: Sebastian Gierke

Als das Telefon klingelt, ist Rosemarie Waldherr gerade dabei, die letzten Spielsachen durchzusehen. Plüschtiere und Bücher hat sie weggeschmissen, aber ein paar von den Legosteinen kann man noch retten, erzählt sie. Sie hat sie im Garten gefunden. Besser gesagt: Auf dem verwüsteten Gelände, der einmal der Garten des Kindergartens im Passauer Stadtteil Hals war. Waldherr hat das Hochwasser gleich doppelt erwischt. In ihrem Haus war das Erdgeschoss überflutet, den Schaden schätzt sie auf etwa 100.000 Euro. "Zum Glück war unten nur die Werkstatt, wir wohnen im Obergeschoss", erzählt sie. Noch härter hat es den Kindergarten getroffen, den sie seit Jahren leitet. Ein paar Legosteine - viel mehr ist nicht geblieben.

Die 43 Kinder spielen nun übergangsweise in der städtischen Musikschule. "Für sie ist alles ein großes Abenteuer, für uns eine Katastrophe", sagt Waldherr. Zwei Meter hoch stand das Wasser im Kindergarten. Möbel, Spiele, ihr gesamtes Büro - das alles schwamm ihr praktisch entgegen, als sie sich nach der Flut wieder dem Gebäude nähern konnte. Die Turnhalle, das Atelier, der Garten, zerstört. 400.000 Euro wird der Wiederaufbau in etwa kosten. "Der Fußboden muss raus, der Putz entfernt werden, Türen und Fenster müssen erneuert werden, im Moment steht praktisch nur noch der Rohbau", erzählt Waldherr. Auch Möbel muss der Kindergarten kaufen und natürlich Spielsachen. Bis Weihnachten könnte das Gebäude saniert sein, hofft sie. Bislang allerdings fehlt es an Geld.

Eine Versicherung für den Kindergarten gibt es nicht - er liegt wie die umliegenden Häuser im unmittelbaren Hochwassergebiet, nur einen Steinwurf von der Ilz entfernt. Bereits 2002 wurde er überschwemmt. Die katholische Stiftung, die den Kindergarten führt, sei zu klein, um alle Kosten zu übernehmen. Man bekomme viel Rückhalt von Firmen und Privatleuten, erzählt Waldherr. Dennoch sei erst knapp ein Drittel der Spenden zusammen. Unterkriegen lässt sich die Kindergartenleiterin trotzdem nicht: "Ich bin ein optimistischer Mensch", sagt Waldherr. "Wir müssen nach vorne schauen, müssen zusammenhalten - schon der Kinder wegen."

Text: Anna Fischhaber

Schweigend steht Armin Holzbauer in dem feucht-warmen Raum mit den unverputzten grauen Wänden. Er schaut auf die geborstenen Scheiben, er lauscht dem vibrierenden Schnauben der Luftentfeuchter, die überall stehen. "So hat das vor sieben Jahren schon einmal hier ausgesehen", sagt er. "Nur damals war jeder Schritt ein Fortschritt."

Im Juni durchbrach die Isar ihren Damm, die dreckigen Wassermassen drängten sich in Keller und Erdgeschosse und fluteten in Deggendorf-Fischerdorf die Straßen 2,20 Meter hoch. Fünf Stunden hat es gedauert - dann war für die Holzbauers nichts mehr wie vorher. Inzwischen ist die Familie im Obergeschoss zusammengerückt. Zuerst hatten die Eltern bei Freunden gewohnt, die Kinder zur Oma gebracht. Die Kinder wurden unruhig, schliefen schlecht, wachten nachts auf und tasteten nach den Eltern. "Jetzt ist es eng, aber es geht uns allen besser", sagt Karin Holzbauer.

In einem gelben Ordner auf dem Esstisch im Schlafzimmer liegt die Zukunft. Fast zumindest. Es sind Angebote, die zurück zu einem normalen Wohnen führen sollen, doch sie sind teuer: 30.000 Euro wird die neue Heizung kosten, ebenso viel der neue Estrich und der Putz innen und außen. Noch einmal die Hälfte für den Elektriker. Die Holzbauers hatten vielleicht Glück im Unglück: Ihre Versicherung wird die Instandhaltungskosten ohne Abschlag erstatten. 1000 Euro müssen sie als Selbstbeteiligung dazugeben. Doch erst einmal muss ein Sachverständiger entscheiden, ob die Angebote der Bauunternehmer preislich in Ordnung sind. Sonst muss sich die Familie erneut auf die Suche machen.

Text: Sarah Ehrmann

Das Wasser hat die Seitenaltäre aus der Verankerung der kleinen Kirche St. Achatius im Passauer Ortsteil Hals gerissen. Aus der Klosterkirche Niedernburg in der Altstadt mussten die Reliquien der seligen Gisela geborgen werden, sie lagern nun in der Sakristei. "Riesenschäden", kommentiert der Passauer Diözesanbaumeister Jochen Jarzombek die trostlose Situation. Er rechnet im Bistum mit Schäden in zweistelliger Millionenhöhe, sämtliche kirchliche Gebäude zusammengerechnet. Dazu zählen nicht nur Kirchen, sondern auch Amtsräume, Kindergärten, Studentenwohnheime oder die Domschreinerei.

"Wir sind gerade noch dabei, die ganzen Schäden festzustellen", erklärt Bistums-Sprecher Wolfgang Duschl, "dann müssen sie erst berechnet werden - und danach behoben." Momentan untersuche eine Handvoll Experten die einzelnen Gebäude. Ob sich Reparaturen lohnen, entscheiden auch die Statiker. "Wir wissen noch gar nicht, was in den Kirchen alles zerstört wurde und wie sehr beispielsweise das Mauerwerk angegriffen wurde", sagt Duschl.

Wenigstens ein paar Grundstücke haben die Flut ohne schlimme Verwüstungen überstanden, etwa der kommunale Friedhof im nördlichen Stadteil Hals. Duschl weiß das, weil dort Angehörige von ihm beerdigt sind. Der Friedhof war zwar überflutet, die Grabsteine blieben aber stehen, sie haben sich einfach abgesenkt, als das Wasser zurückging. "Nur die Grabbepflanzungen sind zerstört, aber das ist ja das geringste Problem. Wahrscheinlich ist der Boden durch all die vorangegangenen Hochwasser schon so durchlässig geworden.

Text: Ingrid Fuchs

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